Ich hatte im letzten Jahr häufiger Gespräche mit gleichaltrigen Freunden, die beiläufig erwähnt haben, dass sie aus der Kirche ausgetreten sind. Mein erster Impuls war immer, sie mit vielen Worten vom Gegenteil zu überzeugen und zu erinnern, dass wir selbst früher eine gute Zeit in der Gemeinde hatten, dass außerdem die Kirche doch vieles tue, das man unterstützen könne, auch ohne regelmäßig in die Messe zu gehen, und dass sie doch selbst immer vorhatten, kirchlich zu heiraten. Karl Rahners (https://twitter.com/karlrahner_sj) klarer Satz leuchtet mir auch immer noch ein: „Ich gehe davon aus, daß ein Christ in seiner Kirche bleibt – trotz allen Ärgers über sie.“[1]
Trotzdem bin ich in solchen Gesprächen ruhiger geworden. Nicht nur, weil die Krisen in der Kirche deutlich machen, dass es biografische Gründe gibt, die einen Austritt heilsam wirken lassen. Da braucht es keine Diskussionen und Gegenargumente, sondern Respekt. Aber auch, weil ich in zwei Richtungen unsicher bin, ob in der theologischen Bewertung von Kirchenaustritten nicht Luft nach oben wäre.
Die erste betrifft die Frage nach der Steuer. Es ist keineswegs klar, dass diese ein Hauptgrund ist, den Austritt zu erklären. Die Frage bleibt aber, ob grundsätzlich so getan werden sollte, als sei der Austritt aus der Körperschaft öffentlichen Rechts, wie sie in Deutschland besteht, der Austritt aus der Katholischen Kirche, in die man per Taufe eingegliedert wird. Der Kirchenrechtler Hartmut Zapp erhielt vor einigen Jahren viel Aufmerksamkeit, als er aus der Körperschaft, nicht aber der Kirche austreten wollte.[2] Vielleicht muss dieses System, das ohnehin bröckelt, doch offensiv geändert werden: dann wäre es möglich, den Kirchensteueraustritt separat zu formulieren.
Die zweite Richtung ist die Frage nach den „Zeichen der Zeit“. Denn dass mitunter nicht einmal Termine zum Austritt zu bekommen sind, liegt kaum nur an der Steuer. Oft wird auch auf kirchlicher Seite bedacht, dass hier ein Weckruf ertöne, sich überfälligen Reformen zu widmen. Das „Gottesvolk“ hat mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil „teil an dem prophetischen Amt Christi“ (LG 12). Wenn eine über Jahre engagierte Katholikin zu dem Ergebnis kommt, die Kirche, die einmal Heimat war, zu verlassen, könnte es sein, dass sich darin manchmal auch Prophetisches über den Zustand dieser Kirche ausdrückt. Wir sollten ihr zumindest sehr gut zuhören.
[1] Rahner, Karl: Unser Verhältnis zur Kirche. Karl Rahner im Gespräch mit Studenten der Katholischen
Hochschulgemeinde München, 1983, In Sämtliche Werke 31, 377-389, 379.
[2] https://www.sueddeutsche.de/politik/rebellischer-katholik-ein-professor-kaempft-gegen-die-kirchensteuer-1.940409.
Lukas Wiesenhütter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät Bonn.
#Austrittsgespräche #Rahner #Respekt #Kirche