Archiv der Kategorie: Gastbeiträge

Als Prodekanin Gleichstellung, Diversität und Nachhaltigkeit im Blick

Als zentrale Anlaufstelle der Fakultät und Verbindungsglied zu den Instituten übernimmt das Dekanat die Leitung der jeweiligen Fakultät. Gemeinsam mit dem Dekanatsteam gestaltet es die strategische Entwicklung in den Bereichen Forschung, Lehre und zentrale Querschnittsthemen. Seit Oktober 2023 ist Larissa Eikermann als Prodekanin für Nachhaltigkeit, Gleichstellung und Diversität an der Fakultät für Kulturwissenschaften tätig. Sie ist die erste Person aus dem Mittelbau, die ein solches Amt ausübt. In diesem Beitrag gibt sie Einblicke in ihre Arbeit, ihren Schwerpunkt auf Gleichstellung, ihre Motivation und aktuelle Projekte.

Was bedeutet Gleichstellung für dich? Und was spornt dich an, dich in Gleichstellungsdingen im Hochschulkontext zu engagieren?

In meiner hauptamtlichen Tätigkeit bin ich seit über zehn Jahren wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fach Kunst im Bereich der Malerei und ihrer Didaktik. In dieser Zeit habe ich bereits vielfältige Aufgabenfelder und Tätigkeiten kennenlernen können, u.a. im Beratungsbereich, als Mutterschutzbeauftragte des Faches sowie im Kontext von Kommissionsarbeit.

Bevor ich das Amt als Prodekanin übernommen habe, war ich vier Jahre lang (2019 bis 2023) dezentrale Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät für Kulturwissenschaften. Gremientätigkeiten und hochschulpolitische Prozesse haben mich schon immer interessiert, weil sie eine zentrale Rolle dabei spielen, wie Bildungseinrichtungen gestaltet und weiterentwickelt werden. Mich fasziniert es, an Entscheidungsprozessen und Verbesserungen aktiv mitzuwirken und Strukturen auch kritisch zu hinterfragen.

Für mich persönlich geht es beim Stichwort Gleichstellung vorrangig um Chancengleichheit, um einen fairen Zugang zu Ressourcen und um die Anerkennung unterschiedlicher Lebensentwürfe. Gerade im Hochschulkontext finde ich es wichtig, Räume zu schaffen, in denen alle Menschen – unabhängig von Differenzkategorien wie Geschlecht oder Herkunft u.v.m. – ihr Potenzial entfalten können. Während der Corona-Pandemie, aber auch schon im Verlauf meiner Promotionszeit habe ich gemerkt, wie schwierig es sein kann, die eigene berufliche Entwicklung mit Care-Tätigkeiten zu vereinbaren und welche Ungleichheiten strukturell bedingt insbesondere für Frauen bestehen. Das hat mich wiederum darin bestärkt, mich noch mehr und fortwährend im Bereich Gleichstellung zu engagieren.

Wie bist du in das Amt der Prodekanin gestartet?

Als ich gefragt wurde, ob ich mir ein Amt als Prodekanin für das Thema Gleichstellung vorstellen kann (die weiteren Denominationen standen damals noch nicht fest), musste ich ehrlich gesagt zunächst überlegen, ob ich mir eine solche Funktion zutraue. Die vorherige Tätigkeit als dezentrale Gleichstellungsbeauftragte hat mich jedoch darin bekräftigt – und die Möglichkeit, Gleichstellung als zentrales Querschnittsthema über das Prodekaninnenamt noch stärker in den Fokus zu rücken.

Prodekanin sein – ein Amt mit Herausforderungen oder Gremienarbeit wie jede andere?

Der Einstieg als Prodekanin war spannend und herausfordernd zugleich. Neue Strukturen, neue Netzwerke, neue Aufgaben: es war und ist eine steile Lernkurve, aber ich freue mich nach wie vor, über die Chance, Veränderungen in der Fakultät KW und in der Universität aktiv mit anzustoßen. Dieses Amt aus der Position eines Mittelbaumitglieds heraus zu gestalten und immer wieder mit dem Arbeitsalltag als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Einklang zu bringen, stellt eine zweite Herausforderung dar.

Warum gleich drei Schwerpunkte in der Denomination des Amtes?

Nachhaltigkeit, Gleichstellung und Diversität sind für mich zentrale und querliegende Schlüsselbereiche, in denen Hochschulen Vorreiter sein müssen bzw. sollten. Daher habe ich mir gewünscht, diese drei Bereiche in der Denomination vereinen zu können und freue mich, dass es möglich war. Diese Themen greifen meiner Meinung nach grundlegend ineinander, ein Bereich funktioniert nicht ohne den anderen. Um ein Beispiel zu nennen: Im Bereich der Nachhaltigkeit können soziale Dimensionen nicht außer Acht gelassen werden, weil sich nur auf diesem Weg Möglichkeiten für ganzheitliche Ansätze in der Hochschulentwicklung eröffnen.

Magst du Einblicke in deine Arbeit teilen? Welche Themen bearbeitest du als Prodekanin aktuell und was verbindest du mit dem Stichwort Mentoring?

Derzeit arbeite ich mit Kolleg*innen aus verschiedensten Fachbereichen und Verwaltungseinheiten in Projekten zusammen. Darunter z.B. die Aktionswochen gegen Rassismus, der Diversity-Tag (in Kooperationen mit Hochschulen in OWL und international mit COLOURS) sowie die Entwicklung von antidiskriminierenden Maßnahmen an der UPB.

Am meisten Freude bereitet mir dabei der Austausch mit motivierten Menschen, die Veränderungen mitgestalten wollen. Schwieriger wird es, wenn strukturelle Hürden oder bürokratische Prozesse Fortschritte verzögern.

Die Mentoring-Programme wurden bereits 2008 als Gleichstellungsmaßnahme eingeführt und haben sich seither an der UPB nicht nur verankert, sondern auch weiterentwickelt und professionalisiert. Mentoring ist und bleibt für mich ein zentrales Instrument, um insbesondere Frauen auf ihrem Weg in die Wissenschaft zu begleiten, ihre Potenziale zu fördern und den Aufbau von Netzwerken zu unterstützen. Ich selbst habe an der UPB sowohl als Mentee als auch als Mentorin an euren Mentoring-Programmen teilgenommen. Und ich sehe großes Potenzial darin, Erfahrungen miteinander zu teilen, (System-)Wissen weiterzugeben und sich über Herausforderungen in wissenschaftlichen Qualifikationsphasen (bei mir waren es z. B. Vertragsverlängerungen und die Gestaltung der Post Doc-Phase) auszutauschen.

Gibt es einen Gewinn für dich durch das Amt bzw. dein Engagement in der Gleichstellung … und einen abschließenden Wunsch von dir?

Ja, auf jeden Fall. Das Amt bereichert mich durch neue Perspektiven, wertvolle Begegnungen und die Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten – in Bereichen, die mir am Herzen liegen.

Wünschen würde ich mir langfristige Veränderungen, im Kontext derer Nachhaltigkeit, Gleichstellung und Diversität gelebte Selbstverständlichkeiten werden.

Das erste Jahr als zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Uni Paderborn

Gleichstellung, Vereinbarkeit und Diversität. Annika Hegemann.
Das Team der Universität Paderborn, Foto: Besim Mazhiqi

Im Oktober 2024 bin ich genau ein Jahr im Amt der zentralen Gleichstellungsbeauftragten an der Universität Paderborn. Ein guter Zeitpunkt, um eine erste Bilanz zu ziehen und einen Ausblick auf kommende Monate zu wagen.

Ich hatte mich für dieses Amt zur Wahl gestellt, weil mich eine hohe intrinsische Motivation antrieb, mich aktiv für die Gleichstellung von Frauen und Männern einzusetzen. Insbesondere die Corona Pandemie mit ihren Auswirkungen und Belastungen führte mir die Ungleichheiten unserer Gesellschaft ganz deutlich vor Augen. Und je mehr ich mich mit Geschlechterungleichheiten beschäftigte, desto wichtiger erschien mir der Einsatz dafür. 

Als ich im September 2023 als Nachfolgerin von Irmgard Pilgrim gewählt wurde, habe ich mich sehr gefreut, obwohl mir viele Stimmen vorab sagten, dass dies kein „dankbares“ Amt sei und man bzw. frau viel Gegenwind erwarten müsse. Zudem erwies sich der denkbar ungünstige Zeitpunkt der Wahl – mitten im Findungsprozess eines neuen Präsidiums unserer Universität – als herausfordernder Einstieg in das Amt der neuen zentralen Gleichstellungsbeauftragten.

Das gefällt mir an dem Amt und meiner Arbeit…

Ich konnte mich von Anfang an sehr glücklich schätzen, dass es ein wunderbares Team im Gleichstellungsbüro gab und gibt, das zu großen Teilen mit dafür verantwortlich ist, dass mir die Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte Spaß macht. Darüber hinaus sind weitere Kolleg*innen innerhalb, aber auch außerhalb der Universität wichtige Personen für mich, persönlich wie inhaltlich. Auch Irmgard Pilgrim nach dem Ausscheiden aus dem Amt als erfahrene Ansprechpartnerin zu wissen, ist ein Privileg für mich, das ich sehr schätze.

Auf inhaltlicher Ebene ist das Amt der zentralen Gleichstellungsbeauftragten äußerst vielfältig. Die Erarbeitung von Konzepten, Maßnahmen und Aktionen im Team mit dem Fokus auf unsere Schwerpunkte Gleichstellung, Vereinbarkeit und Diversity ist für mich ein sehr sinnstiftendes und kreatives Aufgabenfeld. 

In den vielen Gremien und Kommissionen, in die ich als Gleichstellungsbeauftragte eingebunden bin, lerne ich viel darüber, wie Hochschulpolitik funktioniert, aber auch wie Menschen „funktionieren“, wie sie kommunizieren und agieren. 

Herausforderungen im Amt…

In der genannten Vielfalt der Aufgabenbereiche liegt zugleich auch eine der größten Herausforderungen: Die Kunst hier die ‚richtige‘ Balance zu halten, erfordert ein fortdauerndes Abwägen. Da gibt es Einzelberatungsgespräche, die, je nachdem, um welche Inhalte es sich handelt, intensiv sind und für die es Zeit braucht. Die Mitwirkung und Eingebundenheit bei strukturellen Entscheidungen ist ebenfalls bedeutend und zeitintensiv, genau wie die Arbeit an Gleichstellungsplänen, -konzepten und –berichten sowie Auditierungen. Die Teilnahme an Personalauswahlverfahren und die Leitung des Gleichstellungsteams mit der Abstimmung der dezentralen Gleichstellungsbeauftragten ist nicht minder intensiv und erfordert ein hohes Maß an Organisation.

Da gibt es noch Potential für Verbesserungen…

Die Gleichstellungsbeauftragte wird nicht überall als Amtsträgerin betrachtet, die eine zentrale und sinnvolle Unterstützungs- und Beratungsfunktion innehat, um die Universität stark für die Zukunft zu machen. Und m.E. wird zudem oft nicht von denselben Zielen ausgegangen, z.B. wenn Gleichstellung als etwas Hinderliches betrachtet wird, das heute nicht mehr gebraucht werde oder Abläufe lediglich unnötig aufhalte. Glücklicherweise ist genau das in vielen Bereichen anders. Für mich ist in erster Linie ein konstruktiver Austausch die Basis für eine gute Zusammenarbeit, bei dem es wichtig ist, zu den eigenen – in meinem Fall gleichstellungspolitischen – Zielen zu diskutieren.

In der Universität arbeiten wir weiterhin genau daran. Sorge bereiten mir allerdings die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen insgesamt: In vielerlei Hinsicht sind Bestrebungen eines ‚Backlash‘ für die Gleichstellung zu beobachten. Sie zeigen, wie fragil gewonnene Errungenschaften sein können und wie sehr es gilt, sich für diese weiterhin einzusetzen.

Ein Blick in die Zukunft…

Genau da, wo ich Potential zur Verbesserung sehe, gilt es für mich, aktiv zu sein. Die Schlüsselkompetenz einer zentralen Gleichstellungsbeauftragten ist aus meiner Sicht die Kommunikationskompetenz. Die Ungleichheiten der Geschlechter, die noch in vielen Bereichen existieren, müssen wir immer wieder deutlich machen. Lösungsstrategien dazu brauchen einen breiten Konsens. Gleichstellungswissen, und damit meine ich neben juristischem Wissen insbesondere das Wissen der Geschlechterforschung, das eine Basis für die Gleichstellungsarbeit ist, ist im Hochschulkontext in vielen Teilbereichen und Fachkontexten noch immer nicht ausreichend bekannt. Dies führt m.E. dazu, dass Maßnahmen mit Gleichstellungszielen oder der Einbezug einer Gleichstellungsbeauftragten als nicht notwendig betrachtet werden. Darüber im Gespräch und in der Diskussion zu bleiben – an vielen Stellen der Universität und über sie hinaus – erscheint mir als eine meiner großen Aufgaben für kommende Monate.

Und privat…Für mich hat die Übernahme des Amtes auch privat Veränderungen mit sich gebracht. Das Familienmanagement mit drei noch nicht ganz so großen Kindern erfordert bei zwei vollzeitarbeitenden Elternteilen viel Organisation. Und ein Plan B ist dabei genauso hilfreich wie Flexibilität. Gleichstellung ist für mich deshalb auch persönlich ein sehr zentrales Thema geworden und ich finde es interessant, welche Parallelen und auch Unterschiede sich dabei zu meinem Amt zeigen. Meine Kinder sind ein ganz wesentlicher Grund, mich für eine chancengleiche und gerechte Zukunft einzusetzen. Meiner Tochter sollen die gleichen Türen offen stehen wie anders herum auch meinen Söhnen.

Zusammen schreibt man weniger allein. Das Kompetenzzentrum Schreiben an der Universität Paderborn.

Der Titel dieses Gastbeitrags ist geklaut. Das macht aber nichts, denn er ist so wahr, dass man ihn nicht oft genug wiederholen kann.[1] Die Idee, dass es hilft, gemeinsam mit anderen zu schreiben und über das Schreiben und über Texte zu sprechen, ist eine Grundidee der Arbeit von Schreibzentren auf der ganzen Welt. Entsprechend ist sie auch prägend für das Paderborner „Kompetenzzentrum Schreiben“, das Prof. Dr. Ingrid Scharlau im Jahr 2008 ins Leben rief. Wir verstehen es als ein Zentrum für wissenschaftliches Schreiben in Studium, Forschung und Lehre; das heißt, als Service-Einrichtung für Studierende, Promovierende und Lehrende. Wir, das Team des Kompetenzzentrums Schreiben, unterstützen Schreibende aller Fächer auf ihrem Weg zum und durch den eigenen Text. Das kann die erste Hausarbeit, ein Portfolio, die Dissertation, ein Paper und vieles andere mehr sein. Darüber hinaus fördern wir Lehransätze, die wissenschaftliches Lesen und Schreiben schon früh ins Studium einbinden. Beispielsweise indem kleine Schreibaufgaben in den Verlauf fachlicher Veranstaltungen eingebunden, mit Textfeedback gearbeitet oder Fachtexte nicht nur inhaltlich, sondern auch als Texte mit spezifischen typischen Eigenschaften gemeinsam gelesen werden.

Konkret umfassen unsere Angebote Workshops zu unterschiedlichen Phasen im wissenschaftlichen Schreibprozess, verschiedene Schreibevents und Gruppenformate sowie die individuelle Schreibberatung. Für Promovierende, Promotionsinteressierte und Post-Docs haben wir z.B. eine Workshopreihe im Programm, die sich von der Themensuche und dem Schreiben eines Exposés über den Start ins Promotionsschreibprojekt und die Überarbeitung von schon Geschriebenem bis hin zum Umgang mit Peer-Reviews erstreckt. 

Besonders gerne arbeiten wir im Schreibzentrum mit den Mentoring-Programmen der Universität Paderborn zusammen, mit denen wir im Speziellen Schreibangebote für Frauen, also für promotionsinteressierte Studentinnen, Doktorandinnen und Post-Docs, schaffen. Wissenschaftliche Texte sind die Währung im akademischen Bereich. Hausarbeiten, Abschlussarbeiten, Dissertationen, Publikationen und Forschungsanträge – sie alle entscheiden über Erfolg und Nicht-Erfolg in Studium und wissenschaftlicher Karriere. Aus der Zusammenarbeit mit den Mentoring-Programmen sind bereits zahlreiche Veranstaltungen entstanden: der regelmäßig stattfindende Workshop „Themenfindung für die Promotion“ im Rahmen des Peer-Mentoring-Programms Einblick!, ein Adventsschreiben im Winter, digitale Schreibtage und -wochen in der Pandemiezeit (Stichwort: Daheimgeschrieben, die Damen!), die jährlich stattfindende Endspurt-Schreibgruppe für Doktorandinnen, die kurz vor der Abgabe ihres Promotionsschreibprojekts stehen, und schließlich die Schreibzeit für (Post-)Doktorandinnen, für die wir ein paar Tage wegfahren, um in Ruhe und Gesellschaft an aktuellen Schreibprojekten zu arbeiten.

Gerade die Zielgruppe der Promotionsinteressierten, Promovierenden und Post-Docs kommt mit ganz unterschiedlichen Fragen zu uns ins Kompetenzzentrum Schreiben:

  • Wie schaffe ich mir Zeit zum Schreiben?
  • Wie grenze ich mein Thema sinnvoll ein?
  • Wie kann ich mich neu motivieren?
  • Was sind meine nächsten wichtigen Schritte auf dem Weg zur Promotion?
  • Wie gehe ich mit Schreibkrisen um?
  • Was ist mein Beitrag zu meinem Forschungsfeld und wie bringe ich ihn in Textform?
  • Wie kann ich einzelne Textfragmente zu einem sinnvollen Ganzen verbinden?

An diesen Fragen wird schon klar: Wir verstehen Schreiben als sehr ,großräumige‘ Tätigkeit, die weit mehr als das bloße Aufschreiben von vermeintlich immer-schon-klaren wissenschaftlichen Inhalten umfasst. Schreiben heißt für uns deshalb: Denken, Lesen, Sich-Fragen, Forschen, Ideen-Finden, Ideen-Verwerfen, Notieren, Neu-Schreiben, Um-Schreiben, Antworten, Kritisieren, Sich-auf-andere-Beziehen, Sich-von-anderen-Abgrenzen, Lernen und vieles, vieles mehr.

Unser weites Verständnis von Schreiben basiert auf schreibwissenschaftlicher Forschung – ein wahrhaft interdisziplinäres Unterfangen mit Beiträgen aus der Psychologie, der Linguistik, der Soziologie, der Wissenschaftstheorie und vielen weiteren Feldern (Lesetipps für Interessierte: Haacke-Werron et al., 2022; Huemer et al., 2020). Der Ansatz, den wir am Kompetenzzentrum Schreiben verfolgen, spiegelt diese Breite wider. Wir achten bei der Konzeption unserer Angebote und besonders auch bei der Art und Weise, wie wir im Rahmen dieser Angebote mit Studierenden, Promovierenden und Lehrenden über das wissenschaftliche Schreiben sprechen, z.B. auf den großen Einfluss der verschiedenen Fachkulturen auf das Schreiben. Fachliche Schreibpraktiken beeinflussen, wie die einzelne Person ihren eigenen Schreibprozess und ihren eigenen Text wahrnimmt. Im Gegenzug kann Schreiben ganz bewusst zur Enkulturation in eine Fachcommunity und zur Entwicklung des eigenen akademischen Selbst beitragen. Dass das nicht immer simpel und auch nicht immer angenehm ist, sondern anspruchsvoll und manchmal auch nervenaufreibend, versteht sich eigentlich von selbst. Für diese Fälle sind wir als Schreibzentrum da. Auf den Fluren der Universität Paderborn finden sich manchmal Plakate von uns. Auf einem davon steht, was ich gerne zum Schluss allen Leser*innen dieses Gastbeitrags sagen möchte: „Kommt zu uns! Wir bringen akademisches Schreiben nicht bei, sondern Schreibende aus allen Fächern zusammen.“

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Dr. Andrea Karsten ist Koordinatorin des Kompetenzzentrums Schreiben an der Universität Paderborn. In Schreibdidaktik und -forschung befasst sie sich mit individuellen und fachkulturellen Schreibpraktiken von Promovierenden und Lehrenden. Ihr liebster Tipp für Promovierende: Sprecht über das Schreiben und findet Freund*innen in eurem Themengebiet!

Literatur:

Huemer, B., Doleschal, U., Wiederkehr, R., Girgensohn, K., Dengscherz, S., Brinkschulte, M. & Mertlitsch, C. (Hrsg.) (2020). Schreibwissenschaft – eine neue Disziplin: Diskursübergreifende Perspektiven. Böhlau.

Fröhlich, M., Henkel, C., & Surmann, A. (Hrsg.) (2017). Zusammen schreibt man weniger allein. (Gruppen-) Schreibprojekte gemeinsam meistern. UTB.

Haacke-Werron, S., Karsten, A. & Scharlau, I. (Hrsg.). (2022). Reflexive Schreibwissenschaft: Disziplinäre und praktische Perspektiven. wbv.


[1] Das rechtfertigt den Klau natürlich nicht. Hier ist die Quelle: Zusammen schreibt man weniger allein heißt ein Ratgeber für (Gruppen-)Schreibprojekte unserer Bielefelder Kolleginnen Melanie Fröhlich, Christiane Henkel und Anna Surmann aus dem Jahr 2017, erschienen bei utb.

Erste Generation Promotion Mentoring+ – ein Angebot für Erstakademiker*innen

Das Mentoring-Programm „Erste Generation Promotion Mentoring+“ der Universität zu Köln unterstützt Promovierende und Promotionsinteressierte mit einem nichtakademischen Familienhintergrund. Erstakademiker*innen entscheiden sich deutlich seltener für einen wissenschaftlichen Karriereweg. Die Ursachen hierfür sind persönliche sowie systemische Hürden, die es zu meistern gilt. 

Der Einfluss der sozialen Herkunft auf Bildungschancen ist in Deutschland besonders groß. Wir wissen dies hauptsächlich für das Schulsystem, aber auch für den Zugang zum Abitur. Während 79 von 100 Akademiker*innenkindern nach der Schule ein Studium beginnen, sind es bei Nichtakademiker*innenkindern lediglich 27 von 100.[1] Mit dem erfolgreichen Start eines Studiums hört dieser Einfluss jedoch nicht auf zu wirken. Vielmehr zeigen Untersuchungen, dass sogenannte Arbeiter*innenkinder seltener in wissenschaftlichen Berufsfeldern vertreten sind – ihr Anteil unter Promovierenden, Postdocs und Professor*innen ist deutlich geringer als der von Akademiker*innenkindern. 

Neben individuellen Faktoren, die eine Rolle dabei spiele, ob eine Person sich für oder gegen eine wissenschaftliche Karriere entscheidet,gibt es einige systemische Aspekte, die dazu beitragen, dass diese Personengruppe in der Wissenschaft unterrepräsentiert ist. Häufig gehören hierzu neben fehlenden finanziellen Ressourcen vor allem Fremdheitserfahrungen gegenüber der Hochschule oder der Familie, fehlendes informelles Wissen sowie weniger tragfähige Netzwerke, in denen solches Wissen zumeist weitergegeben wird. Dessen Effekte zeigen sich nicht selten bereits im Studium, bekommen aber mit dem Beginn einer Promotion bzw. dem Wunsch zu promovieren noch einmal zusätzlich Gewicht.

Genau an diesem Punkt setzt das Kölner Programm „Erste Generation Promotion Mentoring+“ an. Es richtet sich an Promovierende und Promotionsinteressierte mit einem nichtakademischen Familienhintergrund und unterstützt diese bei der erfolgreichen Aufnahme und Durchführung einer Promotion. Seit Herbst 2017 werden jedes Jahr 15 Mentees in das einjährige Programm aufgenommen. Bewerben können sich Mitglieder aller Fakultäten und Geschlechter.

Das Herzstück des Mentorings bildet das One-to-one-Mentoring. Alle Mentees werden jeweils von einer*einem Mentor*in begleitet, die*der bereits erfolgreich promoviert ist und ebenfalls einen nichtakademischen Familienhintergrund hat. Die Erfahrung der geteilten Herkunft bildet dabei das Fundament des gemeinsamen Austauschs auf Augenhöhe und ohne Abhängigkeitsverhältnis. Es kann inhaltlich dabei um alle Fragen rund um die Promotion, aber auch um Themen wie Karriereentwicklung oder die eigene Life-Work-Balance gehen. Das Tandem teilt zumeist den gleichen fachlichen Hintergrund, sodass die Mentees von den Erfahrungen und dem Wissen ihrer*ihres Mentor*in profitieren können. Mindestens vier gemeinsame Treffen sollen während des Programmzeitraums stattfinden.

Eine Besonderheit des EGP-Mentorings im Vergleich zu anderen Programmen ist die Datenbank potenzieller Mentor*innen. Da die Informationen über den sozialen Hintergrund einer Person meist nicht öffentlich zugänglich sind, suchen die Mentees sich ihre Mentor*innen nicht selbst aus, sondern bekommen zum Start des Programms eine*n Mentor*in zugewiesen. Das sogenannte Matching übernimmt die Programmkoordination auf Grundlage der Wünsche, die die Mentees äußern. Aktuell haben wir etwas mehr als 100 potenzielle Mentor*innen in der Datenbank. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Fachbereichen, befinden sich auf unterschiedlichen Karrierestufen, arbeiten innerhalb sowie außerhalb der Wissenschaft, an der Universität zu Köln als auch an anderen Institutionen. Was sie neben ihrer nichtakademischen Herkunft teilen, ist das Engagement für mehr Bildungsgerechtigkeit in der Wissenschaft und den Wunsch mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen eine*n junge*n Wissenschaftler*in auf dem Weg zur Promotion zu unterstützen. Viele von ihnen hätten sich selbst eine solche Begleitung auf dem eigenen Weg gewünscht und melden sich daher proaktiv, um im Programm mitzuwirken.

Neben dem Mentoring als wichtigstem Baustein des Programms gibt es ein verpflichtendes Workshopangebot für die Mentees. Hierbei handelt es sich um Workshops, die sich spezifisch an die Zielgruppe richten und Themen aufgreifen, die von der Zielgruppe häufig als problematisch empfunden werden. Ein Beispiel sind etwa informelle Spielregeln und Kommunikationssituationen, wie z.B. der Small Talk in der Kaffeepause während einer Konferenz. Neben der Vermittlung solcher Softskills sowie dem Raum für persönliche Reflexion über die eigene Herkunft geht es vor allem um den gemeinsamen Austausch innerhalb der Gruppe. Die Erkenntnis, dass viele von ihnen gleiche oder ähnliche Erfahrungen in ihrem Studium und während ihrer Promotion gemacht haben bzw. machen, ist häufig eine große Entlastung. Zeigen doch gerade diese geteilten Erfahrungen die strukturelle Ebene von Chancenungleichheit im akademischen System auf. Der Austausch in der Peergruppe und die Erkenntnis, dass „es nicht nur mir so geht“, stärken das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und schaffen einen sicheren Raum für gegenseitiges Empowerment.

Auch wenn das Programm bereits seit einigen Jahren erfolgreich läuft, bleibt es bisher deutschlandweit das Einzige institutionalisierte Angebot, das sich ausschließlich an diese Zielgruppe richtet. Soziale Herkunft als Diversitätskategorie und Chancengerechtigkeit rücken jedoch immer mehr in den Fokus von Universitäten und Hochschulen. Dabei geht es zum einen darum, die beschriebenen Hürden abzubauen und die Zielgruppe zu unterstützen. Zum anderen stehen wir vor der Herausforderung unsere tradierten Vorstellungen von Universitäten, Wissenschaft und Wissenschaftler*innen kritisch zu hinterfragen, um unsere Institutionen vielfältiger und chancengerechter zu gestalten.

Dr. Ann-Kristin Kolwes ist Expertin für Bildungsgerechtigkeit im Hochschulkontext. Sie koordiniert das Programm „Erste Generation Promotion Mentoring+“ und ist Gründungsmitglied des Vereins Erste Generation Promotion. Als Erstakademikerin ist Bildungsgerechtigkeit für sie ein echtes Herzensthema.


[1] Stifterverband, Vom Arbeiterkind zum Doktor. Der Hürdenlauf auf dem Bildungsweg von Erststudierenden, 2021, S. 3. https://www.hochschulbildungsreport.de/2021/chancengerechte_bildung