Auf dem Weg durch die Adventszeit hin zu Weihnachten gibt es einen Feiertag, der in der Regel unscheinbar vorbeizieht, obwohl ohne das Ereignis, das an diesem Feiertag bedacht wird, Weihnachten vielleicht überhaupt nicht gefeiert werden könnte – Mariä Empfängnis am 8. Dezember. Dieses Fest, das zunächst an die Empfängnis und Geburt Jesu erinnern mag, ist nicht der außerordentlichen Zeugung Christi gewidmet, sondern der Empfängnis Mariens selbst. Als Dogma 1854 verkündet, besagt es, dass Maria vom Beginn ihrer Empfängnis an von der Erbsünde bewahrt wurde. Von ihrem Menschsein wird also eine Besonderheit ausgesagt, die wir sonst nur bei Christus selbst finden, von dem es heißt, dass er in allem uns gleich war, außer der Sünde (Hebr 4,15). Theologisch gesehen ist es die Erlösung durch Christus selbst, die auch die Sündlosigkeit Mariens überhaupt erst ermöglicht.
Dass das Fest der unbefleckten Empfängnis Mariens eine Bedeutung für das nahende Weihnachtsfest hat, liegt auf der Hand. Denn es ist schließlich Maria, die sich nach der Verkündigung durch den Engel auf den Weg macht, um den Erlöser selbst in einer Krippe auf die Welt zu bringen – so das Evangelium nach Lukas. Eindrücklich blickt auch der Koran in Sure 19 und in Sure 3 auf die Gestalt Mariens. Es ist vor allem Sure 19, Sure Maryam, die von Marias Leiden während ihrer Schwangerschaft spricht und vor Augen führt, was es für eine ungemeine Zumutung gewesen sein muss, sich angesichts der körperlichen Strapazen einer Schwangerschaft auf den Weg zu machen. Doch mehr noch als die körperlichen Anstrengungen hebt der Koran die psychische Last Mariens hervor, die als unverheiratete Frau schwanger ist. Im Koran ist es Jesus selbst, der seine Mutter gegen Anfeindungen in Schutz nimmt. Der Koran unterstreicht hier das besondere Verhältnis Jesu zu seiner Mutter und erinnert das Christentum daran, wie facettenreich die Figur Mariens ist. Ihr außerordentliches Gottvertrauen äußert sich zum einen in Demut und Gehorsam, zum anderen in Mut und Stärke, den Weg selbstbestimmt zu gehen, der ihr vorgezeichnet ist. Zwar wird Maria in der christlichen Tradition gerade auch aufgrund ihrer besonderen Demut gepriesen, doch speist sich diese Demut aus einem freien Ja Mariens zu dem Plan, den Gott mit ihr hat. Es ist das so genannte Fiat Mariens, also Marias Antwort an den Engel „mir geschehe, wie Du es gesagt hast“ (Lk 1,38), das uns zu den Möglichkeitsbedingungen von Weihnachten, also dem Fest der Geburt Jesu, zurückführt. Auch wenn Maria der Lehre von der unbefleckten Empfängnis gemäß von Gott bereits erwählt worden war, um das Licht der Welt (Joh 8,12) zu uns zu bringen, so führt uns Maria vor Augen, dass diese Erwählung nicht an der Freiheit des Menschen vorbei vollzogen wird.
Maria ist ein beeindruckendes Beispiel für das spannungsreiche Zusammenspiel von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit, für Demut und Autonomie, für Sanftheit und Stärke. Es ist kein Wunder, dass Maria immer wieder Gegenstand theologischer Debatten wird und ihr Facettenreichtum genutzt wird, um sie als Galionsfigur unterschiedlicher religiöser Bewegungen herauszustellen. Genau mit diesem Facettenreichtum Mariens will sich die Tagung des Nachwuchsnetzwerkes Dogmatik/Fundamentaltheologie vom 29.-31. März nächsten Jahres auseinandersetzen. Wem in der Vorweihnachtszeit noch ein zündender Gedanke zu Maria kommt, kann bis zum 23.12. am Call for Papers teilnehmen. Doch auch von allen theologischen Debatten abgesehen, kann uns Maria immer wieder auf ganz einfache Weise in der Advents- und Weihnachtszeit vor Augen führen, dass Weihnachten ganz sicherlich nicht ohne Gott, aber eben auch nicht ohne den Menschen gedacht werden kann.
Dr. Cornelia Dockter ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am International Center for Comparative Theology and Social Issues der Theologischen Fakultät Bonn.
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