Das Überreichen eines Blumenstraußes, das letzte Woche in Thüringen noch zum Symbolakt der Verachtung wurde, dürfte heute in vielen Haushalten Gegenteiliges bedeuten: Eine Liebeserklärung – und das bei Fleurop bereits ab 39 Euro laut Website! Der 14. Februar gilt in vielen Ländern als Tag der Liebenden. Über den Ursprung des Valentinstags gibt es unterschiedliche Theorien, von denen jedoch keine als bewiesen gilt. Möglicherweise geht dieser Tag auf Valentin von Terni zurück, der Kranke geheilt und sie so vom Christentum überzeugt habe. Vielleicht war aber auch Valentin von Rom gemeint, der entgegen des kaiserlichen Verbots Paare christlich getraut haben soll. Womöglich handelt es sich sogar um dieselbe Person. Wahrscheinlich ist, dass beide aufgrund o.g. Aktivitäten den Märtyrertod starben. Weitere Erklärungen setzen u.a. bei heidnischen Bräuchen im antiken Rom an, wie etwa der Ehrung der Ehe- und Familiengöttin Juno oder dem Fruchtbarkeitsfest Lupercalia, da beides auf Mitte Februar datiert ist. Auch eine Kombination mehrerer Theorien ist denkbar. Insgesamt bleibt die Causa Valentin ungeklärt, aber wen sollte das im postfaktischen Zeitalter noch stören? Die Geschenkeindustrie jedenfalls nicht.
Schaufenster und Supermarktregale sind in rosa und rot getaucht, Werbungen versprechen exklusive Valentinstagsangebote und überhaupt scheinen erstaunlich viele Menschen daran interessiert zu sein, dass ja niemand diesen Tag vergisst. Solch eine kollektive Erinnerungshilfe würde ich mir manchmal für Arzttermine und Abgabefristen wünschen. Die Reaktionen auf den Valentinstag sind jedenfalls vielfältiger als sein kommerzielles Farbspektrum: Die einen freuen sich auf ein traditionelles romantisches Abendessen, andere hoffen auf eine Überraschung. Wieder andere sind traurig, weil sie diesen Tag mit niemandem feiern können und bei manchen führt die schamlose Vermarktung von Liebe zu Unbehagen im Rachenraum. Schließlich gibt es noch jene, die sich von einer Diskrepanz zwischen eigenen und Erwartungen anderer an diesen Tag verunsichert fühlen und solche, die sie sich von gesellschaftlichen Konventionen nicht beeindrucken lassen. Egal welche dieser und anderer möglicher Reaktionen eintritt, sie drehen sich letztendlich alle um das Zelebrieren einer Kommerzialisierung des tiefsten zwischenmenschlichen Gefühls, das diese Welt zu bieten hat. Da darf man sich ruhig mal empören.
Dass das Christkind seit Jahrzehnten amerikanische Erfrischungsgetränke bewirbt, mögen mittlerweile viele stillschweigend hingenommen haben, und auch, dass sich immer mehr Menschen am Reformationstag verkleiden und Kürbisse schnitzen, mag nur noch eine protestantische Schnittmenge stören, aber seit einigen Jahren macht der Kapitalismus nicht einmal mehr vor der Liebe Halt. Ein komplexer, vielschichtiger Begriff, der seit Jahrhunderten interdisziplinär diskutiert wird, findet an diesem Tag Ausdruck in Pralinenschachteln, Blumensträußen, Drogerieartikeln und Erlebnisgutscheinen. Das mag nun sehr pathetisch klingen, aber lassen Sie mich ganz unverblümt fragen: Ist dieser blinde Umgang mit Liebe angesichts der aktuellen Weltlage angemessen? Ich meine nein. Ich meine, es ist Zeit, die Vase voller verwelkter Blüten des Patriarchats beiseite zu stellen und die rosarote Brille abzusetzen. Denn auch wenn die gekaufte Liebeserklärung so praktisch erscheint: Was ist mit Menschen, die ihre Liebe zueinander nicht öffentlich zeigen können, weil sie sich damit zur Zielscheibe verbaler und körperlicher Anfeindungen oder sogar Strafverfolgung machten? Was ist mit Menschen, die ihre Liebe nicht miteinander teilen können, weil Grenzübergänge oder Gefängnismauern sie trennen? Was ist mit Verwitweten, Verlassenen und unglücklich Verliebten? Sie alle und weitere scheinen in dieser Rechnung nicht vorzukommen.
Nun ist Whataboutism zwar nicht die eleganteste Argumentationsstrategie, aber ich plädiere ja auch nicht für die Abschaffung des Valentinstags, sondern lediglich für eine Erweiterung der Zielgruppe. Angebote einiger Kirchen, die auch Singles, homosexuelle, nichtbinäre und unverheiratete Paare zu Segnungsgottesdiensten anlässlich des Valentinstags einladen, sind ein guter Anfang. Aber auch jenseits von Gotteshäusern und Religionen kann man sich Gedanken machen und aktiv werden. Vielleicht sollte die Herausforderung am Valentinstag nicht (nur) darin bestehen, das beste Geschenk zu machen, sondern (auch) den Menschen mit Liebe zu begegnen, die es am wenigsten erwarten, bei denen es uns am schwersten fällt und bei denen wir nicht die übrigen 321 Tage dieses Jahres Gelegenheit dazu haben. Nicht immer sind die dominierenden Stimmen diejenigen, deren Melodie wir singen sollten. Deshalb ist es umso wichtiger, sorgfältig hinzuhören und selbst den richtigen Ton zu treffen. Und wer könnte besser darin einstimmen als Valentin von Terni oder Valentin von Rom, ob wir ihnen nun den Valentinstag zu verdanken haben oder nicht!
Rebecca Meier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Evangelische Theologie der Universität Paderborn.