Manchmal ist es erschreckend, wie schnell jemand bei der Beschäftigung mit einem biblischen Text von der Realität eingeholt werden kann. Mitte Juli erging es so den vielen Pfarrer*innen und Prädikant*innen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) – darunter auch einem der beiden Autor*innen dieses Textes –, die am siebten Sonntag nach Trinitatis den Gottesdienst verantworteten und nach der sogenannten Perikopenordnung eine Geschichte aus 1. Könige 17, 1-16 als Predigttext vorgegeben bekommen hatten.
Hier teilt Gott dem Propheten Elia mit, dass „diese Jahre weder Tau noch Regen kommen“ würden. Er lässt also wissentlich zu, dass eine große Trockenheit eintreten wird, oder – und das wäre der noch schwerere „Tatbestand“ – er schickt diese Dürre ganz bewusst. Eine Naturkatastrophe als Strafe Gottes? Diese Vorstellung gibt es seit Anbeginn der Zeit. Und Notsituationen wie bei Elia sind nicht nur Gegenstand von archaischen Erzählungen, sondern sie passieren auch heute jeden Tag – denken wir nur an die große Hungersnot in vielen Ländern Afrikas, aber auch auf anderen Kontinenten, und an die extreme Wasserknappheit, die vielerorts herrscht. In der Woche vor dem siebten Sonntag nach Trinitatis kam dann das erschreckende Gegenteil hinzu: Die Bilder von den Überschwemmungen aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und weiteren Teilen Europas werden wir so schnell nicht wieder vergessen. Eine Predigt über einen Text zu verfassen, in dem eine große Trockenheit die Menschen verhungern und verdursten lässt, während tatsächlich gewaltsame Wassermassen von einem Moment auf den anderen unzählige Existenzen vernichteten und so viele Menschenleben forderten, wurde dadurch zu einer extremen Herausforderung.
Aber: Können wir Gott tatsächlich verantwortlich machen für all die Not oder – vielmehr noch – sogar davon ausgehen, dass sie ganz bewusst von ihm so gewollt ist? Ist Gott dieser strafende Gott, der uns das große Unglück schickt, auf dass wir geläutert werden? Auch in der Coronapandemie war dies immer wieder zu hören. Doch ein Virus, das Menschen zum Nachdenken zwingt oder nur die „Bösen“, aber nicht die vermeintlich „Gerechten“ trifft: Das würde ihn, mit dem evangelischen Theologen Wolf Dieter Steinmann gesprochen, zu einem „Menschenfeind“ machen, weshalb Corona als Strafe Gottes in die Reihe der religiösen Verschwörungserzählungen gehört – auf einer Ebene mit jenen Schwurblern, die die Existenz der Gefahren des Coronavirus gänzlich leugnen.
In Bezug auf viele Naturkatastrophen ist eine wissenschaftliche Argumentation möglich, denn die Realität eines menschengemachten Klimawandels, der die Not von Millionen Menschen noch verschärft, lässt sich mit einem gesunden Menschenverstand nicht leugnen. Aus theologischer Sicht ist hier wichtig: Gottes Schöpfung ist ein Geschenk für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der christliche Glaube ist mehr als nur die Hoffnung auf ein transzendentes Heil – er beinhaltet vor allem auch ein harmonisches, florierendes und nachhaltiges Leben im Angesicht Gottes im Hier und Jetzt. Hierbei wird dem Menschen durch seine Ebenbildlichkeit ein besonderer Auftrag zuteil. Er wurde nicht als König oder Untertan geschaffen, sondern mit der Aufgabe der Schöpfungsverantwortung versehen, die schöpferische Vielfalt auf der Welt zu bewahren. Die jüngsten Ereignisse haben noch einmal vor Augen geführt, dass die Schöpfung vor einer gravierenden globalen Herausforderung steht, die dringend menschliches Umdenken und Handlungsbedarf fordert. Schließlich ist dem evangelischen Theologen Jürgen Ebach zufolge der Mensch erst dann ganz Mensch, wenn er die Schöpfung ehrt.
Daraus zu schließen, dass die Menschen, die in den von den Überschwemmungen und anderen Katastrophen betroffenen Regionen ihr Hab und Gut oder ihr Leben verloren haben, selbst schuld daran seien, wäre jedoch nicht nur zutiefst zynisch, sondern ebenso unangebracht wie die Rede von einer Strafe Gottes. Wer Gott als Urheber derartiger Katastrophen behauptet, entzieht sich der eigenen Verantwortung. Stattdessen hat die gesamte Menschheit den Auftrag, die Schöpfung Gottes – Mensch, Tier und Natur – zu bewahren. Daher bedarf es nicht erst seit den schrecklichen Bildern der vergangenen Wochen einer globalen ökologisch und wirtschaftlich nachhaltigen Neuausrichtung.
Stephanie Lerke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie der Technischen Universität Dortmund und Lehrbeauftragte am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn, Jan Christian Pinsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn und Prädikant in der Lippischen Landeskirche.
#Schöpfungsverantwortung #Klimawandel #Nachhaltigkeit
Hallo, ihr zwei…danke für den Kommentar und entschuldigt bitte, dass ich finde, ihr greift etwas zu kurz. Es ist okay, Gott als Katastrophenerklaerung abzulehnen, da gehe ich gerne mit. Aber ein Gott, der nichts mehr tut, den braucht keiner. Und reduziert auf den Tröster aus Jesaja reicht mir auch nicht. Wie soll ich da noch für mich und andere bitten und vor ihm verantwortlich leben? Also muss ich sein Handeln beschreiben, auch in der Pandemie oder der Katastrophe. Was tut ERSIE? Wenn ich versuche, bin ich im gleichen Dilemma wie ihr oder wie die, die von der Strafe reden. Gott handelt, dann ist es zuviel oder nicht genug und immer in der Gefahr, dass es zynisch wird. Also, was lese ich in der Bibel? Er begrenzt das Chaos. Nicht alles geht kaputt, ohne dieses Begrenzen wäre es noch schlimmer, glaube ich. Er stellt seinen Bogen in die Wolken und alles, was Hoffnung gibt und beflügelt, kommt aus ihm. Er lässt die Sonne auf- und untergehen, gibt Rhythmus, Routinen und den Halt, der darin steckt. Er hört Gebete und erhört sie.
Das alles klingt nicht sehr großartig, aber wenigstens bleibt Gott präsent aktiv. Und, er bleibt ein Geheimnis.
Zum Schluß. In der Bibel ist die Katastrophe die Wahrnehmung der Abwesenheit Gottes. Was machen die Menschen. Sie machen ihn verantwortlich, schreien nach dem Warum und rechnen damit, dass er Schuld ist, obwohl er sie liebt. Und in diesem Zusammenhang reden Menschen manchmal auch von Strafe, als Betroffene und nicht als unbeiligte, mit erhobenem Zeigefinger.
Soweit mein Kommentar, in der Hoffnung, dass ich euch damit nicht zu nahe getreten bin. .. Maik Fleck
Noch eine Leseempfehlung
Michael Beintker u.a., Das Handeln Gottes in der Erfahrung des Glaubens, UEK, 2020
Lieber Maik, wir danken dir wiederum für deinen anregenden und hilfreichen Kommentar! Wie in der Einleitung beschrieben, hatte sich Jan auch in seiner Sonntagspredigt in der Kilianskirche in Schötmar mit dem Thema beschäftigt und dabei auch sehr stark Gottes Wirken in den Mittelpunkt gerückt – in der Geschichte aus dem 1. Buch der Könige am Beispiel von Elia und der Witwe, das zeigt, das Gott den Menschen immer wieder auf eine Art und Weise beisteht, die überraschend und mitunter unergründlich ist. Auch die Psalme zeigen ja immer wieder, dass Gott im Moment des Leids und der scheinbaren Verlassenheit doch da ist. Die Predigt schloss sodann mit dem Zuspruch aus 1. Petrus 5,7: „Alle eure Sorge werft auf ihn; der er sorgt für euch.“ Das heißt aber gerade nicht, dass der christliche Glaube vor einer Virusinfektion oder vor einer Naturkatastrophe schützt, aber der Vers schenkt Hoffnung und Zuversicht und nimmt uns zugleich in die Verantwortung, den Verschwörungserzählungen eines mit Dürrekatastrophen, Seuchen oder Pandemien strafenden Gottes die christliche Botschaft von der Liebe, Barmherzigkeit und Gnade entgegenzusetzen, und vor allem selbst aktiv zu werden gegen die Nöte dieser Welt. Und genau diesen Punkt haben wir in unseren Überlegungen zur Schöpfungsverantwortung vertieft. Da die Zeichen dieses Blogeintrags begrenzt sind – während eine gute reformierte Predigt ja gerne 20 Minuten dauern darf 😉 – mussten wir uns auf diesen Fokus konzentrieren. Dass der andere Aspekt nicht zum Tragen kam, hat also nichts damit zu tun, dass wir kein Handeln Gottes in der Welt behaupten, sondern ist dem limitierten Textumfang geschuldet.
Stephanie Lerke und Jan Christian Pinsch