Machtstabilisator?!

Mit einem Blick in die Geschichte kann man feststellen, dass die Kirche eine durchaus wandlungsfähige Institution ist. Angefangen im Römischen Reich, in dem sich die Kirche etablierte und die Vielgötterei ablöste, anschließend in der Karolingerzeit, in der Kirche als Machtstabilisator eingesetzt wurde, später in der Ottonenzeit, in der Kirche vermehrt Verwaltungsaufgaben übernahm oder im Habsburger Reich, in dem sich eine Weltkirche entwickelte. Aber auch im Rahmen der Industrialisierung und der „Entzauberung der Welt“[1] hat sich Kirche weiterentwickelt und kurze Zeit später entmystifiziert.

Nun leben wir in Deutschland seit 70 Jahren in einer Demokratie. Das Volk ist also der Souverän. Das bedeutet, dass Teilhabe und Partizipation in der Gesellschaft eines jeden Individuums gewünscht und wertgeschätzt wird. Hannah Arendt spricht dabei von der menschlichen Fähigkeit „nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.“[2] Der Synodale Weg hat sich dieses Ziel auch für die Kirchenreform als Ziel gesetzt. Nun ist die fünfte Synodalversammlung vorbei und nachdem es auch aus Rom Druck gab, ist von diesen Zielen leider nicht mehr sonderlich viel zu sehen; die idealistischen Zielsetzungen sind verwässert. Die Veränderungen in der Predigtordnung sind vielleicht ein erster kleiner Schritt zu mehr Teilhabe.

Dabei trägt Teilhabe in einer Demokratie auch zu Lernprozessen bei. Wäre in einer Zeit, in der die Spiritualität von jungen Menschen wieder steigt, die christliche Sprachfähigkeit in der deutschen Gesellschaft verloren geht und Charismen einiger zu einem spirituellen Personenkult führen, eine menschenfreundliche und partizipative Katholische Kirche nicht wünschenswert? In der christlichen Botschaft steckt so viel Gleichberechtigung, Menschenwürde und Freiheit, dass Kirche und Staat in Deutschland gemeinsam viel Potential entfalten könnten, um die Demokratie zu stärken und gleichzeitig eine religiöse Sprachfähigkeit zu entwickeln, die einen den Glauben reflektieren lässt und somit auch innerkirchlichen Problemen vorbeugen kann.


[1] Weber, Max, Wissenschaft als Beruf. In: Kaesler, Dirk (Hg.), Max Weber. Schriften 1894–1922, Stuttgart 2002, 488.

[2] Arendt, Hannah, Macht und Gewalt, München 162005, 45.

Julian Heise ist WHB am Institut für Katholische Theologie und Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn.

#KatholischeKirche #SynodalerWeg #Demokratie #Macht #Religion