Lea Biere ist aktuell Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Bildungssoziologie und promoviert zu den Themen KI und soziale Ungleichheit im Kontext der Hochschulbildung. Im Anschluss an das Peer-Mentoring-Programm Einblick! ist sie nun Mentee im Mentoring für Doktorandinnen, da sie in der Promotionszeit Austausch, Rat, ein Netzwerk, … einen Safespace suchte. Bereits als 1st-Generation-Studentin stellte sie fest, dass in der Wissenschaft viel Wissen und zahlreiche Regeln ungeschrieben und implizit sind. Im Interview erzählt sie von ihrem Weg in die Wissenschaft und von ihren Erfahrungen im Mentoring.
Stichwort ‚Mentoring‘: Was geht dir durch den Kopf?
Mit dem Begriff Mentoring verbinde ich respektvolle und bereichernde Kommunikation, Unterstützung und wertschätzenden Austausch auf Augenhöhe. Ich sehe eine Tandembeziehung zwischen einer noch unerfahreneren und einer schon erfahrenen Person (zumeist weiblich) vor meinem inneren Auge. Im Peer-Mentoring-Programm Einblick! für Studentinnen, das mir geholfen hat, meine Entscheidung für die Promotion zu treffen, habe ich praktisch erfahren, wie unterstützend der gemeinsame Austausch unter Gleichgesinnten und die Weitergabe von Erfahrung und informellem Wissen sein können.
Dein Weg in die Wissenschaft …
Ich habe irgendwann mit dem Gedanken gespielt, zu promovieren. Aber eigentlich ist das, so dachte ich, nur etwas für die richtig Guten, für die anderen, aber nicht für mich. Ich plante, Lehrerin zu werden. Eine Promotion lag nicht in meinem Horizont, ich hatte auch keinerlei Berührungspunkte mit Promovierenden. Zahlreiche Begegnungen, Gespräche und Erfahrungen später ist mir jedoch bewusst geworden, dass ich nicht in der Schule arbeiten möchte. Dies hat verschiedene Gründe – aber kurz und knapp: Die Erwartungen und Haltungen im Beruf als Lehrer*in entsprechen nicht dem, was ich im Studium gelernt habe und wovon ich (insbesondere bezogen auf guten Unterricht) überzeugt bin.
Das wissenschaftliche Arbeiten, das Forschen, die stetigen Herausforderungen im Studium und meine SHK- und WHB-Jobs haben mir sehr viel Spaß gemacht. Nach meinem abgeschlossenen Referendariat entschied ich mich deshalb bewusst dafür, in die Wissenschaft zurück zu kehren und zu promovieren.
… Und los ging die wilde Fahrt. Finanzierung sichern, Thema finden, Fachbereichs- und Betreuungswechsel, Exposé schreiben, Karriereplanung, Wieder-ins-Wissenschaftliche-Arbeiten-Kommen, Literatur lesen, KI-Tools kennen lernen, Up-to-Date-Bleiben, Lehre und Betreuung von Hausarbeiten, Hochschulpolitik, Auslandsaufenthalte planen und so vieles mehr. Ein stetes Auf und Ab der Gefühle. Stolz, Verzweiflung, Freude, Enttäuschung, … Ich fühlte mich zwischendurch enorm verloren. Ist die Promotion vielleicht doch nicht das Richtige? Bin ich die einzige, der es so geht? Was machen andere anders, wie gehen sie vor? Mir wurde bewusst, dass ich erneut Austausch und Rat brauchte – eine ehrliche Außenperspektive. Aber von wem? Im hierarchisch und hoch kompetitiven Wissenschaftssystem eine heikle Frage. Wem kann ich von meinen Sorgen und Zweifeln erzählen und dann auch noch eine ehrliche Antwort erwarten?
Du hast dich für die Teilnahme am Mentoring-Programm für Doktorandinnen entschieden …
Genau. Das Programm bietet die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen über die vielen Fragen und Herausforderungen zu sprechen, die man ggf. nicht mit Kolleg*innen, Chef*in und/oder Betreuer*in der Dissertation teilen möchte. Über so vieles wird nicht gesprochen, es sind Tabuthemen, die stillschweigend mit am Arbeitsplatz sitzen. Zugleich ermöglicht mir das Mentoring-Programm nicht nur den Austausch mit anderen Promovendinnen, sondern ich erhalte auch die Unterstützung bzw. den Rat und das direkte Feedback einer Mentorin – einer Professorin, die ihre Erfahrungen in der Wissenschaft mit mir teilt. Dies hilft mir dabei, zu fokussieren, Prioritäten zu setzen, Situationen besser einzuschätzen und mit Herausforderungen angemessen umzugehen. Und: Dass das Mentoring-Programm für Frauen konzipiert ist, schätze ich als sehr wertvoll ein. Ich kenne Kollegen*, die sagen, sie hätten ein solches Mentoring auch gut gebrauchen können. Und das stimmt. Trotzdem genießen Männer* (so divers sie auch sind) noch immer Privilegien, werden als kompetenter wahrgenommen, ernster genommen, können Familien- und Karriereplanung anders angehen, die biologische Uhr tickt leiser, kein Stellenverlust wegen Schwangerschaft, keine Anpassung an ein patriarchales System, mehr Vorbilder des eigenen Geschlechts, weniger Mental Load und keine Sanktionen, weil sie Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen an den Tag legen. Es gibt Herausforderungen, denen sich Männer* in einem System, von dem sie stärker profitieren als Frauen*, nicht stellen müssen. Ich arbeite momentan in einem tollen Fachbereich und Team. Doch es ist auch klar, dass es den Gender-Pay-Gap, den Gender-Care-Gap, den Gender-Competence-Gap usw. gibt und nach Abschluss meiner Promotion weiterhin – auch an anderen Universitäten – geben wird.
Wem und wie nutzt das Programm?
Das Mentoring für Doktorandinnen richtet sich an Promovendinnen aller Fakultäten, die gerne in den Austausch mit anderen gehen, ihre Erfahrungen teilen und sich gegenseitig unterstützen möchten. Der Karriereweg der Wissenschaftlerin braucht neben fachlichen Fähigkeiten, Glück & Co. auch Netzwerke und das Netzwerk im Mentoring ist eines, das Mut macht, Kraft schenkt und Freude bereitet. Hier wird offen über persönliche oder „risikobehaftete“ Themen gesprochen und implizites Wissen (unabhängig vom Fach), das ich als 1st-Generation-Promovierende nicht besitze, expliziert. Der Rat der professoralen Mentorin schenkt Selbstvertrauen und unterstützt eine realistische Situations- und Selbsteinschätzung. Fragen zur Ausrichtung der eigenen Forschungsschwerpunkte können ebenso besprochen werden, wie Fragen zur Qualifikation oder zur Chance auf eine Professur. Was muss ich alles dafür tun und wissen? Was kommt auf mich zu? Wie will ich damit umgehen?
Kannst du ein erstes Fazit zu deiner Teilnahme ziehen?
Ich habe festgestellt, dass es mir zu Beginn der Promotionsphase mit all ihren Unsicherheiten so geht wie vielen anderen auch. Meine Mentorin sagte einmal: „Fischen im Trüben gehört gerade am Anfang einfach dazu. Hab Vertrauen in den Prozess!“
Im Mentoring-Programm habe ich viele gute Ratschläge erhalten und auch viele schon zurückgeben können. In den Kleingruppen – unter uns Doktorandinnen – können wir uns austauschen, lachen, Probleme lösen und Fragen stellen. Auch die Workshops zu spezifischen Themen und die gemeinsamen Schreibtage im Programm unterstützen die eigene Karriereentwicklung und ermöglichen Reflexionsmomente. Ich erlange stetig neue Einsichten und fälle Entscheidungen gezielter und bewusster.
Blick nach vorn …
Ich blicke nach wie vor mit Unsicherheit in die Zukunft. Das hat das Wissenschaftssystem z.B. angesichts der prekarisierten Beschäftigungsverhältnisse samt WissZeitVG leider an sich. Aber ich weiß, dass es vielen anderen genauso geht und wir wissen wiederum, dass wir ein Netzwerk haben, das wir uns aufgebaut haben und auf das wir setzen können. Das schafft tatsächlich eine Art von Sicherheit in einem unsicheren System. Ich habe nach wie vor das Berufsziel, Universitätsprofessorin zu werden. Viele Fähigkeiten und viel (implizites) Wissen bringe ich inzwischen mit … oder ich weiß, wie ich diese(s) erlange.