Die umstrittene Fußball-Weltmeisterschaft in Katar ist gestartet. Doch es sind, wie zu erwarten war, nicht unbedingt die sportlichen Ereignisse auf dem Rasen, die für Schlagzeilen sorgen. Seit der Vergabe des Turniers an den arabischen Golfstaat ohne nennenswerte Fußballtradition im Dezember 2010 sind nicht nur Korruptionsvorwürfe gegen die Funktionäre des Weltfußballverbands FIFA, sondern auch die schwierige Menschenrechtssituation in dem Gastgeberland problematisiert worden. Zahlreiche Fußballbegeisterte haben angekündigt, die Fußball-WM 2022 zu boykottieren, darunter auch der deutsche Journalist und Webvideoproduzent Mirko Drotschmann, dessen YouTube-Kanal „MrWissen2Go“ fast zwei Millionen Abonnenten zählt und mit seinen Clips vor allem viele junge Menschen erreicht. Andere Fans wiederum können die Spiele nur mit eingeschränkter Begeisterung verfolgen, und viele Spieler der teilnehmenden Mannschaften sind ebenfalls mit ambivalenten Gefühlen nach Katar gereist.
Als Idole innerhalb der Popkultur haben die Fußballstars starken Einfluss auf Menschen in aller Welt und insbesondere auf Kinder und Jugendliche. Wenngleich die FIFA religiöse, politische oder persönliche Botschaften auf der Spieler-Kleidung sowie die religiöse Mission auf dem Fußballplatz untersagt, ist es in der heutigen Zeit wichtiger denn je, Verantwortung zu übernehmen und sich für Menschenrechte einzusetzen. So gingen bei der noch jungen WM beispielsweise die iranischen Fußballspieler trotz ihres drohenden Schicksals in ihrem Heimatland als Vorbild voran, indem sie ihre eigene Nationalhymne nicht mitsangen. Deutsche Persönlichkeiten setzten ebenfalls ein Zeichen. Neben Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die auf der Tribüne die von der FIFA verbotene „One Love“-Armbinde als Zeichen für Vielfalt und Toleranz trug, zeigte sich auch die deutsche Nationalmannschaft geschlossen, indem sie sich demonstrativ den Mund zuhielt. „Menschenrechte sind nicht verhandelbar“, schrieb der Deutsche Fußball-Bund (DFB). „Das sollte selbstverständlich sein. Ist es aber leider immer noch nicht. Deshalb ist uns diese Botschaft so wichtig. Uns die Binde zu verbieten, ist wie den Mund zu verbieten. Unsere Haltung steht.“
Viele Fußballprofis sagen, dass sie die Kraft für das Spielen aus ihrem Glauben an Gott ziehen. Sie interpretieren ihre Begabung als göttliche Gabe, derer sie sich würdig erweisen wollen. Bei ihnen kommt vor allem „immer dann, wenn es beim Fußball wirklich zur Sache geht, Gott ins Spiel“, erklärt etwa David Kadel, der für seine „Fußball-Bibel“ mit zahlreichen Profispielern und -trainern über ihren Glauben gesprochen hat. Auch Menschenrechte und Verantwortung für die Schöpfung zu übernehmen sind Teil des christlichen Menschenbildes (und anderer Religionen). Das zeigt die ganze Tragik des skandalösen Verhaltens der FIFA: Gerade dem Fußball wohnt, auch unabhängig von Religion, eigentlich eine integrative und völkerverbindende Funktion inne. Fußball verbindet. Entsprechend verständlich ist es, wenn viele Menschen dieses Turnier boykottieren – gleichzeitig dürfen aber auch nicht diejenigen verurteilt werden, die trotzdem die Spiele absolvieren bzw. als Zuschauer verfolgen.
Stephanie Lerke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Evangelisch-Theologischen Fakultät am Seminar für Praktische Theologie/Religionspädagogik der Johannes Gutenberg Universität Mainz und Lehrbeauftragte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn, Jan Christian Pinsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn und Lehrbeauftragter am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.
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