Angesichts der aktuellen Krise prasseln durch Social Media täglich eine Vielzahl von Informationen, Meinungen, Fragen, vermeintlichen Antworten, Prognosen, Horrorszenarien, Selfcare-Ratschlägen und Corona-Memes auf uns ein. Der folgende Tweet ist erst einmal recht unspektakulär, aber hat mich eine ganze Weile beschäftigt:
„I just don’t understand y’all academics who are writing/reading/working right now. I spend all day in ball of anxiety. Nothing matters anymore. The world is literally on fire. People are dead. How do you manage to give one fuck about journal reviews?“
Dieser Beitrag einer Soziologin aus den USA wurde zwei Tage nach Absetzen des Tweets 2000mal geteilt und beinahe 19.000mal geliked. Eine beträchtliche Anzahl der 500 Kommentare verweist darauf, dass die hohe Produktivität selbst in Zeiten der Krise den Menschen dabei hilft, irgendwie mit der Situation umzugehen und so etwas wie Normalität zu generieren. Coping-Strategie ist hier das Zauberwort. Der Nine-to-Five-Arbeitstag und das Einhalten von Deadlines hilft dabei, sich von der Welt, die „on fire“ ist, von den eigenen existentiellen Ängsten und Unsicherheiten abzulenken. Besorgniserregend ist, dass das Produktiv-sein-müssen für viele die ganz gewöhnliche Art und Weise, sozusagen ein eingefleischter Mechanismus, zu sein scheint, mit Krisen umzugehen. Angst wird nicht zugelassen, weil Angst gesellschaftlich nicht akzeptabel ist. In diesen Tagen ist die Angst allerdings für viele zur Grundkonstanten des Alltags geworden und derart nahe gerückt, dass die alten Strategien und Ablenkungsmanöver nicht mehr funktionieren. Und auch außerhalb des Privaten ist Angst plötzlich „gesellschaftsfähig geworden“. So verwundert es nicht, dass die Angst auch das zentrale Thema der Predigt des Papstes anlässlich des außerordentlichen „Urbi et Orbi“-Segens auf dem Petersplatz am 27. März ist. „Fürchtet euch nicht!“ ist die Botschaft des Evangeliums, ist die Botschaft Weihnachtens und die Botschaft des kommenden Osterfestes. Angst gehört angesichts der Zerbrechlichkeit des Lebens allerdings zum Menschsein hinzu und lässt sich nicht einfach und auf Dauer abstellen oder verleugnen. So sagt uns die Botschaft eigentlich: „Es ist ok, dass ihr euch fürchtet, lasst die Furcht zu, aber lasst die Furcht nicht das letzte Wort über euch und euer Handeln haben.“ Das gilt in Zeiten der Krise, das gilt aber auch in Zeiten der Normalität.
Dr. Cornelia Dockter ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie – Systematische Theologie – der Universität Paderborn.