Ob ein christliches Losungswort, dessen historischer Hintergrund dezidiert evangelisch ist, interreligiös anschlussfähig sein kann, war der Ausgangspunkt meiner Überlegungen für den ersten Blokkeintrag 2024. Die Herrenhuter Losungen bieten seit dem 18. Jahrhundert einen kleinen biblischen Impuls für den Tag und für die Woche. Die Tradition der gelosten Bibelverse stammt aus der pietistischen Prägung und regt bis heute die eigene Besinnung an, wenn damit z. B. eine Andacht gestaltet oder ein Gottesdienst eröffnet wird. Historisch dienten sie also der geistlichen Erbauung von Protestant*innen einer spezifischen Frömmigkeit. Im Laufe der Zeit kam dann auch die Jahreslosung und Monatssprüche hinzu, die allerdings nicht durch die Herrenhuter Brüdergemeine, sondern aktuell durch die Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen festgelegt wird. (vgl. oeab.de und jahreslosung.eu) Somit ist die Brücke in andere christliche Konfessionen schon geschlagen, was die Auswahl der Bibelverse für die Jahreslosung angeht.
Auch interreligiös lässt sich die Losung fruchtbar machen, da gerade die aktuelle Perikope für 2024 inhaltlich anschlussfähig ist:
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
1. Korinther 16,14 (Einheitsübersetzung)
Diese elementare ethische Aufforderung oder diesen paulinischen Wunsch sollten wir m. E. alle unabhängig von der eigenen religiösen Identität in unsicheren, konfliktbeladenen Zeiten beherzigen, so schwer es auch manchmal fallen mag. Unsere Handlungen im Kleinen wie im Großen, im Universitären wie im Privaten können beispielsweise liebevoll sein, indem wir sie mit einem Lächeln verrichten. Ich fühlte mich direkt an „All you need is love“, den Oldie der Beatles, erinnert, als ich die Losung das erste Mal las und mit dieser Melodie im Ohr lässt sich manche unangenehme Tätigkeit vielleicht auch schon mit ein wenig mehr Liebe im Herzen gestalten.
Theologisch ist ein direkter Bezugspunkt der Losung aus dem ersten Korintherbrief des Paulus natürlich das Hohelied der Liebe (1Kor 13), das ebenfalls interreligiös adaptierbare Botschaften enthält wie 1Kor 16,14, weil im Vordergrund das ideale irdische Miteinander steht. Nicht umsonst sind sowohl 1Kor 13,13 „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (LUT 2017) als auch 1Kor 16,14 als Trauverse beliebt. So wird auf der Homepage trauspruch.de, wo Brautpaaren nach ein paar Fragen Trauvers-Vorschläge für die kirchliche Trauung angeboten werden, als Erläuterung zu 1Kor 16,14 notiert: „Als Trauspruch wird dieser Satz gern und häufig gewählt, weil er für viele Paare gut zusammenfasst, was sie sich an dem Tag der Hochzeit versprechen möchten: Was auch immer sie miteinander tun und erleben werden, es soll in Liebe geschehen, in guten wie in schlechten Tagen.“
Weil die Liebe Menschen jeglicher Herkunft und Religion verbinden kann, ist die Jahreslosung m. E. interreligiös anschlussfähig und ich bin gespannt, darüber kollegial ins Gespräch zu kommen. Meine Hoffnung ist, dass liebende, glaubende und hoffende Menschen unabhängig davon, ob und wie sie den liebenden Gott nennen oder anbeten, diese Liebe ihrer Mitmenschen immer wieder spüren und aus ihr heraus handeln können – auch im Jahr 2024.
Anne Breckner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn.
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P. S. Und wer Lust hat, religionspädagogisch zu arbeiten, kann gerne die interaktive Methode „Liebe-Doppelrad gegen Rassismus und Gleichgültigkeit“ aus einer der Auslegungen der Jahreslosung ausprobieren: Amt für Jugendarbeit der EKvW (Hg.): Liebe üben. Materialsammlung für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zur Jahreslosung 2024, S. 48-52, https://www.ev-jugend-westfalen.de/jahreslosung24/