Seit nun zwei Wochen befinden sich Muslim*innen weltweit im Fastenmonat Ramadan. Es ist sozusagen Halbzeit. Ein Anlass, auf diese besondere vergangene Zeit für Muslim*innen zu schauen.
Dieser Ramadan ist anders. Ein Satz, der von vielen Muslim*innen zu hören ist, wenn sie ihre aktuellen Erlebnisse mit den früheren Fastenmonaten vergleichen. Dieser Ramadan ist gerade deshalb anders, weil er an die Erfahrungen vor der Corona-Pandemie anknüpft. Waren in den letzten drei Jahren gemeinsames Fastenbrechen oder Tarawihgebete nur eingeschränkt möglich, genießen viele Gläubige die zurückerhaltenen Möglichkeiten. Manch anderes Notprogramm, wie etwa digital gemeinsam den Koran zu lesen, scheint dagegen aufgrund der einfachen Handhabbarkeit die Pandemie überlebt zu haben. Dieser Ramadan ist außerdem besonders, weil er auch viele Muslim*innen mit türkischen und syrischen Wurzeln in Deutschland der erste Ramadan nach dem verheerenden Erdbeben im Februar 2023 ist, an dem viele ihre Angehörigen verloren haben. Ihnen sind nur noch die schönen Erinnerungen an vergangene Ramadane mit ihren verstorbenen Freunden und Familienmitgliedern geblieben. Diese Verlusterfahrung prägt ihren Ramadanalltag, indem oft für die Verstorbenen gebetet wird. Andere wiederum engagieren sich in der Hilfe für die Menschen in dieser Region, spenden für diese oder andere Menschen in Not, sammeln oder organisieren Hilfe. Gerade im Ramadan ist die Hilfsbereitschaft unter Muslim*innen besonders groß.
Der Ramadan 2023 ist besonders. Nach der Studie muslimisches Leben 2020 halten sich etwa 76% der befragten muslimischen Personen in Deutschland ganz bzw. teilweise an die Fastenvorschriften. Es ist überraschend, dass sich dieser Untersuchung zufolge deutlich mehr Muslim*innen in Deutschland an das Fastengebot halten als an das rituelle Gebet. Der Anteil von täglich betenden Muslim*innen liegt der Studie nach nämlich nur bei 40%. Über die Gründe kann man spekulieren, nicht abwegig erscheint dabei das Argument, dass das Fasten gerade durch das gemeinsame Fastenbrechen am Abend einen starken sozialen Charakter hat und damit die Zugehörigkeit mit der Gemeinschaft sowie die Verbundenheit mit Familie und Freunden fördert. Gerade in der Minderheitensituation scheint es in besonderer Weise identitätsfördernd zu sein und zur Stärkung der Gemeinschaft beizutragen.
Dieser Ramadan fällt auf. In den Massenmedien gab es zu Beginn des Ramadans viele Berichte, die –anders als in den letzten Jahren – deutlich wertschätzender von dieser besonderen Zeit der Muslim*innen berichtet haben. Die gelebte Praxis scheint in diesem Fall Würdigung zu erhalten, wenn von der Bischofskonferenz bis zum Bundespräsidenten Glückwünsche an die Muslim*innen veröffentlicht werden, was man durchaus als Zeichen eines diversitätssensiblen Umgangs in der Gesellschaft verstehen kann. Dieser gute Wille zeigt sich aber auch an vielen anderen Orten. Haben bis vor kurzem Muslim*innen religiöse oder politische Würdenträger zum gemeinsamen Fastenbrechen in die Moschee eingeladen, ist es heute keine Seltenheit mehr, dass u.a. Ministerpräsident*innen, Bürgermeister*innen, politische Parteien oder Kirchengemeinden die Rolle der Gastgeber*in übernehmen und eine Einladung zum Iftar an Muslim*innen aussprechen. Essen verbindet, über Religionsgrenzen oder Weltanschauungen hinweg.
Dieser Ramadan macht Hoffnung. Ohne negieren zu wollen, dass der antimuslimische Rassismus immer noch die am weitesten verbreitete Form der Diskriminierung in Deutschland darstellt, bewerte ich den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit dem Ramadan als Zeichen, dass unsere Gesellschaft mittlerweile Fortschritte in Richtung einer Gesellschaft der Vielfalt und Kultur der Anerkennung gemacht hat, wenn auch im Tempo einer begabten Schnecke. Als Religionspädagogin stelle ich mir die Frage, ob wir diesen Umgang miteinander nicht in andere gesellschaftliche Bereiche übertragen können? So wie eine gemeinsame Iftarveranstaltung für viele Teilnehmende eine (spirituell) relevante Entdeckung bereithält, könnten nicht auch gesellschaftliche Ereignisse Anlass zu Begegnung und Austausch sein, bei denen die Andersartigkeit des Anderen gewürdigt und gegenseitige Gastfreundschaft gewährt wird, sodass es alle Menschen reicher macht?
In diesem Jahr fallen Pessach, Ostern und Ramadan an diesem (langen) Wochenende zusammen. Ich wünsche allen Christ*innen frohe Ostern und allen Menschen jüdischen Glaubens ein fröhliches Pessachfest.
Jun.-Prof. Dr. Naciye Kamcili-Yildiz ist Juniorprofessorin für Islamische Religionspädagogik und ihre Fachdidaktik am Paderborner Institut für Islamische Theologie.
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