Spiritualität, Positionalität, Heterogenität: Solche Schlagworte stehen aktuell hoch im Kurs, wenn es um die Zukunft des Religionsunterrichts geht. Und auch, wenn zur Sprache kommt, was Lehrkräfte können und leisten sollen, um landauf landab Religionsunterricht zu erteilen. Damit sind an (angehende) Religionslehrerinnen und Religionslehrer keine geringen Herausforderungen gestellt. Denn nicht zuletzt aus Sicht der beteiligten Institutionen bzw. Religionsgemeinschaften, die den schulischen Religionsunterricht inhaltlich mitverantworten und Lehrkräfte offiziell beauftragen, werden nicht selten (zu) hohe Erwartungen aufgerufen. Insbesondere in kooperativen Modellen mit konfessionell oder religiös gemischten Lerngruppen wird oftmals von den Religionslehrkräften gefordert, ihr religiöses bzw. konfessionelles Bewusstsein zu schärfen, um dem erteilten Unterricht ein entsprechendes Profil geben zu können. Aber: Um welches Profil soll es dabei eigentlich gehen?
Religionslehrerinnen und Religionslehrer agieren in einer Spannung zwischen individueller Religiosität und institutioneller Identität. Zudem steht diese Spannung inmitten der Herausforderung der religiös-weltanschaulichen Heterogenität von Lerngruppen. Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen religiösen bzw. konfessionellen Bindungen und immer mehr auch mit konfessionslosen oder nichtreligiösen Hintergründen fordern Lehrkräfte in ihrer Unterrichtsgestaltung heraus – auch in einem formal bekenntnisgebundenen katholischen, evangelischen oder islamischen Religionsunterricht. Dieses komplexe Bedingungsgefüge produziert mitunter Konflikte, Überforderungen und Enttäuschungen in der Praxis – nicht zuletzt auch angesichts der sich immer wieder in den Vordergrund drängenden Glaubwürdigkeitskrisen der Religionen, Religionsgemeinschaften und der Kirchen, die als Systeme oftmals weit hinter dem zurückbleiben, was sie selbst bezeugen.
Aus Sicht der Professionstheorie befinden sich Lehrkräfte mit ihrem schulischen Handeln in einer strukturellen Antinomie, einer nicht auflösbaren Widersprüchlichkeit. Beispielsweise dann, wenn sie Kinder und Jugendliche zu mündigen Menschen bilden wollen, sie zugleich aber einem System der Disziplinierung und Zensierung unterwerfen müssen. Im Religionsunterricht treten Lehrkräfte einerseits als von den Religionsgemeinschaften offiziell Beauftragte auf, sollen eine professionelle Rolle als Mitglied ‚ihrer‘ Religionsgemeinschaft einnehmen. Andererseits wird von ihnen verlangt, ihre individuelle Spiritualität und Positionalität sichtbar zu machen, mit der sie sich mitunter in großer Distanz zu der sie beauftragenden Religionsgemeinschaft befinden. Aus diesem Dilemma der Selbstpositionierung zwischen institutioneller Bindung einerseits und individueller religiös-spiritueller Freiheit andererseits gibt es keinen Ausweg. Das heißt, in und mit dieser Spannung ist religiöse Bildung zu realisieren, die diese Spannung nicht verschweigt oder zu entladen versucht, sondern vielmehr zum bildenden Antrieb werden lässt. Denn religiöse Identität wird nicht in der bloßen Übernahme bestehender religiöser Formen oder Formeln gebildet, sondern in ihrer kritischen Anverwandlung. Das können Schülerinnen und Schüler von einer transparenten Positionalität ihrer Lehrerinnen und Lehrer lernen und genau darin scheint das dynamische Profil eines konfessionellen bzw. konfessionell- oder religionskooperativen Religionsunterrichts auf.
Das ist herausfordernd, aber auch fördernd, denn es lässt sich etwas gewinnen (sofern man sich auf dieses persönliche Unterfangen einlässt): Klarheit über den eigenen Standpunkt und die eigene Perspektive des Unterrichtens, Souveränität für das überkonfessionelle und interreligiöse Gespräch, neue Impulse für die eigene Spiritualität und nicht zuletzt eine an der Mehrperspektivität dieses Unterrichts erprobte Freiheit zu einer kritischenIdentifikation mit religiösen Traditionen und Institutionen. Religionslehrende sehen sich damit vor der spannenden und spannungsgeladenen Aufgabe, die eigene Religiosität und spirituelle Praxis ständig neu herauszufordern und herausfordern zu lassen. Sie können und sollen sich dabei ermutigt fühlen von einer größeren Gemeinschaft Gleichgesinnter, ihrer eigenen, aber auch im Dialog mit anderen. Sich hier und da mit den persönlichen, auch sperrigen existenziellen Wahrheiten sichtbar zu machen, ist eine der wertvollsten und zugleich notwendigen Aufgaben religiöser Bildung.
Prof. Dr. Jan Woppowa ist Professor für Religionsdidaktik am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn.
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