Am 03.10.2020 hat Papst Franziskus eines seiner wichtigsten Lehrschreiben (Fratelli Tutti) über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft veröffentlicht. Was mir in seiner Enzyklika aufgefallen ist und was ich sehr bewegend finde, ist die Tatsache, dass er sich einige Anregungen zu seinem Schreiben vom Großscheich Ahmad Al-Tayyeb geben ließ (vgl. Fratelle Tutti 5). Wir stehen also vor einem Text, in dem der Papst sich von einem muslimischen Gelehrten hat inspirieren lassen. Ist das nicht schön?
Dies ist nicht die einzige Erwähnung im Text, in dem der Papst ausdrücklich Scheich Al-Tayyeb gelobt und gewürdigt hat. Vielmehr erinnert er gleich mehrfach an ihre gemeinsamen Diskussionen und ihre guten Beziehungen. Beide kritisieren das internationale Schweigen zur weltweiten Ungerechtigkeit und dem Fehlen einer gerechten Verteilung der natürlichen Ressourcen. Denn diese Krise führe dazu, „dass Millionen von Kindern aufgrund von Armut und Unterernährung bis auf die Knochen abmagern und an Hunger sterben“ (Fratelli Tutti 29).
In Fratelli Tutti 136, 192 erinnert der Papst noch einmal an seinen Dialog mit dem Großscheich und wie sie gemeinsam die Beziehung zwischen Ost und West sehr hoch schätzen. Diese Beziehung soll nicht vernachlässigt werden. Vielmehr soll es Dialoge und Austausche zwischen beiden Kulturen geben. Denn „Der Westen könnte in der Kultur des Ostens Heilmittel für einige seiner geistigen und religiösen Krankheiten finden, die von der Vorherrschaft des Materialismus hervorgerufen wurden. Und der Osten könnte in der Kultur des Westens viele Elemente finden, die ihm hilfreich sind, sich von der Schwachheit, der Spaltung, dem Konflikt und vor dem wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Abstieg zu retten“. Außerdem kritisieren sie die Ausnutzung der Religionen, um Gewalt und Hass in der Welt zu verbreiten. Darüber hinaus wird er am Ende beim gemeinsamen Aufruf für Frieden, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit ganz prominent noch einmal Al-Tayyeb zitiert (Fratelli Tutti 285). Auch dasGebet zum Schöpfer zum Abschluss ist deutlich auf das Gebet mit Juden und Muslimen hin gesprochen (Fratelli Tutti 287) und illustriert die geistliche Dimension der Verbundenheit, die der Papst über Religionsgrenzen hinweg bezeugt. In allen oben genanntenPunkten sehe ich Denkanstöße, die uns zu mehr Menschlichkeit ermutigen. Aus meiner Sicht brauchen wir mehr Dialog und Austausch zwischen Muslimen und Andersgläubigen sowohl in Form eines akademischen Austausches als auch in der Gesellschaft. Wer hätte gedacht, dass es der Papst ist, der uns Muslimen hierzu Mut macht!
Ahmed Elshahawy ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.