Machen wir uns nichts vor. Konsum, Medien, Unterhaltungselektronik bzw. die mit ihnen verbundene Ablenkung und Zerstreuung gibt es nicht erst seit gestern. Vielmehr begleiten sie die globalisierten und kapitalistischen Gesellschaft wie einen Schatten in dem Menschen sich ausruhen, in dem sie sich aber auch verstecken können. Grundsätzlich lässt sich attestieren, dass gerade die digitalen Medien demokratische Potentiale haben: Sie ermöglichen Vernetzung im Kampf gegen Untergerechtigkeit und Unterdrückung, können Menschen eine Stimme verleihen, die sonst nicht gehört werden, dienen als Multiplikatoren und erlauben Informationsaustausch über alle Grenzen hinweg. Zugleich sind es jedoch Stichworte wie Fake News, Filter Bubbles, Phantom-Vibrations-Syndrom oder Pflegeroboter, die uns die Ambivalenz der digitalen Technologien vor Augen führen.
Gerade im Blick auf die konkrete Nutzung lässt sich intuitiv vermuten: die Dosis macht das Gift. Denn es macht wohl einen Unterschied, ob ich mich abends zu einer bestimmten Uhrzeit an einem bestimmten Ort vor den Fernseher bzw. Computer setze oder das digitale Medium mit uneingeschränktem Zugang zu Unterhaltung, Kommunikation und Information in meiner Hosentasche mit mir herumtrage. Ablenkung, Zerstreuung und Konsum sind durch ein mobiles Endgerät nicht länger temporär oder lokal gebunden. Ob in Bus oder Bahn, beim Spazieren im Park, im Wartezimmer der Arztpraxis, ja neuerdings sogar gekoppelt mit Infotainment-Systemen moderner Kraftfahrzeuge: nirgends müssen wir auf unser Handy verzichten. Netflix im Bus, Whatsapp im Auto, Amazon im Wartezimmer.
Besonders bemerkenswert ist die Omnipräsenz digitaler Begleiter wenn man Schüler*innen auf unseren Schulhöfen beobachtet: in kleinen Trauben stehen sie gemeinsam über ihre Handys gebeugt, starren auf flackernde Rechtecke. Eine surreale Stille liegt über ihren Köpfen, die verbale Kommunikation hat sich auf das Kommentieren der virtuell dargebotenen Inhalte beschränkt. Das Mobiltelefon ist längst nicht mehr bloße Möglichkeit über physische Distanz hinweg miteinander zu kommunizieren. Auf unseren Schulhöfen aber auch an vielen anderen Stellen im öffentlichen Raum wird immer deutlicher, dass es zur Linse geworden ist, zum Filter durch den hindurch die Welt gemeinsam betrachtet wird. Statt die Welt zu erleben, wird sie portioniert, kommt hochaufgelöst, geglättet und mit Werbeinhalten gespickt durch ein 6,4 Zoll 4k Display bei uns an.
Was macht dies mit uns, unserem Selbst- und Weltverständnis? Es scheint, als führe uns die permanent verfügbare Ablenkung und die ständige Vorfilterung der Welt in eine Passivität, als beschränke sich unser Engagement auf das Konsumieren oder Rezipieren einer bis ins unkenntliche verzerrten Welt. Ein tätiges Leben, die vita activia, hört dort auf, wo wir uns selbst zu passiven Betrachter*innen degradieren, d.h. immer weniger eigenständig Denken, Handeln und Schaffen. Ein tätiges Leben hört dort auf, wo wir uns nicht länger mit uns selbst auseinandersetzen und uns von Anderen berühren lassen oder selbst berühren. Eine der entscheidenden Fragen der Zukunft bei denen wir wissenschaftlich und menschlich engagiert sein müssen ist also, was digitale Technik mit uns selbst und unserem Umgang mit bzw. unserer Wahrnehmung von Mitmensch und Umwelt macht; wie im Blick auf unseren eigenen Medienkonsum ein tätiges und damit soziales Leben ermöglicht oder blockiert wird.
In Erinnerung an die surreale Stille auf den Schulhöfen scheint zumindest klar zu sein, dass wir auch jenseits aller wissenschaftlichen Studien wohl gut daran tun, nicht auf das Smartphone schauend vor die nächste Laterne zu laufen, sondern stattdessen in die Arme eines lieben Menschen.
Dr. Anne Weber ist Kollegiatin im Graduiertenkolleg „Kirche-Sein in Zeiten der Veränderung“ an der Theologischen Fakultät Paderborn. Co-Autor für diesen Beitrag ist Lukas K., Lehrer in Niedersachsen.
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