„Thank God and have prayers“, sagte ein Bruder von George Floyd, als der Richter das Urteil verkündete, dass der weiße Polizist Derek Chauvin in allen drei Punkten der Anklage schuldig gesprochen wurde: in Minneapolis am 25.05.2020 Mord 2. Grades an einem unbewaffneten und wehrlosen Mann schwarzer Hautfarbe. Gegenüber den letzten gut verständlichen und auf dem Handyvideo dokumentierten Worte seines sterbenden Bruders „I can’t breathe“, die Chauvin ignoriert hatte und sein Knie bis zum Erstickungstod von George Floyd in seinen Nacken gedrückt hatte, sagte der Bruder nach dem Urteil: „Now we can breathe again.“
Von Joe Biden berichteten die Nachrichten am Tag vor dem Urteil, dass er dafür gebetet habe, dass das Gericht das richtige Urteil fällen würde. In seiner Rede nach dem Urteil beurteilte er die Gerichtsentscheidung als ersten Schritt zu mehr Gerechtigkeit gegenüber dem strukturellen Rassismus in der amerikanischen Polizei und kündigte ein Gesetz zur Eindämmung rassistischer Polizeigewalt an, das Floyds Namen tragen könnte. „People of color“ in den USA und überall in der Welt sowie die Bewegung „Black lives matter“ feiern das Urteil und hoffen, dass es zu einem Wendepunkt in der amerikanischen Polizei und in der Rechtsprechung wird.
In ihrer ersten öffentlichen Stellungnahme dankt die Familie Gott für das gerechte Urteil. Ihre und Bidens Gebete verstehen sie als erhört. Seit Jahren waren in ähnlichen Fällen weiße Polizist*innen freigesprochen worden.
In Westeuropa hätten wir – so vermute ich – solch eine öffentliche Dankeserklärung an Gott nicht gehört. Wir mussten lernen, dass es sinnvoll ist, Recht und Religion deutlich zu unterscheiden. Unsere Lernerfahrungen sind die philosophische Religionskritik, Analysen des Missbrauchs des göttlichen Namens für Waffensegnungen, öffentliche, staatliche und private Gewalt, zur Legitimation der Entwürdigung von Menschen in Kolonien, die Ausdifferenzierung zwischen Recht und Religion im modernen Europa sowie die Erfahrung der Marginalisierung der Religionsgemeinschaften im öffentlichen Raum. Auch das Fehlurteil der Todesstrafe gegenüber dem, den die Christenheit als Gottes Sohn verehrt, könnte die Skepsis gegenüber jedem irdischen Recht nähren.
Dennoch hoffen die biblischen Schriften immer wieder darauf, dass sich im irdischen Recht göttliches Handeln zeigt und fordern auf, Recht zu tun: „Gott liebt Gerechtigkeit und Recht“, heißt es in Psalm 35,5.
Neben berechtigter Kritik steht daher auch die moderne Theologie vor der Aufgabe, Kriterien zu nennen, an denen sich Recht im Sinn Gottes orientieren sollte. Aus der Sicht der christlichen Religion zeigt sich Gottes Handeln im irdischen Recht, wenn das Recht dazu dient, Gewalt gegenüber Wehrlosen, die Missachtung der Freiheit und der Würde schwacher, marginalisierter und ausgegrenzter Menschen zu sanktionieren und Frieden zu fördern. Humanität, Frieden und Respekt gegenüber gesellschaftlich Ausgegrenzten können wachsen, wenn das Recht sie schützt. Aus der Sicht der christlichen und anderer Religionen kann sich in solchem Recht schon irdisch göttliche Gerechtigkeit ausbreiten.
Prof. Dr. Helga Kuhlmann ist Professorin für Evangelische Theologie mit dem Schwerpunkt Systematische Theologie und Ökumene am Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn.
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