Der Bundesrat hat „ein Gesetz mit Vorschriften zur äußeren Erscheinung von Beamten gebilligt… Das Gesetz stieß bei islamischen Verbänden auf Widerstand, weil sie ein Kopftuchverbot durch die Hintertür befürchten“.[1]
Kaum lese ich die Nachricht, kommt mir der Kopftuchzwang in einigen muslimischen Ländern wie Iran und Saudi-Arabien in den Sinn. Der Zwang zum Tragen des Kopftuchs auf der einen und das Verbot des Tragens auf der anderen Seite – wenn auch beschränkt auf die Berufsgruppe der Beamtinnen – sind für mich als Frau und Muslima zwei Seiten einer Medaille. Beide diktieren mir, „was ich tragen darf und was nicht“. Beide schreien mir „mit der Kraft des Gesetzes“ zu: Ich kann nicht arbeiten, wenn ich mich nicht an bestimmte Kleidervorschriften halte. Ich kann nicht meinen eigenen Lebensunterhalt verdienen – was mich finanziell und sozial unabhängig macht –, wenn ich mich nicht so kleide, wie „sie“ es „mir“ sagen.
Die eine Seite setzt mir kraft des Gesetzes eine Kopfbedeckung auf, die andere entfernt sie kraft des Gesetzes. Auf beiden Seiten entscheide nicht ICH über meinen eigenen Körper, sondern SIE entscheiden. Trotz der großen Unterschiede auf beiden Seiten – und beide sehen sich als die „falsche Seite“ – sind sie sich in ihrem Willen, über die Frau zu bestimmen, wesentlich ähnlicher als sie zugeben würden. Für beide Seiten ist der Körper der Frau das kontroverse Thema.
Für mich ist das, was ein System von Ideen und Gedanken zu einem „ideologischen System“ macht, eben gerade der Körper der Frau. Wo er zum „Schlachtfeld“ wird, zur eigentlichen Barriere, die über Fortschritt, den Grad der Emanzipation und Integration entscheidet, hat das Patriarchat den Gesetzgeber ersetzt. Wo über das „Erbe der Aufklärung“ und „die Verteidigung der Menschenrechte“ gesprochen wird, geht es dann um das Aufrechterhalten einer männlichen Ordnung, die Frauen als abgeleitet von ihr definiert.
Deshalb habe ich die Nase voll vom Burka-Streit, vom Kopftuch-Streit, von dem Narrativ von „Hijab als Symbol für die Unterdrückung der muslimischen Frauen“. Ich habe die Nase voll von all den oberflächlichen Streitigkeiten, die eigentlich kein wirkliches Problem ansprechen,[2] sondern eher Teil eines westlichen Narratives sind, das in das alte Meta-Narrativ über den „Orient“ passt[3] – d.h. dass muslimische Frauen unterdrückt sind, dass ihr Körper von den patriarchalischen Systemen versklavt wird usw. Meine Frage als muslimische Frau inmitten all dieser wahnsinnig lauten Stimmen der Auseinandersetzung ist: Warum sind es oft „andere“, die „im Namen der muslimischen Frauen“ sprechen? Warum sollen „andere“ immer für die muslimische Frau entscheiden? Warum wird dieses Thema zum eigentlichen Thema der Emanzipation und Integrationsfähigkeit erklärt? Selbst wenn der Islamismus eine Ideologie ist, die es zu bekämpfen gilt, warum macht man wieder den Körper der Frau zum Schlachtfeld? Warum sollen Frauen für den männlichen ideologischen Krieg bezahlen?
Von einem System der Freiheit und des Respekts vor den Menschenrechten lässt sich nur sprechen, wenn nicht der Frauenkörper weiterhin das Thema der Auseinandersetzung ist. Denn: Keine Freiheit ist möglich ohne die Freiheit des weiblichen Körpers – und über diese Freiheit bestimmen Frauen selbst.
[1] https://www.welt.de/politik/deutschland/article230971383/Bundesrat-Kopftuchverbot-durch-die-Hintertuer.html
[2] Mehr dazu: https://www.yorkshirepost.co.uk/news/how-many-muslim-women-actually-wear-burqa-university-professor-busts-burqa-myths-582474
[3] Nach Edward Saids bahnbrechendem Werk „Orientalismus“ sind wir uns mehr denn je solche problematischen dominanten Diskurse und Meta-Narrative bewusst.
Dr. Saida Mirsadri ist Mitarbeiterin am Seminar für Islamische Theologie der Universität Paderborn.
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