Geschichte studiert und was dann??

„Und was studierst du?“ „Ich studiere Geschichte. Nein ich will damit nicht an die Schule gehen. Ich will …“, ja … was eigentlich?
So oder ähnliche Unterhaltungen haben wohl schon die meisten von euch geführt, welche ein fachspezifisches Studium absolvieren. Eventuell brennt die Frage nach dem beruflichen Werdegang nicht nur der besorgten Familie unter den Nägeln, sondern lässt vielleicht auch den ein oder anderen von euch planlos zurück.
Wir haben ehemalige Geschichtsstudierende gefragt, wie sich ihr beruflicher Werdegang gestaltet hat und was sie euch für den Einstieg in die Arbeitswelt raten würden.

Den Anfang macht Dr. Kai Kranich. Der 36-Jährige arbeitet derzeit als Leiter der Kommunikationsabteilung des DRK Landesverband Sachsen e.V. Nach seinem Studium der Zeitgeschichte und Politik an der TU Dresden arbeitete er zunächst in der Wissenschaft und schrieb seine Dissertation am Arbeitsbereich Zeitgeschichte in Paderborn.

Herr Kranich, Sie haben sich für ein fachwissenschaftliches Studium an der TU Dresden entschieden. Kulturwissenschaftlern wird ja gerne suggeriert, es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer zu haben. Haben Sie jemals an ihrer Entscheidung gezweifelt, sich nicht für die vermeintlich „sichere Bank“ Lehramt entschieden zu haben?
Lehramt stand für mich nicht wirklich zur Frage. Das wollte ich einfach nicht, allein schon deswegen, weil ich weiß, wie ich als Schüler war. Für mich war die Option einer „sicheren Bank“ ein Jurastudium. Dafür hatte ich mich beworben und auch einen Platz erhalten. Ich bin dann aber meinem Bauchgefühl gefolgt und habe das studiert, was auch mein liebstes Hobby ist. Sicherlich, ich habe schon oft darüber nachgedacht, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, ein Studium zu beginnen, was quasi einen Berufsabschluss zum Ergebnis hat. Aber ob ich es dann auch ohne die nötige Leidenschaft geschafft hätte, wage ich zu bezweifeln. Zum Glück hatte ich die nötige Portion Zuversicht und das Wissen, dass für Öffentlichkeitsarbeit und PR kein spezifischer Abschluss verlangt wird.
Während Ihres Studiums haben Sie bereits Praktika im PR Bereich absolviert – unter anderem in verschiedenen Ministerien. Die Wichtigkeit von Praktika für den Lebenslauf wird immer wieder betont. Jedoch ist es als Historiker*in gerade am Anfang schwierig, sich gegen die Bewerber aus spezialisierten Studiengängen durchzusetzen. Was würden Sie sagen, sind Kompetenzen eines Geschichtsstudierenden mit diesen er in Bewerbungen bzw. Bewerbungsgesprächen punkten kann?
Auch ich kann nur die Wichtigkeit von Praktika bestätigen. Aber nicht nur Praktika sind wichtig. Gerade als Geisteswissenschaftler muss man sich frühzeitig ein Profil aufbauen mit außeruniversitären Tätigkeiten und Engagement. Das sollte aber kein Pflichtprogramm, sondern immer auch authentisch und von Leidenschaft durchsetzt sein. So übersteht man jedes Bewerbungsgespräch. Mein Türöffner war ein Preisausschreiben der Körber-Stiftung. Als Preisträger hatte ich die Option ein Praktikum in der Staatskanzlei Brandenburgs zu machen, was weitere Praktika zur Folge hatte. Historiker und Politikwissenschaftler verfügen über ein breites Spektrum an Fähigkeiten. Der Umgang mit Sprache, Texten und komplexen Sachverhalten ist ihnen vertraut. Das analytische Denken, das Fragen nach logischen Zusammenhängen, die Suche nach Puzzleteilen und der durchaus hilfreiche Methodenapparat sind Teile des Werkzeugkastens eines Geisteswissenschaftlers. Ich arbeite auch beruflich mit Menschen zusammen, die einen ähnlichen Abschluss haben wie ich. Es ist erstaunlich welche vielfältigen und unterschiedlichen Wege wir eingeschlagen haben. Gemein ist uns, dass ein jeder es verstanden hat, dass nicht allein das Studium den Erfolg brachte, sondern immer das Engagement rechts und links der Wissenschaft.
Zu dem rechts und links neben der Wissenschaft zählt wohl auch die interkulturelle Erfahrung, welche innerhalb eines Lebenslaufes erwünscht ist. Sie haben sich stark im deutsch-polnischen Kulturaustausch engagiert. Die Entscheidung ins Ausland zu gehen stellt für viele jedoch eine große Überwindung dar – auch aufgrund der finanziellen Belastung. Wie würden Sie Studierende überzeugen, den Schritt ins Ausland zu wagen?
Ich kann leider nicht nachvollziehen, warum ein Auslandsstudium eine Überwindung sein sollte. Aber wahrscheinlich ist diese Beobachtung sogar richtig, da ich immer wieder mit Studenten in Kontakt komme, die keine Auslandserfahrung haben und wollen. Wahrscheinlich ist es sogar die Mehrheit. Was finanzielle Fragen betrifft, muss man sich informieren, da gibt es Wege und Möglichkeiten. Mir reichte Bafög. Und wenn man weiß, dass man nicht der super tolle Einserstudent ist, dann sollte man nach Nischen Ausschau halten. Für mich war Polen eine solche Nische in der es kaum Konkurrenz um die Plätze gab. In jedem Fall war das für mich eine der besten Entscheidungen meines bisherigen Lebens. Der Aufenthalt hat mich entscheidend geprägt und mir ein wissenschaftliches wie gesellschaftliches Tätigkeitsfeld eröffnet, von dem ich für den Rest meines Studiums bis hin zur Dissertation profitierte. Letztendlich wurde ich so auch für Stipendiengeber interessant. Ich kann mir keine besseren Argumente vorstellen.
Apropos Einserstudent – gute Abschlussnoten sind natürlich immer ein wünschenswertes Ziel. Doch für wie bedeutend halten Sie einen Einserschnitt für den Einstieg in die Arbeitswelt – aus eigener Erfahrung, aber auch in Ihrer Funktion als Leiter der Kommunikationsabteilung, wo sie eventuell auch die ein oder andere Personalentscheidung fällen müssen?
Auf Noten schaue ich nur noch mit einem Auge. Liegt ein Abschluss vor, will ich das Abiturzeugnis erst gar nicht mehr sehen. Da ich selber erfahren musste, dass Notenvergaben in den Geisteswissenschaften manchmal einem Glücksspiel gleichen, stehe ich ihnen skeptisch gegenüber. Trotzdem bleiben in der Regel die Noten eine erste Orientierung für Personalentscheidungen. Bei mir aber ist das nur gering ausgeprägt.
Nach ihrem Studium haben Sie zunächst im Wissenschaftsbetrieb gearbeitet und promoviert, richtig? Würden Sie sagen, dass ein Doktortitel immer noch als „Türöffner“ auf dem Arbeitsmarkt gewertet werden kann? Oder hat sich dies relativiert?
Meinen ersten Job nach dem Studium fand ich in der Kulturbranche, bei einer privaten Initiative sächsischer Kulturinteressierter. Im Jahr 2009, auf dem Höhepunkt der Finanz- und anschließenden Wirtschaftskrise, hatte ich arge Bedenken überhaupt eine Anstellung zu finden. Obwohl die Arbeit gut zu mir passte (internationale Events, Öffentlichkeitsarbeit und wissenschaftliches Schreiben) und auch Spaß machte, zog es mich noch einmal zu meinem Herzensthema Breslau hin. Ich wollte noch einmal richtig tief in ein Thema eintauchen und mir dafür die Zeit nehmen. Nach drei Jahren Berufserfahrung hatte ich das Glück auch ein Stipendium von der Konrad-Adenauer-Stiftung zu bekommen. Damit konnte ich unabhängig und wirklich frei forschen. Karriereüberlegungen spielten da keine Rolle. Ganz im Gegenteil: es war ein Rückschritt und Zeitverlust. Insofern habe ich bisher noch nicht von der Promotion profitiert. Ob der Doktortitel mir in Zukunft Türen öffnen oder monetär sich auszahlen wird, müssen wir wohl zu einem späteren Zeitpunkt erörtern.
Derzeit arbeiten Sie beim Deutschen Roten Kreuz als Leiter einer ganzen Abteilung. Wie haben Sie sich auf Aufgaben wie Personalmanagement, Verwaltung etc. vorbereitet?
Das ist ein nie endender Prozess! Mir war schon mulmig bei dieser Verantwortung und am Anfang ging es auch holprig zu. Die Flüchtlingskrise 2015 und 2016 war für mich die Feuertaufe und ich bin sehr stolz auf mein Team, dass wir das gemeinsam durchgestanden haben und daran auch gewachsen sind.
Kommen wir nochmal auf das Thema Berufseinstieg zurück. Wenn Sie Bewerbungen sichten, auf was achten Sie als erstes?
Ich schaue bei Bewerbungen immer bewusst nach den praktischen Tätigkeitsfeldern und Fähigkeiten, die man sich erworben hat. Praktikumszeugnisse sind meist nur bedingt brauchbar, weil die nicht selten selbst geschrieben sind. Darin interessieren mich immer nur die eigentlichen Aufgaben während der Tätigkeit. Da die Welt der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit so vielseitig ist, schaue ich, ob das spezifische Tätigkeitsprofil zu den Angaben in den Bewerbungen passen. Manchmal suche ich sehr spezielle Fähigkeiten, manchmal eher Generalisten. Auch wenn es kritisiert wird, ich freue mich wenn Bewerberinnen und Bewerber noch ein Bild von sich mit abgeben.
Wie könnte denn so ein ideales Tätigkeitsprofil aussehen für ihren Bereich – welche skills sollte man sich außerhalb seines Studiums aneignen? WordPress, Adobe Programme, Fremdsprachen oder etwas ganz anderes?
Das ist wirklich schwer zu sagen. Die Klaviatur von Office und der Adobe Programme zu beherrschen ist nie von Nachteil. Engagement und Einsatzbereitschaft erkennt man aber an anderen Punkten in der Bewerbung. Das Meiste entscheidet sich aber bei den Vorstellungsgesprächen. Da sollte man auch nicht verunsichert sein, wenn man es nicht bis zu diesem Schritt schafft. Ich habe auch schon gute Kandidatinnen und Kandidaten nicht eingeladen, weil sie einfach nicht zu dem Profil gepasst haben, welches gerade gesucht wurde.
Eine letzte Frage: Gibt es in Bezug auf ihren beruflichen Werdegang Fehlentscheidungen oder besonders gut gewählte Entscheidungen, welche Sie im Nachhinein als weichenstellend empfunden haben?
Ja, ich ärgere mich noch heute, dass ich ein Praktikum im Firmenarchiv von VW nicht antreten konnte. Da waren tatsächlich auch finanzielle Beweggründe ausschlaggebend. Aus heutiger Sicht wären diese aber lösbar gewesen. Weichenstellend war für mich die Teilnahme an der Ausschreibung der Körber-Stiftung, die Entscheidung nach Breslau zu gehen und das Abenteuer beim Roten Kreuz anzufangen, ohne eigentlich jemals zuvor Berührungspunkte mit der Arbeit des DRK gehabt zu haben.