Pantheon

Wörtlich übersetzt bedeutet πάνθειον (pántheion) ‘allen Göttern’ geweiht. Und in der Tat lässt sich der Geschichte des ›Pantheon‹ genannten Bauwerks in Rom und seiner Nachbauten entnehmen, was den Menschen zu verschiedenen Zeiten heilig war. 

Errichtet in der Regierungszeit des Augustus als ein Tempel für alle Götter Roms, versteckte sich hinter dieser Widmung der beginnende römische Kaiserkult. Erst durch den Neubau unter Hadrian erhielt es seine suggestive architektonische Form: eine Tempelvorhalle vor kreisförmigem Kultraum, der von einer gigantischen Kuppel überwölbt wird – Erdkreis und Himmelssphäre zu einem Raum vereint. Licht bekommt er durch eine kreisförmige Öffnung am Scheitel der Kuppel, womit diese zum Rahmen für den Himmel und die Sonnenscheibe wird, dessen Besucher auf sie hin orientiert. Sinnfälliger kann Architektur Transzendenz nicht vermitteln. “Beam us up, Scotty!”

Diesen Eindruck teilten möglicherweise die frühen Christen, als sie den Tempel in eine Kirche verwandelten und diese „Maria bei den Märtyrern“ weihten – bei den Märtyrern, weil man Reliquien aus den Katakomben holte, um sie in einem Nischenaltar zu verehren; der Sonnentempel wurde in ein Auferstehungsversprechen transformiert. Die nächste Verwandlung kam in der Renaissance, als man Raffael und weiteren Malern sowie Architekten im Pantheon Grabmäler errichtete. Die Kirche erhielt den Charakter einer Ruhmeshalle für die wie Helden verehrten Künstler. Sie entwickelte sich zur Denkstätte für eine Kunstreligion.

Dabei galt die Verehrung auch dem Bau selbst. Als besterhaltenes Gebäude der Antike wurde es zum Inbegriff architektonischer Perfektion, solange man eine so breite Kuppel nicht nachbauen konnte, zur Herausforderung, zum Modell. Damit begannen die zahllosen Adaptationen, die Grundformen des Pantheons in neue Zusammenhänge übertrugen und ihnen immer weitere Funktionen gaben. 

Am spektakulärsten geschah dies durch den Neubau des Petersdoms. Von Bramante und Michelangelo als überkuppelter Zentralbau konzipiert, eingelassen in den Grundriss eines griechischen Kreuzes, erklärte das Papsttum sich zum Überbieter der Antike und erneuerte den römischen Weltherrschaftsanspruch. Diese Provokation wurde zuerst im Osmanenreich beantwortet. Sultan Süleyman ließ mehrere Moscheen mit breiteren Kuppeln in viel kürzerer Zeit errichten, um auszudrücken, dass der „Kaiser der Römer“ (so einer von Süleymans Herrschertiteln) im islamischen Rom am Bosporus residierte. Die Protestanten errichteten mit St. Paul’s in London oder der Frauenkirche in Dresden eigene Programmbauten. Mit der Isaak-Kathedrale gaben die Zaren St. Petersburg ein orthodoxes Zentrum. Auch der Deismus der Aufklärer fand sich in der Symbolik des Pantheons wieder, weshalb Toleranzdemonstrationen wie die Hedwigkathedrale in Berlin oder die Synagoge in Wörlitz ebenfalls Pantheonform erhielten.

Schon Palladio hatte den Bautypus auf Villen wie die Rotonda übertragen, um der herrschaftlich-ländlichen Muße ideale Bedeutung zu verleihen. Über die Landhäuser der englischen Aristokratie führte der Weg zur Plantagenarchitektur der amerikanischen Sklavenhalter. Mit Wolfenbüttel und Oxford begann die Verwendung des Bautyps für Bibliotheken (Geistestempel), in Paris und Charlottesville für Universitäten, in Dublin und Washington gab man Parlamentsbauten Pantheongestalt. Spätestens damit und mit der Umwidmung der Pariser Kirche Sainte Geneviève in eine „Panthéon“ genannte Ruhmeshalle der französischen Revolutionshelden nahm die Bauform zivilreligiöse Bedeutung an. Fortan konnte sie ein innerweltlich-politisches Heiliges bezeichnen, zu dem im 19./20. Jh. mit Bankgebäuden und Bahnhöfen weitere profane Verehrungsansprüche kamen. Die Entwicklung ist offen. Besseres Material für eine politische Geschichte des Heiligen lässt sich nicht finden.

Prof. Dr. Johannes Süßmann ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit und im Vorstand des ZeKK der Universität Paderborn.

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