Es ist Heilig Abend! Viele Familien sitzen heute Abend hoffentlich in trauter Runde beisammen, feiern die Geburt Jesu Christi und öffnen Geschenke. Weihnachtsbaum und Krippe sind hell erstrahlt. Die letzten Kerzen vom Adventskranz brennen. In den Fenstern leuchten Sterne. Weihnachten ist ein Fest der Lichter!
Christlich-theologisch macht das auch Sinn: An Weihnachten feiert man Jesu Geburt. Am 1. Weihnachtsfeiertag wird prominent ein Teil des Prologs des Johannes-Evangeliums in sowohl der evangelischen als auch katholischen Kirche gelesen. Schon dort wird Jesus als das Licht der Welt angedeutet, was durch Gott in die Welt gekommen sei. Später im Evangelium spricht Jesus zweimal (Joh 8,12; 9,5) von sich als dem Licht der Welt: Er befreit die Menschheit aus der todbringenden Finsternis und leuchtet einen Weg hin zur Erlösung des ewigen Lebens. Kein Wunder also, dass Licht an Weihnachten auch symbolisch eine große Rolle spielt.
Auch anderen Religionen ist das Licht wichtig: Die Menora, der siebenarmige Leuchter im Judentum, war eines der Kultgegenstände, die Mose für das Stiftzelt herstellen sollte. Nach Errichtung des Tempels in Jerusalem fand die Menora auch dort ihren Platz. Neben dem Davidstern ist sie zu einem der prägendsten Symbole im Judentum geworden, sie taucht sogar im Staatswappen Israels auf. Im zeitlichen Zusammenhang mit Weihnachten ist Chanukka wichtig. Im Zuge der Wiedereinweihung des zweiten Tempels 164 v. Chr. sollte die Menora wieder entzündet werden. Es war allerdings zu wenig geweihtes Öl vorhanden, mit dem die Leuchten angemacht werden konnten. Man versuchte es trotzdem und das Öl reichte sogar für acht Tage, ein Wunder! Daraus entstand das populäre achttägige Chanukka-Fest, an dem die Chanukkia, ein achtarmiger Leuchter, entzündet wird. Von Tag zu Tag wird eine Kerze mehr entzündet.
Ein prominenter Vers des Korans hingegen ist der sogenannte Licht-Vers aus der 24. Sure, die auf Arabisch „nūr“, genannt wird – das arabische Wort für Licht. Im genannten Vers wird Gott als das Licht der Welt dargestellt. Es handelt sich um einen recht rätselhaften Vers, der eine große Wirkung auf die muslimische Mystik und Theologie hat. Viele Theolog:innen haben ihn ganz unterschiedlich ausgelegt. Aber auch hier ist der Grundtenor, dass das Licht symbolhaft für Gottes Größe und Stärke steht. Aus hinduistischen Traditionen wiederum kennt man Diwali, ein fünftägiges Fest, an dem überall Kerzen ausgestellt werden. Dort wird unter anderem der Sieg des Guten über das Böse gefeiert: Das Licht siegt über die Dunkelheit.
Die Relevanz von Licht in den Religionen mag natürlich auch ganz profane Gründe haben: Unsere Augen sind wesentliche Sinnesorgane, mit denen wir unsere Umwelt wahrnehmen. Ist es dunkel, ist uns diese Fähigkeit genommen. Von diesem Unbekannten kann große Gefahr ausgehen. Licht dient also dazu, Erkenntnisse zu gewinnen. Gerade abends oder in der dunklen Winterzeit sind Lichter also essentieller Begleiter von uns Menschen. Religionswissenschaftlich ist also eine Verknüpfung von Licht und Religion einleuchtend.
In der Praxis bietet das Thema Licht somit großes Potential: Viele Religionen, die in Deutschland zu finden sind, kennen je eigene Traditionen um Licht. Gleichzeitig ist Licht ein Grundbedürfnis. Das kann ein guter Anlass für gemeinsame Rituale werden und wird auch schon in vielen Bereichen angewendet. Kerzen werden in Krankenhäusern und Schulen gemeinsam mit allen Religionsangehörigen angezündet, denn jede:r hat einen eigenen spirituellen Zugang zum Thema Licht. Ohne direkt in theologische Diskussionen zu verfallen, kann jede:r akzeptieren, dass Licht wichtig ist im Leben von Anderen. Es besteht auch nicht die Gefahr, dass eine Religion die Andere vereinnahmt. Zudem hat vermutlich jeder Haushalt Kerzen bei sich zu Hause, sodass solch ein Ritual des gemeinsamen Kerzen-Anzündens auch unter Nachbar:innen und Freund:innen abgehalten werden kann.
Vielleicht ist das eine gute Chance, mit einfachen Mitteln interreligiösen Dialog zu erleben. Alles was man dafür braucht sind Kerzen, Streichhölzer und Gemeinschaft.
Benedikt Körner ist verantwortlich für den interreligiösen Dialog des Erzbistums Paderborn.
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