„Damals, als dein Herr aus den Kindern Adams, aus ihren Lenden ihre Nachkommenschaft nahm und sie gegen sich zeugen ließ: ‚Bin ich nicht euer Herr?‘. Da sprachen sie: ‚Jawohl, wir bezeugen es!‘. Damit ihr nicht am Tag der Auferstehung sagt: ‚Wir wussten nichts davon!‘“ (Q 7:172).
Im Vers 172 der siebten Sure des Korans („Die Höhen“) wird beschrieben, wie Gott mit der ganzen Menschheit einen Bund schließt. Er entnimmt aus den Kindern Adams ihre Nachkommenschaft und lässt sie bezeugen, dass Gott ihr Herr ist. Gleich darauf wird gewarnt, dass danach keiner mehr eine Ausrede hat, dass Gottes Zusage ihn nicht erreicht hat. Die traditionelle muslimische Koranexegese hat zu bestimmen versucht, wann und mit wem Gott diesen Bund geschlossen hat: Sind hier konkrete Gruppen gemeint oder die ganze Menschheit? Zu welchem Zeitpunkt hat Gott diesen Bund geschlossen? Etwa bei der Erschaffung Adams? Tatsächlich trägt die hier besprochene koranische Szene die Züge einer mythischen Vorzeit. Ganz bewusst scheint der Vers von jeglichen räumlichen und zeitlichen Koordinaten enthoben. Die konkrete Identifizierung einer Gruppe oder Person scheint hier gar nicht gewollt zu sein. Vielmehr ist die gesamte Charakteristik des Verses dem Gedanken von Gottes ewiger Zusage an die ganze Menschheit verpflichtet. Von menschlicher Perspektive lässt sich dieses Verhältnis in zeitlichen Kategorien schwerlich fassen: In welcher Relation steht das endliche Leben des Einzelnen zum ewigen Gott? Und welcher Moment in der Geschichte begründet das Gott-menschliche Verhältnis? Vers 172 scheint genau diese Fragen durch ein mythisches Bild zu fokussieren: Gottes ewige Zusage an die Menschheit wird in einem einzigen überzeitlichenMoment gefasst. Dieser Moment ist jeglicher zeitlicher und räumlicher Koordinate enthoben. Denn Gottes Zusage besteht seit ewiger Zeit und ist universal: Sie umfasst Adam, seine Nachkommen und dessen Nachkommen. Es ist nicht ein konkreterMoment in der Geschichte der Menschheit, der dieses Gott-menschliche Verhältnis begründet. Vielmehr kann sich jeder Mensch gewiss sein, dass für ihn immer schon die Zusage Gottes besteht und dass er diese freiheitlich annehmen kann.
Dr. Zishan Ghaffar ist Vertretungsprofessor für Koranexegese – Seminar für Islamische Theologie Koranwissenschaften – an der Universität Paderborn.