Über den Patron der Regierenden und Politiker*innen Thomas Morus  

Es ist die Zeit des christlichen „Feiertagstrios“, des Reformationstags, Allerheiligen sowie Allerseelen. Im Hinblick darauf geht mit dem heiligen Thomas Morus eine gewisse Ambivalenz einher, weil er vor 24 Jahren – am Reformationstag (!) – von Papst Johannes Paul II. zum „Patron der Regierenden und Politiker“ ernannt wurde. Nachvollziehbar ist diese Ernennung grundsätzlich. Denn Thomas Morus engagierte sich in seiner Rolle als Mitglied und Speaker des Unterhauses im englischen Parlament in besonderer Weise für die parlamentarische Redefreiheit sowie die Gewissensfreiheit von Abgeordneten – in einer Rede, die er als Sprecher des Unterhauses 1523 hielt, heißt es: „Darum möge es Euch gefallen, gütigster und mildester König, in Eurer übergroßen Huld allen Euren hier versammelten Unterhausmitgliedern allergnädigst zu erlauben und zu gewähren, dass ein jeder ohne Furcht vor Eurem Mißfallen der Stimme seines Gewissens folgen und bei allem, was unter uns besprochen wird, freimütig seine Ansicht äußern kann“.[1]

Thomas Morus wurde 1478 in London geboren. Er war Jurist, Philologe, humanistischer Gelehrter, Dichter, entschiedener Verfechter der Papstkirche, Politiker, politisch-philosophischer Schriftsteller, engagierter Kritiker der herrschenden Politik, der gelten Rechtsordnung sowie der gesellschaftlichen Verhältnisse in England und Visionär einer guten und gerechten Gesellschaft. Dies bezeugt an prominenter Stelle sein bekanntestes Werk, De optimo statu rei publicae deque nova insula Utopia / Von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia (1516), das als Gründungswerk der Gattung des utopischen Romans gilt.[2]

Von fast schon kanonischem Status ist Thomas Morus‘ Idealstaatskonzeption Utopia im Unterricht des Fachs Praktische Philosophie der Jahrgangstufen 7/8, wenn es um die kritische Auseinandersetzung mit Utopien und Dystopien sowie ihren (politischen) Funktionen geht:[3] Einerseits begegnet der/dem Leser*in „der Traum vom idealen […] Gemeinwesen, in dem alle Probleme gelöst und kollektives Glück durch Vernunft und Ausschluss von Zufälligem auf ewig gesichert ist“.[4] Andererseits ist Utopia eine Sklav*innenhalter*innengesellschaft, in der ein striktes Kontroll- und Überwachungsregime herrscht: „Vor aller Augen vielmehr muß man seine gewohnte Arbeit verrichten oder seine Freizeit anständig verbringen“.[5]     

1521 wird Thomas Morus zum Ritter geschlagen, 1529 übernimmt der das Amt des Lord Chancellors. Davon tritt er 1532 zurück, weil er die staatskirchliche Suprematie des Königs über den Klerus und die Kirche ablehnte. 1534 verweigerte er den Suprematseid auf den König als Oberhaupt der Kirche, wurde daraufhin festgenommen, zum Tode verurteilt und 1535 hingerichtet. Heiliggesprochen wurde Thomas Morus 1935, in einer Zeit, als es in Europa um die Rede- und Gewissensfreiheit von Parlamentarier*innen sowie Bürger*innen schlechter nicht hätte stehen können.[6]


[1]  Kaernbach, Barbara (2010): „Thomas Morus – Patron der Regierenden und der Politiker“, in Aktueller Begriff Nr. 71/10, ein Informationsbeitrag der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages, verfügbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/191524/a4661edd61ae574e0f6956a3517aab0b/thomas_morus-data.pdf [27.10.2024].

[2] Vgl. Jaumann, Herbert (2009): „(Sir) Thomas Morus“, in Stefan Jordan und Burkhard Mojsisch (Hg.): Philosophenlexikon, Stuttgart, S. 380-382.

[3] Vgl. Kernlehrplan Praktische Philosophie NRW, S. 23, verfügbar unter https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/upload/klp_SI/5017_Praktische_Philosophie_Sek.I.pdf

[4] Jaumann: 2009, S. 381.

[5] Thomas Morus: Utopia, in Der utopische Staat. Übersetzt und herausgegeben von Klaus J. Heinisch, Reinbek bei Hamburg, 1960, S. 7-110, hier S. 63.  

[6] Vgl. Kaernbach: 2010; vgl. Jaumann: 2009, S. 380.

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