Die Naturkatastrophen in den letzten Wochen und Monaten schreien zum Himmel. Man kann regelrecht hören und sehen, wie sie vor Augen führen, welche Folgen die menschliche Undankbarkeit und Unachtsamkeit mit sich bringen, wenn das anvertraute Gut – die Schöpfung – ausgebeutet, zweckfremd und verschwenderisch genutzt wird.
Im Qurān wird die Natur als Zeichen und Zeuge genannt. Wiederholt werden Ereignisse wie Tag und Nacht, Regen und Trockenheit, Tiere und Pflanzen, Himmel und Erde und auch der menschliche Körper und Geist als Zeichen erwähnt, über die nachgedacht werden soll. Die Zeichen sollen verdeutlichen, dass es eine Verbindung und ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur gibt. Der Mensch ist verantwortlich, die von Gott erschaffene Ordnung im Gleichgewicht zu halten.
Die ökologische Krise entsteht, wenn der Mensch meint, von Gott und Natur unabhängig zu sein und nur eins als sein Lebensziel gilt: Gewinn um jeden Preis. Die Entwicklung und der Wohlstand werden materiell wertvoll gesehen, die Nachhaltigkeit und sorgfältige Nutzung der Ressourcen sind eher zweitrangig. Die qurānische Aussage, dass der Mensch in seiner Natur nach Transzendenz greift und im tiefsten Inneren auf Gott ausgerichtet ist, drückt die intensive Verbundenheit mit der Schöpfung aus und weist darauf hin, dass alle Geschöpft aufeinander angewiesen sind. Die Schöpfungsordnung soll durch Hören, Sehen und Verstehen erschlossen werden. Die Erkenntnis, die laut dem Qurān durch Einsatz von Augen, Ohren und Herzen erlangt werden kann, soll den Menschen ermöglichen, umsichtig und vernünftig zu handeln. Ein nachhaltiger und umsichtiger Umgang mit der Natur kann nur funktionieren, wenn der Mensch die göttliche Ordnung wahrnimmt und mit Achtsamkeit sich um deren Erhalt bemüht.
Der Mensch steht in einem Beziehungssystem – zu sich selbst, zu Mitmenschen, zu Tieren und Pflanzen, zu Gott – und hat als denkendes und mit Vernunft erschaffenes Wesen eine besondere Rolle in diesem Beziehungssystem. Im Qurān wird oft erwähnt, dass alle Geschöpfe -auch Pflanzen und Tiere- auf ihre eigene Art Gott preisen, durch Hingabe zu Gott sind sie miteinander verbunden.
In den islamischen Überlieferungen werden die Menschen gelobt, die vorsichtig mit Ressourcen umgehen, bescheiden und bereit zum Teilen sind. Verschwendung und Geiz sind zwei Eigenschaften, gegen die immer wieder gemahnt wird. Die Erzählungen z.B. vom Propheten Salomon, der die Sprache der Tiere verstand, sollen verdeutlichen, dass auch die Tiere Rechte haben, die von Menschen immer wieder vernachlässigt werden. In einer Geschichte geht es um eine Ameise, die die anderen warnt, als Salomon sich mit seinem Pferd ihnen nähert. Salomon hört die Ameise, lächelt und bewegt sich vorsichtig, damit sein Pferd die Ameisen nicht vernichtet. Eine schöne Geschichte, wenn die kleine Ameise den mächtigen König und Prophet zurechtweist, und dieser bereit ist, auf sie zu hören und seinen Weg zum Wohle der Tiere zu ändern.
Während die Tiere und Pflanzen intuitiv und von Natur aus ihre Beziehung zu Gott haben, indem sie das tun, was ihnen als Aufgabe auferlegt wurde, ist der Mensch fähig, kraft der ihm gegebenen Vernunft seine Beziehungen zu reflektieren. Er kann durch Überheblichkeit und ständige Grenzüberschreitungen diese Beziehungen stören und missachten. Er kann aber auch an der Natur ein Beispiel nehmen und lernen, wie er verantwortungsbewusst mit ihr umgeht. Der Mensch braucht Wegweiser, die ihn zum Nachdenken und zur Neuorientierung führen.
Hamideh Mohagheghi ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Koranwissenschaften an der Universität Paderborn.
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