Als ich mir das Thema dieses Blogeintrags überlegte, nahm ich mir streng vor, nicht über mich zu schreiben und vielmehr eine globale Position einzunehmen. Und doch lande ich bei meinem gewählten Thema „Rassismus“ unweigerlich wieder bei mir, bei meinen Erfahrungen, meiner Biografie. Und da stellt sich mir die Frage: Kann ich überhaupt anders, als über mich selbst zu sprechen, auch wenn ich das Pronomen „Ich“ nicht in den Mund nehme? Das bezweifle ich, wie auch Michel Foucault, dessen einflussreiche Überlegungen auf die Unmöglichkeit der Neutralität von Subjekten fußen. Ich oute mich mit jedem Satz, den ich spreche, ein wenig mehr, lasse Menschen teilhaben an meinen Gedanken, meinem Inneren und führe sie mit jedem Satz ein bisschen mehr auf die Spurensuche meiner Identität. Diese Perspektivität ist mir als (im Vergleich sehr privilegierte) Schwarze Frau sehr bewusst, denn im Gegensatz zu meinen weißen Kolleg:innen, wurde mir diese Schwarze Position von Geburt an von außen zugeschrieben. Obwohl das bedeutungsvolle Wort „Schwarz“ bis vor einigen Jahren keine Bedeutung in meinem Leben hatte und eher durch fragwürdige Fremdbezeichnungen wie „farbig“ ersetzt wurde, entfremdeten mich der regelmäßige Griff in meine Haare, die ständige Frage, wo ich „denn wirklich“ herkomme und unsinnige Fragen zur „afrikanischen Kultur“. Und nicht nur in der Schule, in der Uni, beim Sport, in der Kneipe oder beim Chor machte ich diese Erfahrungen, sondern auch in religiösen Räumen. Lange Zeit war mir nicht bewusst, woher dieses Unwohlsein kam, das im Zusammenhang mit diesen Erfahrungen in mir entstand. Diese Erklärungsnot lag daran, dass so zentrale christliche Begriffe wie das „Nächstenliebegebot“ oder die „Gottebenbildlichkeit“ mitsamt der daraus folgenden besonderen Würde eines jedes Menschen diesen rassistischen Handlungen – um es beim Namen zu nennen – vermeintlich entgegenstehen und so etwas wie eine Aura der moralischen Unangreifbarkeit konstruieren. Gerade die christliche Religion wird auch heute noch z.T. als friedensbringend, solidarisch und menschenfreundlich hochstilisiert (obwohl der öffentliche Diskurs mittlerweile eher die gegenteilige Richtung einschlägt). Und genau das verhindert den Blick auf die sich seit Jahrhunderten reproduzierenden rassistischen Strukturen in den Kirchen, aber auch in der Theologie. Unumstritten nahm die Kirche im Kolonialismus eine tragende Rolle in der moralischen Legitimierung der Versklavung und Entmenschlichung Schwarzer Menschen ein, durch die sich rassistische Strukturen in ihr Inneres eingeschrieben haben, welche auch mit dem Nächstenliebegebot und der Gottebenbildlichkeit nicht aufgelöst werden können.
Schaut man sich die deutsche Landschaft der Theolog:innen aus einem postkolonialen Blickwinkel an, so wird schnell deutlich, dass Schwarze Perspektiven fehlen. Das lässt sich sicherlich nicht von heute auf morgen ändern und ist auch nicht an Entscheidungen Einzelner geknüpft. Es geht vielmehr um Strukturen, was aber keineswegs die individuelle Verantwortung zur Veränderung des Status Quo schmälert. Bisher sehe ich leider nur wenig weiße christlich theologische Bestrebungen, Rassismus in den eigenen Strukturen offenzulegen und zu dekonstruieren oder sich für nicht-weiße Perspektiven zu öffnen. Eine derartige Öffnung der eigenen Forschung und eine Reflexion der eigenen Positionalität kann ungemütlich und anstrengend sein und trotzdem verstehe ich diesen Kraftakt als unseren Auftrag zur Mitwirkung am Reich Gottes.
Nächstenliebegebot und Ebenbildlichkeitslehre sind als wesentliche Ideale der jüdisch-christlichen Tradition zu verstehen, als Ideale, denen es nachzueifern gilt – die aber auch angesichts unserer Begrenztheit unerreichbar bleiben – und deshalb nicht einfach faktische Realität auf Erden sind. Sätze wie „Alle Menschen haben die gleiche Würde“ verweisen zwar auf einen begrüßenswerten Anspruch, können aber auch den Blick auf die vielen Momente und Dauerzustände verschleiern, in denen Menschen würdelose Behandlung erfahren. Verstehen wir diese Begriffe als Beschreibung der Wirklichkeit, werden wir blauäugig und unterliegen der Gefahr blind für Ungerechtigkeit, Ausschluss und Diskriminierung zu werden. Verstehen wir sie hingegen als emanzipatorischen religiösen Auftrag, ermöglichen sie uns einen selbstkritischen und solidarischen Weg im Namen Jesu zu gehen.
Hannah Drath ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Katholische Religionsdidaktik an der Universität Paderborn.
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