Mitgemeint, doch nicht mitgedacht?

(Un-)Sichtbarkeit und (Nicht-)Beteiligung durch Sprache

Vor kurzem war ich zu einer Tagung eingeladen, bei der das Thema „Partizipation und Leitung in der frühen Kirche“ diskutiert wurde. Dabei ging es unter anderem auch darum, die Teilhabe von Frauen an frühchristlichen Leitungsfunktionen aufzuzeigen. Diese in den Quellen eindeutig zu belegen, ist oft gar nicht einfach, da männliche Sprachformen – als generisches Maskulinum – den Blick auf mitgemeinte Frauen verstellen. Damit werden aber auf Männer zentrierte Textwelten entworfen, die wiederum in der Rezeption die Exklusion von Frauen argumentativ untermauern. Grammatikalisch männliche Formen haben nicht Wirklichkeit abgebildet, sondern geschaffen und in der realen Praxis jahrtausendelang zum Ausschluss von Frauen geführt (und tun dies teilweise noch immer).

Es ist das Verdienst kritischer exegetischer Rekonstruktionsarbeit, die in den Texten durchaus belegte inklusive Wirklichkeit aus dieser Unsichtbarkeit zu holen. Beispielsweise ergibt sich in der neutestamentlichen Briefliteratur aus beiläufigen Grüßen des Paulus an Mitarbeiterinnen ein partizipatives Bild von Diakoninnen, Gemeindeleiterinnen und Apostelinnen. Dabei verbirgt sich aber die leitende Funktion von Phoebe etwa als „Diakonin“ (bezeichnet mit der männlichen Singularform diakonos in Röm 16,1) häufig hinter einer unspezifischen Übersetzung als „Dienerin“ oder verbalen Umschreibungen. Bei Junia, die in Röm 16,7 als „ausgezeichnet unter den Aposteln (und Apostelinnen)“ bezeichnet wird, musste die jahrhundertelange Geschlechtsumwandlung zu einem Junias erst wieder rückgängig gemacht werden. Hier haben aus männerzentrierten Textwelten generierte Vorstellungen und Denkmuster sogar zu korrigierenden Texteingriffen geführt: eine Frau als Apostel*in? Das kann nicht sein – das Apostelamt ist Männern vorbehalten. Doch offenbar war es das nicht.

In den gängigen Übersetzungen der entsprechenden Pluralformen von Leitungsbezeichnungen werden Frauen jedoch auch heute weithin nicht sichtbar. Auch in Vorträgen und Publikationen, die das generische Maskulinum verwenden, wird, auch wenn Frauen mitgemeint, aber nicht genannt sind, deren Teilhabe verdunkelt. Dies ist aber nicht harmlos im Sinne von harmless, keinen Schaden verursachend: Denn indem Sprache Realitäten schafft, hat diese Unsichtbarmachung nach wie vor reale Konsequenzen. Angestoßen durch das Engagement von Frauen- und Geschlechterforschung ist es gelungen, mit Kreativität inklusive, geschlechtersensible Sprachformen zu entwickeln, welche Menschen einbeziehen und nicht diskriminierend ausgrenzen. Nicht nur in der Geschichte, sondern auch in der Gegenwart geht es um die Frage von (Un-)Sichtbarkeit und (Nicht-)Beteiligung. Doch es ist ein fragiler Erfolg, wie aktuelle amtliche „Genderverbote“ zeigen.[1] Diese müssen sich wie Exklusionsstrategien der Geschichte auf damit verfolgte Machtpolitiken befragen lassen. Die geforderte Klarheit ist mit dem generischen Maskulinum nicht gegeben. Sprachverbote gerade an Bildungsinstitutionen behindern den Auftrag zur Vermittlung von Menschenrechtsbildung und kritischem Denken und verstoßen grundsätzlich gegen die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre.


[1] Mehrere Bundesländer wie Bayern oder Hessen haben in den letzten Monaten Verbote zum Gebrauch geschlechtergerechter Sprache an Schulen, Hochschulen und in öffentlich-rechtlichen Medien verordnet bzw. angekündigt.