Die Stimmen der Black Lives Matter-Bewegung und anderer anti-rassistischer Initiativen haben in den vergangenen Wochen insbesondere rassistische Polizeigewalt in den Vordergrund der Debatte gerückt. Wo aus Deutschland anfänglich noch empört in die USA geblickt wurde, schielt mittlerweile immerhin ein einsichtiges Auge auf Strukturprobleme im eigenen Land. Als Geisteswissenschaftlerin ist es ein Leichtes, Rassismus in der ausführenden Staatsgewalt anzuprangern und sich über fehlende Selbstreflexion und Einsichten der Ernsthaftigkeit eines systemischen Rassismusproblems auf politischer Ebene zu eschauffieren. Was dabei schnell aus dem Blick geraten kann, ist der strukturelle Rassismus im eigenen Kosmos. Wie trage also ich als weiße, europäische Theologin dazu bei, dass rassistische Strukturen erhalten bleiben oder im schlimmsten Fall sogar verstärkt werden?
Schaue ich mir die Literaturverzeichnisse meiner Seminare an, lese ich viele Namen, die zu westeuropäischen, weißen Männern aus vergangenen Jahrhunderten gehören. Zweifelsohne haben Luther, Kant & Co. gewichtige Beiträge zur geisteswissenschaftlichen Entwicklung geleistet und erfahren zurecht internationale Beachtung. Jedoch bleibt bei aller inhaltlichen Komplexität in den Seminardiskussionen allzu häufig aus, dass auch philosophische und theologische Vordenker*innen ihrer Zeit Teil eines rassistischen Systems waren, das sie teils implizit, aber häufig auch explizit zu rassistischem Denken und Schreiben bewegt hat.
Dass das Christentum eine Weltreligion ist, steht bei meiner Lehre selten im Vordergrund, schwebt aber meist als selbstverständliche Hintergrundinformation in den Köpfen herum. An Diskussionen über deutsche und europäische Kolonialverbrechen und die Rolle christlicher Missionsarbeit kann ich mich allerdings weder im Rahmen meiner Schulzeit noch meines Studiums oder meiner bisherigen Lehrerfahrungen erinnern.
Theologische Lerninhalte zur Gottebenbildlichkeit und der Gleichwertigkeit aller Menschen vor Gott erscheinen unvollständig, wenn gleichzeitig über Ausgrenzungs- und Rassismuserfahrungen von Mitmenschen etwa in kirchlichen Kontexten geschwiegen wird. Auch die Förderung eines wünschenswerten Interesses an sogenannten ‚interreligiösen‘ Begegnungen und Gesprächen ist trügerisch, wenn systemimmanente Gefahren einer christlichen Mehrheitsgesellschaft à la Eurozentrismus und Imperialismus im verschlossenen Hinterzimmer bleiben.
Systemischer Rassismus in der christlichen Theologie beginnt bei der Unsichtbarkeit theologischer Vielfalt auf Seminarplänen, nährt sich durch ausbleibende Reflexion der eigenen Missionsgeschichte sowie Privilegien und endet nicht bei unhinterfragten weißen Gottesvorstellungen und Jesusbildern. Besonders schwerwiegend sind diese Problematiken, wenn sie zudem Teil eines Lehrer*innenausbildungssystems sind, das wiederum die Schulbildung prägt. Sicherlich genügt es nicht, Rassismus in der Theologie isoliert zu betrachten. Vielmehr müssten hier auch intersektionale Perspektiven berücksichtigt werden, wie es etwa zum Teil in befreiungstheologischen Ansätzen der Fall ist. Auch hätte ich angesichts der Überschrift dieses Textes besser Stimmen der Black Theology stark gemacht als meine eigenen Versäumnisse beklagt. Dies ist aber hoffentlich nicht mein letzter BloKK-Beitrag und sowohl zu Beginn als auch in der Mitte eines kontinuierlichen Lernprozesses, kann es nie schaden, sich kritisch selbst zu fragen: Wie begünstige ich mit meiner Theologie und meiner Lehre rassistische Denkstrukturen?
Rebecca Meier ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn.