In Zeiten von Kriegen in unserer Nähe und in der Ferne scheint es weniger wichtig zu sein, einige Konflikte oder Spannungen zu erwähnen, die auf den ersten Blick nicht gefährlich erscheinen. Sie führen nicht zu körperlichen Verletzungen oder gar Todesfällen, zerstören keine Gesellschaften und Kulturen. Kurz gesagt sie bringen die Welt (Un)ordnung nicht offensichtlich aus dem Gleichgewicht. Ich beziehe mich auf Beleidigungen, Erniedrigungen, Spott zwischen Menschen, auf jene Ausdrücke, die maßlos sein können, die eine bestimmte Person betreffen und die Beziehungen zwischen Individuen beeinträchtigen.
Die Mischna Bava Metzia 4:10 (2 Jh. u.Z.) erwähnt, dass ein Betrug (Honaa) in einer kommerziellen Transaktion vergleichbar mit einer Beleidigung durch Worte (auf Hebräisch auch Honaa) ist. Der babylonische Talmud setzt diese Diskussion in Baba Metzia 58b zu diesem Thema fort und konzentriert sich dabei ausdrücklich auf die Folgen einer Kränkung im Vergleich mit anderen Straftaten. Eine Kränkung/ Beleidigung, laut Talmud, ist eine schändliche Tat, die mit einer für den rabbinischen Kodex extremen Strafen geahndet wird, nämlich das Verbot des Eintritts in die kommende Welt (Olam haba).
Es gibt keine Reue für das Ausmaß der Tat.
Eine Person zu beleidigen ist ein Angriff auf den Körper, sie gleicht einer Tat „des Blutvergießens“ (während ein Betrug das Finanzielle, aber nicht das Körperlich-Emotionale betrifft). Eine Beleidigung ist ein schwerwiegenderes Verbrechen als Ehebruch mit einer verheirateten Frau, so argumentiert der Talmud. Wenn man die Beleidigung öffentlich ausspricht erhöht sich die Schwere der Tat noch mehr. Eine besondere Form wäre es, eine Person wiederholt mit Spitznamen anzusprechen, da dies nach alter Definition, vergleichbar mit unserem heutigen Mobbing ist.
Viele Jahrhunderte später widmete sich der Chatam Sofer (1762-1869) in einer ganzen Abhandlung dem Lashon hara, (schwatzen, tratschen, lästern). Siebenhundert Seiten mit detaillierten Gedanken darüber, wie schädlich, unumkehrbar und zerstörerisch das Reden über andere für die Protagonisten und letztlich für die Gesellschaft als Ganzes sein kann. Der Text unterstreicht die negative Rolle, nicht nur von denjenigen, die das Lästern initiieren, sondern auch von denjenigen, die ihnen zuhören und sie fortsetzen.
Der Wert des ausgesprochenen Wortes, das Lernen und die Kontrolle darüber, wie es die die oben erwähnten Texte vorschlagen, bemühen sich somit, ein Leben in einer kleinen Gesellschaft, in der Gemeinschaft und in der Familie zu regeln. Es hört sich so leicht an kontrollieren zu können, was aus dem eigenen Mund kommt, aber der Alltag beweist, dass es wohl doch scheinbar einer der am wenigsten kontrollierbaren Handlungen ist.
„Da bildete der Ewige, Gott den Menschen aus Staub von dem Erdboden. Und blies in seine Nase den Hauch des Lebens, und es ward der Mensch zu einem Leben-Atmenden“ (Gen. 2:7)
Der biblische Text Gen. 2, 7 beschreibt hier die Erschaffung des Menschen als Nefesh haia, Leben-Atmenden. Raschi (11. Jh. u.Z.) erklärt diesen Vers so, dass die Erschaffung des Menschen nötig war, um das irdische Verhältnis und das göttliche Verhältnis der Schöpfung auszugleichen. Während die Schöpfung des Himmels, der fliegenden Tiere und der Sterne aus den himmlischen Bereichen stammen, entstehen die Erde, die Meere und die Tiere aus dem irdischen Bereich. Der Höhepunkt der Schöpfung ist der Mensch, der die Qualitäten beider Räume in sich vereint. Die Exegeten interpretieren „den Hauch des Lebens“ (Nefesch) als die menschliche Seele, die durch Sprache zum Ausdruck kommt.
Aber wie kann man dann diese Göttlichkeit der Seele mit üblen und zerstörerischen Worten verunglimpfen? Jüdische Quellen führen aus, dass die Kommunikation zwischen und über andere eine Grundlage für den sozialen Frieden ist. Diese Sprache, vielleicht eine der zugänglichsten Ressourcen, muss geschult, erzogen und kontrolliert werden, um den Anderen nicht zu verletzen. Kleine Notlügen können sogar akzeptiert werden, wenn sie dazu beitragen, eine Beziehung zu befrieden (wie es der Fall bei Aharon ist, von dem Hillel sagt, dass er „den Frieden liebt und ihm nachjagt“.
Das Predigen oder die Lehre einer sorgfältigen Ausdrucksweise könnte eine der ersten Möglichkeiten sein, um unwiederbringliche Tragödien zu vermeiden. In der schönen und naiven Anziehungskraft dieser Lehre liegt vielleicht das Geheimnis, wenn nicht für den Weltfrieden, so doch für ein friedlicheres Zusammenleben.
Liliana Furman ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Pnina Navè Levinson Seminar für Jüdische Studien der Universität Paderborn.
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