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Zusammen schreibt man weniger allein. Das Kompetenzzentrum Schreiben an der Universität Paderborn.

Der Titel dieses Gastbeitrags ist geklaut. Das macht aber nichts, denn er ist so wahr, dass man ihn nicht oft genug wiederholen kann.[1] Die Idee, dass es hilft, gemeinsam mit anderen zu schreiben und über das Schreiben und über Texte zu sprechen, ist eine Grundidee der Arbeit von Schreibzentren auf der ganzen Welt. Entsprechend ist sie auch prägend für das Paderborner „Kompetenzzentrum Schreiben“, das Prof. Dr. Ingrid Scharlau im Jahr 2008 ins Leben rief. Wir verstehen es als ein Zentrum für wissenschaftliches Schreiben in Studium, Forschung und Lehre; das heißt, als Service-Einrichtung für Studierende, Promovierende und Lehrende. Wir, das Team des Kompetenzzentrums Schreiben, unterstützen Schreibende aller Fächer auf ihrem Weg zum und durch den eigenen Text. Das kann die erste Hausarbeit, ein Portfolio, die Dissertation, ein Paper und vieles andere mehr sein. Darüber hinaus fördern wir Lehransätze, die wissenschaftliches Lesen und Schreiben schon früh ins Studium einbinden. Beispielsweise indem kleine Schreibaufgaben in den Verlauf fachlicher Veranstaltungen eingebunden, mit Textfeedback gearbeitet oder Fachtexte nicht nur inhaltlich, sondern auch als Texte mit spezifischen typischen Eigenschaften gemeinsam gelesen werden.

Konkret umfassen unsere Angebote Workshops zu unterschiedlichen Phasen im wissenschaftlichen Schreibprozess, verschiedene Schreibevents und Gruppenformate sowie die individuelle Schreibberatung. Für Promovierende, Promotionsinteressierte und Post-Docs haben wir z.B. eine Workshopreihe im Programm, die sich von der Themensuche und dem Schreiben eines Exposés über den Start ins Promotionsschreibprojekt und die Überarbeitung von schon Geschriebenem bis hin zum Umgang mit Peer-Reviews erstreckt. 

Besonders gerne arbeiten wir im Schreibzentrum mit den Mentoring-Programmen der Universität Paderborn zusammen, mit denen wir im Speziellen Schreibangebote für Frauen, also für promotionsinteressierte Studentinnen, Doktorandinnen und Post-Docs, schaffen. Wissenschaftliche Texte sind die Währung im akademischen Bereich. Hausarbeiten, Abschlussarbeiten, Dissertationen, Publikationen und Forschungsanträge – sie alle entscheiden über Erfolg und Nicht-Erfolg in Studium und wissenschaftlicher Karriere. Aus der Zusammenarbeit mit den Mentoring-Programmen sind bereits zahlreiche Veranstaltungen entstanden: der regelmäßig stattfindende Workshop „Themenfindung für die Promotion“ im Rahmen des Peer-Mentoring-Programms Einblick!, ein Adventsschreiben im Winter, digitale Schreibtage und -wochen in der Pandemiezeit (Stichwort: Daheimgeschrieben, die Damen!), die jährlich stattfindende Endspurt-Schreibgruppe für Doktorandinnen, die kurz vor der Abgabe ihres Promotionsschreibprojekts stehen, und schließlich die Schreibzeit für (Post-)Doktorandinnen, für die wir ein paar Tage wegfahren, um in Ruhe und Gesellschaft an aktuellen Schreibprojekten zu arbeiten.

Gerade die Zielgruppe der Promotionsinteressierten, Promovierenden und Post-Docs kommt mit ganz unterschiedlichen Fragen zu uns ins Kompetenzzentrum Schreiben:

  • Wie schaffe ich mir Zeit zum Schreiben?
  • Wie grenze ich mein Thema sinnvoll ein?
  • Wie kann ich mich neu motivieren?
  • Was sind meine nächsten wichtigen Schritte auf dem Weg zur Promotion?
  • Wie gehe ich mit Schreibkrisen um?
  • Was ist mein Beitrag zu meinem Forschungsfeld und wie bringe ich ihn in Textform?
  • Wie kann ich einzelne Textfragmente zu einem sinnvollen Ganzen verbinden?

An diesen Fragen wird schon klar: Wir verstehen Schreiben als sehr ,großräumige‘ Tätigkeit, die weit mehr als das bloße Aufschreiben von vermeintlich immer-schon-klaren wissenschaftlichen Inhalten umfasst. Schreiben heißt für uns deshalb: Denken, Lesen, Sich-Fragen, Forschen, Ideen-Finden, Ideen-Verwerfen, Notieren, Neu-Schreiben, Um-Schreiben, Antworten, Kritisieren, Sich-auf-andere-Beziehen, Sich-von-anderen-Abgrenzen, Lernen und vieles, vieles mehr.

Unser weites Verständnis von Schreiben basiert auf schreibwissenschaftlicher Forschung – ein wahrhaft interdisziplinäres Unterfangen mit Beiträgen aus der Psychologie, der Linguistik, der Soziologie, der Wissenschaftstheorie und vielen weiteren Feldern (Lesetipps für Interessierte: Haacke-Werron et al., 2022; Huemer et al., 2020). Der Ansatz, den wir am Kompetenzzentrum Schreiben verfolgen, spiegelt diese Breite wider. Wir achten bei der Konzeption unserer Angebote und besonders auch bei der Art und Weise, wie wir im Rahmen dieser Angebote mit Studierenden, Promovierenden und Lehrenden über das wissenschaftliche Schreiben sprechen, z.B. auf den großen Einfluss der verschiedenen Fachkulturen auf das Schreiben. Fachliche Schreibpraktiken beeinflussen, wie die einzelne Person ihren eigenen Schreibprozess und ihren eigenen Text wahrnimmt. Im Gegenzug kann Schreiben ganz bewusst zur Enkulturation in eine Fachcommunity und zur Entwicklung des eigenen akademischen Selbst beitragen. Dass das nicht immer simpel und auch nicht immer angenehm ist, sondern anspruchsvoll und manchmal auch nervenaufreibend, versteht sich eigentlich von selbst. Für diese Fälle sind wir als Schreibzentrum da. Auf den Fluren der Universität Paderborn finden sich manchmal Plakate von uns. Auf einem davon steht, was ich gerne zum Schluss allen Leser*innen dieses Gastbeitrags sagen möchte: „Kommt zu uns! Wir bringen akademisches Schreiben nicht bei, sondern Schreibende aus allen Fächern zusammen.“

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Dr. Andrea Karsten ist Koordinatorin des Kompetenzzentrums Schreiben an der Universität Paderborn. In Schreibdidaktik und -forschung befasst sie sich mit individuellen und fachkulturellen Schreibpraktiken von Promovierenden und Lehrenden. Ihr liebster Tipp für Promovierende: Sprecht über das Schreiben und findet Freund*innen in eurem Themengebiet!

Literatur:

Huemer, B., Doleschal, U., Wiederkehr, R., Girgensohn, K., Dengscherz, S., Brinkschulte, M. & Mertlitsch, C. (Hrsg.) (2020). Schreibwissenschaft – eine neue Disziplin: Diskursübergreifende Perspektiven. Böhlau.

Fröhlich, M., Henkel, C., & Surmann, A. (Hrsg.) (2017). Zusammen schreibt man weniger allein. (Gruppen-) Schreibprojekte gemeinsam meistern. UTB.

Haacke-Werron, S., Karsten, A. & Scharlau, I. (Hrsg.). (2022). Reflexive Schreibwissenschaft: Disziplinäre und praktische Perspektiven. wbv.


[1] Das rechtfertigt den Klau natürlich nicht. Hier ist die Quelle: Zusammen schreibt man weniger allein heißt ein Ratgeber für (Gruppen-)Schreibprojekte unserer Bielefelder Kolleginnen Melanie Fröhlich, Christiane Henkel und Anna Surmann aus dem Jahr 2017, erschienen bei utb.

Erste Generation Promotion Mentoring+ – ein Angebot für Erstakademiker*innen

Das Mentoring-Programm „Erste Generation Promotion Mentoring+“ der Universität zu Köln unterstützt Promovierende und Promotionsinteressierte mit einem nichtakademischen Familienhintergrund. Erstakademiker*innen entscheiden sich deutlich seltener für einen wissenschaftlichen Karriereweg. Die Ursachen hierfür sind persönliche sowie systemische Hürden, die es zu meistern gilt. 

Der Einfluss der sozialen Herkunft auf Bildungschancen ist in Deutschland besonders groß. Wir wissen dies hauptsächlich für das Schulsystem, aber auch für den Zugang zum Abitur. Während 79 von 100 Akademiker*innenkindern nach der Schule ein Studium beginnen, sind es bei Nichtakademiker*innenkindern lediglich 27 von 100.[1] Mit dem erfolgreichen Start eines Studiums hört dieser Einfluss jedoch nicht auf zu wirken. Vielmehr zeigen Untersuchungen, dass sogenannte Arbeiter*innenkinder seltener in wissenschaftlichen Berufsfeldern vertreten sind – ihr Anteil unter Promovierenden, Postdocs und Professor*innen ist deutlich geringer als der von Akademiker*innenkindern. 

Neben individuellen Faktoren, die eine Rolle dabei spiele, ob eine Person sich für oder gegen eine wissenschaftliche Karriere entscheidet,gibt es einige systemische Aspekte, die dazu beitragen, dass diese Personengruppe in der Wissenschaft unterrepräsentiert ist. Häufig gehören hierzu neben fehlenden finanziellen Ressourcen vor allem Fremdheitserfahrungen gegenüber der Hochschule oder der Familie, fehlendes informelles Wissen sowie weniger tragfähige Netzwerke, in denen solches Wissen zumeist weitergegeben wird. Dessen Effekte zeigen sich nicht selten bereits im Studium, bekommen aber mit dem Beginn einer Promotion bzw. dem Wunsch zu promovieren noch einmal zusätzlich Gewicht.

Genau an diesem Punkt setzt das Kölner Programm „Erste Generation Promotion Mentoring+“ an. Es richtet sich an Promovierende und Promotionsinteressierte mit einem nichtakademischen Familienhintergrund und unterstützt diese bei der erfolgreichen Aufnahme und Durchführung einer Promotion. Seit Herbst 2017 werden jedes Jahr 15 Mentees in das einjährige Programm aufgenommen. Bewerben können sich Mitglieder aller Fakultäten und Geschlechter.

Das Herzstück des Mentorings bildet das One-to-one-Mentoring. Alle Mentees werden jeweils von einer*einem Mentor*in begleitet, die*der bereits erfolgreich promoviert ist und ebenfalls einen nichtakademischen Familienhintergrund hat. Die Erfahrung der geteilten Herkunft bildet dabei das Fundament des gemeinsamen Austauschs auf Augenhöhe und ohne Abhängigkeitsverhältnis. Es kann inhaltlich dabei um alle Fragen rund um die Promotion, aber auch um Themen wie Karriereentwicklung oder die eigene Life-Work-Balance gehen. Das Tandem teilt zumeist den gleichen fachlichen Hintergrund, sodass die Mentees von den Erfahrungen und dem Wissen ihrer*ihres Mentor*in profitieren können. Mindestens vier gemeinsame Treffen sollen während des Programmzeitraums stattfinden.

Eine Besonderheit des EGP-Mentorings im Vergleich zu anderen Programmen ist die Datenbank potenzieller Mentor*innen. Da die Informationen über den sozialen Hintergrund einer Person meist nicht öffentlich zugänglich sind, suchen die Mentees sich ihre Mentor*innen nicht selbst aus, sondern bekommen zum Start des Programms eine*n Mentor*in zugewiesen. Das sogenannte Matching übernimmt die Programmkoordination auf Grundlage der Wünsche, die die Mentees äußern. Aktuell haben wir etwas mehr als 100 potenzielle Mentor*innen in der Datenbank. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Fachbereichen, befinden sich auf unterschiedlichen Karrierestufen, arbeiten innerhalb sowie außerhalb der Wissenschaft, an der Universität zu Köln als auch an anderen Institutionen. Was sie neben ihrer nichtakademischen Herkunft teilen, ist das Engagement für mehr Bildungsgerechtigkeit in der Wissenschaft und den Wunsch mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen eine*n junge*n Wissenschaftler*in auf dem Weg zur Promotion zu unterstützen. Viele von ihnen hätten sich selbst eine solche Begleitung auf dem eigenen Weg gewünscht und melden sich daher proaktiv, um im Programm mitzuwirken.

Neben dem Mentoring als wichtigstem Baustein des Programms gibt es ein verpflichtendes Workshopangebot für die Mentees. Hierbei handelt es sich um Workshops, die sich spezifisch an die Zielgruppe richten und Themen aufgreifen, die von der Zielgruppe häufig als problematisch empfunden werden. Ein Beispiel sind etwa informelle Spielregeln und Kommunikationssituationen, wie z.B. der Small Talk in der Kaffeepause während einer Konferenz. Neben der Vermittlung solcher Softskills sowie dem Raum für persönliche Reflexion über die eigene Herkunft geht es vor allem um den gemeinsamen Austausch innerhalb der Gruppe. Die Erkenntnis, dass viele von ihnen gleiche oder ähnliche Erfahrungen in ihrem Studium und während ihrer Promotion gemacht haben bzw. machen, ist häufig eine große Entlastung. Zeigen doch gerade diese geteilten Erfahrungen die strukturelle Ebene von Chancenungleichheit im akademischen System auf. Der Austausch in der Peergruppe und die Erkenntnis, dass „es nicht nur mir so geht“, stärken das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und schaffen einen sicheren Raum für gegenseitiges Empowerment.

Auch wenn das Programm bereits seit einigen Jahren erfolgreich läuft, bleibt es bisher deutschlandweit das Einzige institutionalisierte Angebot, das sich ausschließlich an diese Zielgruppe richtet. Soziale Herkunft als Diversitätskategorie und Chancengerechtigkeit rücken jedoch immer mehr in den Fokus von Universitäten und Hochschulen. Dabei geht es zum einen darum, die beschriebenen Hürden abzubauen und die Zielgruppe zu unterstützen. Zum anderen stehen wir vor der Herausforderung unsere tradierten Vorstellungen von Universitäten, Wissenschaft und Wissenschaftler*innen kritisch zu hinterfragen, um unsere Institutionen vielfältiger und chancengerechter zu gestalten.

Dr. Ann-Kristin Kolwes ist Expertin für Bildungsgerechtigkeit im Hochschulkontext. Sie koordiniert das Programm „Erste Generation Promotion Mentoring+“ und ist Gründungsmitglied des Vereins Erste Generation Promotion. Als Erstakademikerin ist Bildungsgerechtigkeit für sie ein echtes Herzensthema.


[1] Stifterverband, Vom Arbeiterkind zum Doktor. Der Hürdenlauf auf dem Bildungsweg von Erststudierenden, 2021, S. 3. https://www.hochschulbildungsreport.de/2021/chancengerechte_bildung