Mit Spannung blickt die Welt in diesen Tagen nach Glasgow und auf den dort laufenden UN-Klimagipfel. Eine gute Gelegenheit, um auch theologisch einige Worte zum Thema zu verlieren. Entscheidend ist aus christlicher Sicht für mich der Begriff der Gottebenbildlichkeit. Dieser Begriff sagt nicht, dass der Mensch Gott ähnlichsieht oder aus der gleichen Substanz besteht – der Begriff meint überhaupt nichts Statisches, sondern die Fähigkeit, selbst kreativ etwas tun zu können. Zugleich ist diese Freiheit gegenüber der Welt geknüpft an Verantwortung für die Schöpfung. Gottes Ebenbild ist der Mensch nicht, wenn er tut, wozu er Lust hat, sondern dann, wenn er seine Freiheit nutzt, um Freiheit zu ermöglichen. So, wie also Gottes Schöpfung als Ermöglichung von Dasein überhaupt begriffen wird, so entspricht der Mensch diesem Schöpfungshandeln Gottes da, wo er selbst Dasein ermöglicht. Mit dem berühmten katholischen Theologen Karl Rahner (1904 – 1984) gesprochen: „Wenn Gott Nicht-Gott sein will, entsteht der Mensch.“ – Und wenn der Mensch nicht zwanghaft er selbst sein will, entsteht Raum für alles, was er nicht ist. Sich nicht ohne das Andere seiner selbst verstehen zu wollen, sondern in Beziehung das Selbstsein zu verwirklichen, das ist eine Grundidee des Konzepts der Gottebenbildlichkeit.
Schöpfung ist im Sinne der Urgeschichten der hebräischen Bibel also auch ein menschliches Handeln. Es ist also kein Wunder, dass im Judentum so viel an der Glaubenspraxis hängt, dass sich die religiöse Gemeinschaft im gemeinsamen Handeln, in der gemeinsamen Übernahme von Schöpfungsverantwortung zeigt. Auch im Islam stellt die Praxis des Glaubens oft ein entscheidenderes Moment als das Bekenntnis dar. Der Mensch ist Stellvertreter (khalifa) auf der Erde (Sure 6:165) und bezeugt noch vor der Schöpfung seine Verantwortung, damit er am Ende der Zeiten nicht sagen kann, er hätte von nichts gewusst (Sure 7:172). Der Mensch braucht dennoch immer wieder Erinnerung an dieses ursprüngliche Zeugnis, sodass Gott die Propheten und den Koran sendet, aber auch die Schöpfung selbst entbirgt in ihren Zeichen den Schöpfer und damit eben jene Verantwortung des Menschen in der Schöpfung.
Während verschiedene islamisch-theologische Ansätze hier ein ausgesprochen positives Menschenbild verortet sehen, in dem der Mensch aus sich heraus fähig ist, Gottes Schöpfungswillen in seinem Handeln zu entsprechen, hat das Christentum immer stark fokussiert, dass der Mensch an seiner Verantwortung scheitern kann, dass das Gelingen der Umsetzung des Schöpfungsauftrags noch einmal von der Gnadeninitiative Gottes abhängt. Dieses Vertrauen auf das ursprüngliche Erlösungshandeln Gottes, von dem letztlich auch die Befähigung abhängt, Gutes tun zu wollen, hat in breiten historischen Linien dazu geführt, dass die christliche Identität eher über das gemeinsame Bekenntnis als Ausdruck des Vertrauens auf Gott als über eine gemeinsame Handlungsform stabilisiert wird. Nicht gemeint ist damit aber, dass man jegliches Handeln dann gleich lassen könnte oder dass es auf dasselbe nicht ankäme. Vielmehr betont das Christentum in seinem Vertrauen auf das Erlösungshandeln, dass Scheitern nicht endgültig ist, dass der Mensch neu anfangen darf und dass genau in diesem Vermögen des Neuanfangs, Zuspruch und Anspruch der Schöpfung insgesamt ausdrücklich werden.
Aus christlicher Sicht kann man den Erhalt der Schöpfung in der Unterschiedenheit der Glaubenszeugnisse als gemeinsamen menschlichen Auftrag beschreiben. Dabei hat jede und jeder einzelne die Verantwortung, dass das Zeugnis auch getan wird, dass der Einsatz für die Schöpfung im Alltag praktisch wird. Die interreligiöse Begegnung mit Juden und Muslimen kann diesen Anspruch an die Praxis immer wieder neu erkennbar machen. Gerade in der interreligiösen Verständigung können so Handlungsmotivationen gebündelt werden, die über den rein politischen Zugriff auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht erreichbar sind. Die Begründungsstrukturen der Verantwortung für die Schöpfung reichen in diesem Sinne in den Religionen deutlich tiefer als ein reiner Appell an die Vernunft.
Der Text stellt eine gekürzte und veränderte Fassung des Beitrags „Schöpfung ist etwas, das man tun muss“ dar, der in Dom magazin 04/2021 veröffentlicht wurde. (https://www.derdom.de/dom-magazin/)
PD Dr. Aaron Langenfeld ist Lehrstuhlvertreter für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Theologischen Fakultät Paderborn
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