Gerne behaupte ich kein Geld zu brauchen, denn was sollte ich mir kaufen wollen, wozu würde es mir oder einem glücklichen Leben dienen? Unabhängig vom Fehlen meiner persönlichen Leidenschaft für monetäre Bereicherung und einer Grundskepsis gegenüber kapitalistischen Wirtschaftssystemen, die mich als Erbin der Kritischen Theorie ausweist, hat auch Jesus Christus mich gemahnt, dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen würde, denn ein Reicher ins Himmelreich kommt. Und auch Buddha lacht über jeden, der an irdischen Gütern festhält und so sein Glück oder die Freiheit zu finden sucht. Ob Aristoteles oder Al Ghazali – alle haben erkannt, dass Geld und Besitztümer eben nicht glücklich machen. Nicht zuletzt erinnert mich auch Papst Franziskus immer wieder an den Paarhufer mit den langen Wimpern und kritisiert die strukturellen und sozialethische Dimensionen dieses Gierens nach Geld, seine katastrophalen Konsequenzen für uns Menschen, unsere Solidarität untereinander und unsere Beziehung zur Schöpfung. Ja, Geld stinkt, verdirbt den Charakter und es heißt, was Du besitzt, wird dich besitzen.
Aber: Ist das wirklich der Fall? Ist Onkel Dagobert wirklich eine so moralisch verderbte Ente? Warum wollen wir für uns selbst (oder wahlweise unsere sogenannten „Lieben“) dennoch immer mehr von dem bunt bedruckten Papier? Ist es alleine der weltweite Systemdruck der uns dazu veranlasst, oder gibt es doch möglicherweise positive Effekte des Geldes? Ist Geld also ein intrinsece malum oder kann es doch auch gut sein?
Was motiviert mich zu diesen Fragen? Jürgen Habermas, der sich in seinen kritischen Gesellschaftsanalysen immer wieder mit den Grundbedingungen für Befreiung und Gerechtigkeit auseinandersetzt, hat einmal erwähnt, dass die hochkomplexen Gesellschaften der Spätmoderne, ihre Differenzierung, ihre Reproduktion und auch ihre Evolution (so sehr man diese angesichts gegenwärtiger politischer Entwicklungen anzweifeln mag), auf einer funktionierenden, stabilen Wirtschaft basieren. Nicht wenige Psycholog*innen, argumentieren zudem dafür, dass (moderater) Wettbewerb ein Motor für Innovation und Kreativität ist. Komplementär dazu zeigt sich im Blick der Armutsforschung außerdem, dass es Menschen ohne Geld und stabiles Einkommen kaum möglich ist, an Gesellschaft und öffentlichem Leben teilzunehmen, dass ihre Welt klein wird und sie – durch die tägliche Notwendigkeit sich mit Geldbeschaffung und -Verwaltung beschäftigen zu müssen – ihre kognitiven Ressourcen binden. Kein oder kaum Geld zu haben führt also ebenso in die Enge und blockiert.
Diese Gedanken und Hinweise fokussieren jedoch primär wirtschaftliche Systeme bzw. deren problematische Pervertierung unter neoliberalen Vorzeichen und die globalen Wechselwirkungen und Systemzwänge, die sie hervorrufen. Die Frage, warum und was uns – jenseits der Tatsache, dass wir offenbar in Strukturen leben, die Geld erforderlich machen, um in ihnen bestehen zu können – auf der persönlichen Ebene dazu motiviert Geld anhäufen und vermehren zu wollen trotz seines negativen Rufes, wird damit nicht beantwortet. Mir scheint aber, dass nur wenn man auf dieser persönlichen Ebene die mit Geld verbundenen Dynamiken, die mit ihm adressierten Bedürfnisse und die mit ihm entstehenden Abhängigkeiten versteht, sich auch auf der strukturellen Ebene Veränderungen vornehmen, sinnvolle Alternativen entwickeln und so auch die religiösen Hinweise und Präskriptionen mit den Bedingungen gegenwärtiger Lebenswelt neu ins Gespräch bringen lassen.
In den letzten Jahren hat der Soziologe Hartmut Rosa mit seiner Gesellschaftsanalyse entlang der Kategorien von Resonanz und Entfremdung m.E. für diese Fragen eine hilfreiche kriteriologische Spur gelegt. Er argumentiert, dass Individuen für ihre Persönlichkeitsentwicklung und ein gelingendes Leben auf resonante Weltbeziehungen angewiesen sind, d.h. solche Erfahrung mit der Welt (mit Dingen, den Anderen und sich Selbst) machen müssen, in denen sie sich einerseits als unvertretbare, mit eigener Stimme sprechende Einzelsubjekte wahrnehmen und andererseits das Gegenüber in umgekehrtem Bezogensein zum Schwingen bringen, d.h. als ein Antwortendes gewahr werden können. Ein solches dynamisch-responsives Interaktionsgeschehen wird (auch) deshalb als positiv, berührend, bedeutsam oder sinnstiftend erlebt, weil das Universum langläufig zum Geschick des Einzelnen schweigt, die Welt stumm ist. Auch wenn die Erfahrung der Resonanz grundsätzlich nicht hergestellt werden kann, d.h. gerade in der Unverfügbarkeit des Moments der Verflüssigung von Weltdeutungen, des Verstehens, der Selbstwirksamkeit, besonders – oder um eine religiöse Kategorie zu wählen „geschenkt“ – ist, erschweren bestimmte Haltungen es, solche Resonanzerfahrungen machen zu können. Dazu gehört die Haltung des Konsums, der Verzwecklichung und der Verobjektivierung.
Mit Geld – so Rosas Gedanke – verfolgen wir auf der kulturellen bzw. persönlichen Ebene nun ein Programm der Reichweitenvergrößerung: Wir kaufen, wir investieren, wir vereinnahmen Dinge, Andere, uns selbst in der Hoffnung Resonanz und Beheimatung zu finden, die Stummheit der Welt durchbrechen zu können. Darin liegt jedoch das Problem: Der oberflächliche Genuss einer Wellness-Behandlung, die kurzweilige Faszination für neuste Technik oder Mode, der flüchtige Rausch den Geld erkaufen kann, ist performativ zum Scheitern verurteilt. Weltverhältnisse nämlich, deren Beziehungsmodus ein vornehmlich aneignender ist, d.h. die durch einen Weltbezug gekennzeichnet sind, in dem das Individuum sich die Welt unter dem Aspekt der Verzweckbarkeit, Beherrschbarkeit, oder Nützlichkeit aneignet, können keine Resonanz erzeugen, weil das Gegenüber konsumiert wird, nicht mit eigener Stimme antworten kann oder darf – und so maximal das Echo der eigenen Bedürfnisse ist. Geld vergrößert also vielleicht die Reichweite, der mit der Logik von Geld als stummen Tauschmittel performativ verbundene Beziehungsmodus zur Welt ist jedoch für Resonanz undurchlässig. Sich also dem Glauben hinzugeben, Geld könne in der Reichweitenvergrößerung alleine Resonanz befördern, ist nicht nur der Logik von Resonanzbedingungen nach unmöglich, sondern führt in die Illusion Geld könne Sinn und Beheimatung kaufen, verlängert so bloß die Stummheit der Welt und gefährdet den Menschen in seinem Bedürfnis nach resonanten Beziehungen bis hin zur Depression. Umgekehrt kann Geld dann und dort die Resonanzachsen von Blockaden zu befreien helfen, wo es eingesetzt wird, um bei der Anverwandlung der Welt – nicht ihrer Aneignung! – zu helfen.
In diesem Sinne kann Rosas Theorie klarer machen, welche Hoffnungen wir mit Geld auf persönlicher, psychologischer Ebene zu verbinden scheinen und warum diese Hoffnungen nicht nur enttäuscht werden müssen, sondern auch welche Gefahren sich damit verbinden auf Geld als Therapiemittel zu setzen. Nur wenn wir es schaffen das Nadelöhr für alle zu weiten, kann man das Kamel verantwortet zur Oase traben lassen.
Wen diese skizzenhaften Auszüge aus Hartmut Rosas Werk neugierig gemacht haben, kann ihn zur Frage nach den Weltverhältnissen und der Digitalisierung am heutigen Freitag 06.11.2020 im Rahmen der Tagung des Graduiertenkollegs „Kirche in Zeiten der Veränderung“ hören. Das Kolleg hat die die Ehre ihn dort zu einem online-Vortrag begrüßen zu dürfen. Zur Anmeldung, die auch kurzfristig noch möglich ist, und zu weiteren Informationen geht es hier:
Dr. Anne Weber ist Kollegiatin im Graduiertenkolleg „Kirche-Sein in Zeiten der Veränderung“ an der Theologischen Fakultät Paderborn.