Während in dieser Woche die erschreckenden Bilder vom Sturm auf das Kapitol über die Bildschirme gingen, kam mir wieder und wieder ein anderes Bild in den Sinn, das wie wenige andere für eine problematische Verstrickung von Religion und Politik in der Amtszeit Donald Trumps steht. Im Sommer des vergangenen Jahres ließ der Präsident sich für dieses Bild mit Tränengas den Weg räumen – um dann triumphierend eine Bibel vor der Washingtoner St. Johns-Kirche in die Luft zu halten.
Es sind Fotos wie diese, die den Verdacht nahelegen, die Verbindung von Religion und Politik sei vor allem: anfällig für Missbrauch. Man werde eines Tages auch über die Rolle reden müssen, die einige Katholiken bei der politischen Gewalt der vergangenen Monate gespielt haben, twitterte der Theologe Massimo Faggioli am Mittwochabend. Immer wieder war in den letzten Monaten der Tenor verständlich, das „politische Christentum“ spiele eine negative Rolle. Man könnte an die Videos von Predigern denken, die das Coronavirus durch eine Art Zauberspruch bekämpfen wollten. Manchmal scheint eine Allianz von Christentum und Populismus schon durch ein Stichwort (etwa: „pro life“) herstellbar zu sein, ohne dass genauer gefragt wird, ob die konkrete Politik dieses nicht eher konterkariert.
Aufgrund solcher Beispiele kann ich es kaum jemandem übelnehmen, Religion zur reinen Privatsache erklären zu wollen, die bitte nicht allzu öffentlich werden solle. Vielleicht gehört es aber gerade (auch) zu den politischen Aufgaben gläubiger Menschen, mitunter Einspruch zu erheben. Denn Theologie und Glaube spielen immer auch eine politische Rolle, und sei es nur angesichts der Frage, wozu wir schweigen und wozu nicht.
Vor wenigen Wochen jährte sich der erste Todestag von Johann Baptist Metz. Er hat immer wieder für eine „Gottesrede mit dem Gesicht zur Welt“ geworben und so eingeschärft, dass der Glaube nicht nur etwas für Sonntagvormittage ist. Dessen politische Dimension hat freilich nichts mit kritikloser Systemstabilisierung oder der Machtdemonstration religiöser Symbole zu tun, sondern habe sich an der „Autorität der Leidenden“ zu orientieren. Dafür braucht es, was Papst Franziskus in seiner aktuellen Enzyklika als „politische Nächstenliebe“ (Fratelli Tutti, 180-192) beschreibt.
Ideologiekritik wird wohl weiter zu den Aufgaben der Theologie gehören müssen. Wie schön wäre es aber, wenn wir in einer Weise wirkten, dass man bei der Verbindung von Christentum und Politik künftig zuerst an derartige Botschaften denken würde.
Lukas Wiesenhütter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Katholische Theologie der Universität Paderborn.