Ich bin Christ und Sportler. In meiner Freizeit spiele ich Tischtennis. Dies ging soweit, dass ich in Mannschaften gespielt habe, die einen gewissen professionellen Ansatz verfolgt haben und Spieler verpflichtet haben, die Geld mit diesem Sport verdienen. Zudem gehe ich gerne joggen. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn ich sehe, dass sich meine Laufzeit jedes Mal verbessert. Daher würde ich mich durchaus als leistungsorientierten Sportler bezeichnen.
„Dabei sein ist alles!“ Diese vielzitierte Aussage wird immer wieder mit der olympischen Idee in Verbindung gebracht und steht ein wenig im Widerspruch zu meinen Erfahrungen. Im Original von Pierre de Coubertin hieß es wohl: „Das Wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht zu gewinnen, sondern daran teilzunehmen.“ Aber egal, welchen Ausspruch man verwendet, ergibt sich doch ein Gegensatz mit dem Wettkampfsport der Olympischen Spiele oder sämtlichen anderen großen Sportveranstaltungen. Ich möchte damit aufräumen! Schließlich ist das eigentliche olympische Motto: „Citius, altius, fortius“ (lat.: schneller, höher, stärker). Dieses Motto wird dem Drang nach Sensationen und Rekorden, für die die Olympischen Spiele berüchtigt sind, deutlich eher gerecht. Man muss bedenken, dass die Olympischen Spiele in der Zeit des Imperialismus entstanden sind. Wer hatte da schon Zeit und Interesse, an einem sportlichen Wettkampf gegen andere Staaten anzutreten und diesen den Vortritt zu lassen?
In diese Zeit passt auch wunderbar Friedrich Nietzsche und seine Vorstellungen vom Übermenschen. Das Ziel dieser Vorstellung ist es, sich selbst zu überbieten und seine eigenen Leistungen immer wieder aufs Neue zu übertreffen. Bei Leistungssportler:innen, insbesondere den Besten, findet man diesen Typus sehr oft. Talent und unbändiger Ehrgeiz führen immer wieder dazu, körperliche als auch geistige Bestleistungen zu erzielen. In letzter Zeit rückt gerade auch die mentale Verfassung mehr in den Mittelpunkt, wenn man an die Tennisspielerin Naomi Osaka, die Turnerin Simone Biles oder der Radrennfahrer Lennard Kämna denkt. Leistungssportler:innen, die dem mentalen Druck nicht gewachsen sind und Pausen einlegen müssen, um wieder Kraft zu schöpfen. Sind sie deswegen an der Definition „Citius, altius, fortius“ gescheitert?
Und auch wenn ich mich wegen Tischtennis wieder verrückt mache, weil es nicht immer leicht ist, Übermensch zu werden und jedes Spiel zu gewinnen, sollte ich mich vielleicht von Nietzsche abwenden und mich an die erste Definition erinnern: „Dabei sein ist alles“. Nicht, dass ich nicht gewinnen will, aber vielleicht gibt es einfach auch wichtigere Dinge. Es sollte doch Spaß machen, die kleine Plastikkugel über das Netz zu schlagen und eine gute Zeit in der Gemeinschaft meiner Mitspieler zu verbringen. Und der Sport sollte dazu da sein, Stress abzubauen und nicht aufzubauen, fit zu bleiben, sich zu integrieren, voneinander zu lernen und einander zu unterstützen.
Einige dieser Punkte spielen auch in meinem Christsein eine wichtige Rolle. Gemeinschaft, Hilfsbereitschaft und Integration sind für mich elementare Bestandteile meines Glaubens. Und zudem bietet mir Christus an, nach Niederlagen immer noch Mensch zu sein und mich trotz meiner Niederlagen anzunehmen. Dann ist möglicherweise dabei sein doch alles!
Julian Heise ist wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn.
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