Über Hanna(h)s

Unter dem Hashtag #IchbinHanna ist der Frust junger Akademiker*innen in Deutschland endlich laut und hörbar geworden. Deren Arbeitsbedingungen werden oft als prekär bezeichnet, sind aber im Verhältnis zum allgemeinen Arbeitsrecht eher absurd zu nennen. Ein anderes Wort verdient ein System nicht, in dem der Staat zulässt und fördert, was er andernorts strikt unterbindet, dass nämlich Menschen ohne Angabe von Gründen und ohne Ansehung der Leistung ihre Anstellung verlieren dürfen bzw. müssen und damit ihre Lebensgrundlage. Die wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Folgen für die jungen Wissenschaftler*innen sind ebenso gut dokumentiert wie die Konsequenzen für Wissenschaft und Bildung selbst. Es ist für eine der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt, die sich auch gerne in der Bildungspolitik vorne sehen würde, schlicht beschämend, dass es nicht gelingt, hier wirklichen Fortschritt zu erzielen. Der Versuch des BMBF, für das bestehende System über die kindergartentaugliche Erzählung von Hanna zu werben, ist zum Glück krachend gescheitert und hat einen öffentlichen Sturm der Empörung ausgelöst. Allerdings finde ich den Namen Hanna recht gut gewählt, weil ich ihn mit zwei Frauen assoziiere, die für mich als Philosophen und Theologen wichtig sind.

Da ist zum einen natürlich Hannah Arendt, deren praktische Philosophie nicht nur auf die großen humanitären Katastrophen, sondern gerade auf den Alltag gesellschaftlichen Zusammenlebens gerichtet ist. Sie hat wie keine zweite deutlich gemacht, dass sich niemand in einem Unrechtssystem verstecken darf. Jede*r einzelne, jede Ministerin, aber auch jeder Rektor und jede Professorin, hat aus Freiheit die Verantwortung zu tun, was ihr und ihm unmittelbar möglich ist, um Ungerechtigkeit zu verhindern. Niemand hat das Recht, sich in die Unmündigkeit der Systempflicht zu flüchten, um seine eigene Macht auf dem Rücken Schwächerer zu etablieren. 

Die biblische Prophetin Hanna betrachtet die Mächtigen mit mitleidiger Schärfe, weil sie sich über etwas zu definieren versuchen, was sie nicht sind. Man ist nicht an sich mächtig, sondern hat Macht nur in einem bestimmten System: „Niemand ist stark durch eigene Kraft.“ (1 Sam 2,9) Statt sich verzweifelt an die eigene Relevanz zu klammern soll der Mensch einsehen, dass nur sein Tun zählt.

Es kommt also nicht nur darauf an, dass etwas getan wird, sondern darauf, dass jede*r tut, was ihm und ihr möglich ist. So lässt sich der langfristig unausweichliche Systemwechsel noch sinnvoll und mit politischem Gestaltungsspielraum beeinflussen. Andernfalls verspricht nur noch der Kollaps Erlösung – mit der Apokalypse kennt sich die biblische Hanna übrigens auch gut aus.

Dr. Aaron Langenfeld ist Vertretungsprofessor für Dogmatik und Dogmengeschichte unter Berücksichtigung fundamentaltheologischer Fragestellungen an der Universität Vechta.  

#IchbinHanna