Die Advents- und Weihnachtszeit ist eine Zeit der Nähe und Gemeinschaft. Entsprechend ungewöhnlich und mitunter seelisch belastend war im vergangenen Jahr die erste Corona-Weihnacht. Groß war die Hoffnung, dass Weihnachten 2021 durch die Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus wieder anders ist. Doch die aktuelle Entwicklung bietet erneut einen Anlass zur Sorge, und eine große Frage bei der Pandemiebekämpfung ist: Warum ist ausgerechnet in Deutschland die Impfbereitschaft so niedrig?
Diffuse Ängste vor möglichen Nebenwirkungen und vermeintlichen Langzeitfolgen der Coronaschutzimpfung sind in allen Teilen der Gesellschaft zu beobachten. Auffällig oft finden sich aber konservative Christ*innen unter den Impfgegner*innen. Sie verstehen „den Verzicht aufs Impfen und die Impfskepsis als Ausdruck der eigenen Rechtgläubigkeit“, wie Martin Fritz, theologischer Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin, erklärt. Der Glaube, der dahintersteckt, ist, dass Corona eine Strafe Gottes ist, aus der ein gottgefälliges Leben und das Gebet der einzige Ausweg seien. Krankheit, Tod und Pandemie zu überwinden, sei nur Gott allein vorbehalten. Zudem sei Jesus auch nicht geimpft gewesen.
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Hinzu kommt, dass viele (rechts-)konservative Christ*innen eine starke Bindung zum Rechtspopulismus aufweisen – wie etwa Liane Bednarz in ihrem vielbeachteten Buch „Die Angstprediger“ bereits vor Corona aufgezeigt hat. In der Pandemie hat diese Allianz an Fahrt aufgenommen. In der „Querdenken“-Bewegung setzen sie sich neben Esoteriker*innen und Rechtsextremist*innen gegen die staatlichen Coronaschutzmaßnahmen zur Wehr und verbreiten Verschwörungserzählungen. Deren Denkstruktur funktioniert, wie die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern herausgearbeitet hat, analog zu jener des Antisemitismus: Sie sind entweder „ohnehin schon antisemitisch, oder sie sind aufgrund dieser strukturellen Gleichheit mit dem Antisemitismus sehr anschlussfähig für offenen Antisemitismus.“ Das Impfen steht im Zentrum dieser Verschwörungserzählungen, indem behauptet wird, die Pandemie sei ein Vorwand, um die Menschheit „zwangszuimpfen“ und durch einen injizierten Mikrochip kontrollierbar zu machen, um die „Neue Weltordnung“ im Sinne einer jüdischen Weltverschwörung herbeizuführen. Neu ist der Ansatz nicht: Bereits bei der großen Pest im 14. Jahrhundert suchte man nach Schuldigen und fand sie in den Jüdinnen und Juden. Der Vorwurf der Brunnenvergiftung ist nur eines von zahlreichen antijüdischen Ausgrenzungsstereotypen des Mittelalters, die zur langen (christlichen) Tradition der Judenfeindschaft beitrugen.
Entsprechend ist es aus mehreren Gründen wichtig und notwendig, dass sich Vertreter*innen beider großen christlichen Kirchen in Deutschland klar gegen Verschwörungserzählungen, Fake News und Fundamentalismus und für die Unterstützung der Impfkampagne gestellt haben – jüngst etwa der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz, der angesichts der vierten Welle der Coronapandemie erklärte: „Impfen ist in dieser Pandemie eine Verpflichtung aus Gerechtigkeit, Solidarität und Nächstenliebe. Aus ethischer Sicht ist es eine moralische Pflicht. Wir müssen uns und andere schützen. Die Impfung ist dazu das wirksamste Mittel.“
Stephanie Lerke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie der Technischen Universität Dortmund und Lehrbeauftragte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn, Jan Christian Pinsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn.
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