Die langen Taxifahrten in der Großstadt Teheran schaffen Raum und Zeit für theologisch-philosophische oder auch psychoanalytische Gespräche! Bei meinem letzten Besuch stieg ich in ein ziemlich altes und zerbeultes Gespann ein, was nicht so dramatisch auf Straßen ist, auf denen ein Zusammenstoß von Autos eher als freundlicher Gruß verstanden wird.
Der Fahrer, ein älterer Herr mit ungewöhnlich langen, weißen Haaren und distanzierter Freundlichkeit rezitierte nach kurzer Zeit die erste Sure aus dem Koran und fragte mich, ob ich ihm mitteilen möchte, was ich in dieser Sure lese. Schließlich offenbarte er mir die Bedeutung dieser Sure für sein Leben und war der Ansicht, dass er nichts anderes brauche außer dieser Sure:
Wenn ich morgens aufstehe, rezitiere ich diese Sure und gebe das Lenkrad meines Lebens in die Hand des Barmherzigen. Im Vertrauen auf ihn, lasse ich ihn lenken und weiß, dass er auf geradem Weg bleibt. Damit ich nicht träge werde, brauche ich das Lenkrad meines alten Autos, das mir das Gefühl gibt, auch etwas zu tun. Selbstverständlich fahre ich quer und auch mal ziellos durch die Straßen, verfahre mich und stehe manchmal am Straßenrand orientierungslos und ängstlich. In diesen Momenten erinnere ich mich daran, dass ich wieder einen liebenswürdigen und zuverlässigen Lenker brauche: „Führe mich auf den geraden Weg!“ Durch diesen Satz beruhigt sich mein Herz, und meine Hand umschlingt das Lenkrad und die abgenutzten Reifen rollen wieder gefestigt auf die Straße. Tief im Herzen spüre ich, dass ich wieder geführt werde, bis die nächste geheimnisvolle Kurve kommt. Sie wird kommen, davon bin ich überzeugt und begegne ihr neugierig und achtsam. Ich bin auch davon überzeugt, dass ein Lebensweg ohne Kurven und Stolpersteine ziemlich langweilig wäre!
Das mystische Lächeln auf seinem Gesicht bezeugte seine tiefe Überzeugung. Die von Hektik, Lärm und Gestank der Abgase gekennzeichneten Straßen Teherans flogen an uns vorbei. Die Zeit spielte keine Rolle mehr, denn der nächste Termin war bereits wegen Verspätung abgesagt.
Diese Begegnung und die gesprochenen Worte sind mir in den letzten Wochen lebendige Begleiter und schenken mir Zuversicht und Gelassenheit, auch wenn die aktuellen Kurven ziemlich komplex und verwoben erscheinen.
Hamideh Mohagheghi ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Koranwissenschaften an der Universität Paderborn.