In dem Theaterstück Warten auf Godot von Samuel Beckett warten zwei Männer, Wladimir und Estragon, auf Godot. Wer ist Godot? Wann will er kommen? Niemand weiß es und der Zuschauer wird es auch nie erfahren. Beckett verstand den Zwang zu langen und vergeblichen Warten als eine Allegorie auf das Leben. Diese von Beckett aufgegriffene Kulturtechnik des Warten-Könnens, die wir unser ganzes Leben einüben und gerade jetzt in Corona-Zeiten mehr als das zu erwartende Maß eingefordert wird, scheint so der Zeitforscher Karlheinz Geißler abhanden gekommen zu sein. In einer Welt, in der vieles mit einem Klick erledigt ist, fällt uns „leere“ Zeit auszuhalten schwer. Dabei haben bereits die Vordenker der Existenzphilosophie des 19. Jahrhunderts als einer ihrer Leitideen konkretisiert, dass der Mensch erst aus den Ablenkungen des Alltags herausfinden müsse, um in der Leere wirklich zu sich selbst zu finden und mit sich ins Reine zu kommen. Einen schnellen Weg in diese Leere sahen die Philosophen unter anderen in der Erfahrung des Wartens und der Vergänglichkeit des Lebens. Erst wenn dir das Leben den Boden unter den Füßen wegzieht und du nicht mehr in der Lage bist, deinem gewohnten Alltagstrott nachzugehen, hinterfragst du deine Existenz. So wie die beiden Protagonisten in Godot ohne Aufgabe einfach warten und dabei feststellen müssen, wie ihre Lebenszeit unwiederbringlich verrinnt. So bedrohlich das Nichtstun und Warten auch erscheint, der Philosoph Martin Heidegger sah darin dennoch etwas Hoffnungsvolles. Schließlich können wir dadurch Antworten auf die Frage nach dem Sinn unseres Seins finden – und das ist nicht mit Zeit aufzuwiegen. Und wenn wir erst einmal in der Leere angekommen sind, können sich in unserem inneren Reflexionsprozess nicht nur belastende Emotionen wie Angst und Einsamkeit lichten, sondern so der im 11. Jahrhundert wirkende Universalgelehrte Abu Hamid Al-Ghazali das Erkennen Gottes erspürt werden. Wer also nach Al-Ghazali der Leere keinen Raum schafft, verschanzt sich gegen sich selbst und damit gegenüber dem Erkennen Gottes. Leere so Al-Ghazali mit Verweis auf Sure ar-Rūm Vers 22 entstehe dabei nicht allein im Zustand des Warten-könnens, sondern im tiefen Zustand des Verweilens, der es ermögliche die Zeichen Gottes zu erkennen. Ganz im Sinne Al-Ghazalis ermutigte auch der Philosoph Theodor W. Adorno zum Verweilen: Wer verweile, der kategorisiere und deute nicht sofort in schön und hässlich, gut oder schlecht, der mache mit seiner Sprache nicht sofort alles platt. Er hat die Möglichkeit, eine tiefere Bedeutung zu erkennen, die dem verschlossen bleibt, der ohne Zeit über die kleinen Details des Alltags hinweghetzt. Vielleicht geht es daher gar nicht bei Godot wer er ist, wann er erscheint und worauf wir warten, sondern wie wir die Zeit des Wartens in uns blickend verbringen.
Dr. Idris Nassery ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Islamische Theologie an der Universität Paderborn.
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