Earths (De)crescendo

von Lorenz Münch, Valentin Sischka und Jule Winkler

Bei unserer Klangkomposition handelt es sich um eine akustische Auseinandersetzung mit dem konstruierten Dualismus Mensch/Natur. Der Frage nach der paradoxen Dezentrierung des Menschen als der Natur außenstehend gehen wir anhand einer (De)crescendierung von Soundcollagen nach, welche Datensätze verarbeiten, die die Auswirkungen der Klimakrise betreffen. 

Die Anthropologin Anna Tsing fasst auch unsere Projekt-Prämisse eindrücklich zusammen, wenn sie schreibt: „Human exceptionalism blinds us.” (Anna Tsing, “Unruly Edges: Mushrooms as Companion Species”, in: Environmental Humanities 1 (2012), S. 144) Unser Ziel war es, den immensen destruktiven Einfluss des Menschen auf unseren Planeten und jene Akteure, mit denen wir ihn teilen, aufzuzeigen. Gleichzeitig beschäftigte uns die Frage nach der anthropozentristischen Überzeugung, dass der Mensch von der Natur losgelöst und nicht etwa abhängig von einem gesunden globalen Ökosystem sei. Die Philosophin und Ökofeministin Val Plumwood argumentiert in Bezug auf die Doppelrolle des Menschen in der Klimakrise folgendermaßen: „I argue that western culture has treated the human/nature relation as a dualism and that this explains many of the problematic features of the west’s treatment of nature which underlie the environmental crisis, especially the western construction of human identity as ‘outside’ nature.” (Val Plumwood, “Introduction”, in: dies. Feminism and the Mastery of Nature, London/New York 1993, S. 2) Diesen Dualismus möchten wir mit “Earths (De)crescendo” dekonstruieren. 

Wie aber diese Überlegungen vermitteln? Inspiriert von Marcus Maeders Projekt „trees: Pinus sylvestris“ war uns schnell klar, dass wir uns methodisch an der Datensonifikation versuchen wollten. Die Sonifikation von Daten ist eindeutig im Werkzeugkasten der künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung zu verorten. Auch in unserem Fall verschwammen die Grenzen zwischen wissenschaftlicher und künstlerischer Arbeit schon bei der Konzipierung des Projekts. Beide Bereiche flossen ineinander über und verdeutlichten erneut die schon im Seminar besprochene Verbindung von Kunst und Wissenschaft. Wir sind überzeugt davon, dass auditive Konzepte ein hohes Zugänglichkeitspotenzial haben und so besonders Abstraktes – wie etwa Datensätze zum Klimawandel – anschaulich begreifbar gemacht werden können. Ein Zwischenfazit, das wir an dieser Stelle ziehen können, ist, dass ein künstlerischer Umgang mit wissenschaftlichen Daten diesen nicht gleich ihre Kredibilität nimmt. Im Umkehrschluss wurde uns dagegen klar, dass der vermeintliche Widerspruch in der Kombination aus der Genauigkeit wissenschaftlichen Arbeitens und des „Freigeists“ der künstlerischen Arbeit nicht existiert. Beides ist miteinander vereinbar, oft sogar kaum voneinander zu trennen und kann einander maßgeblich bereichern. 

Zunächst galt es aber die richtigen Datensätze für die geplante Sonifikation zu sammeln. Auf Grundlage unserer Recherche legten wir folgende Parameter für unsere weitere Arbeit fest:

  1. Anstieg des Meeresspiegels
  2. CO2-Emissionen
  3.  Artensterben
  4. Naturkatastrophen
  5. Korallensterben/Korallenbleiche
  6. Agrarwirtschaftliche Flächennutzung. 

Es kristallisierten sich unmittelbar Ideen für die auditive Umsetzung der einzelnen Datensätze heraus, die nicht alle in ihrem ursprünglichen Ausmaß umsetzbar waren. Darum stellt „Earths (De)crescendo“ in seiner hier präsentierten Form zwar ein abgeschlossenes Arbeitsstadium dar, wird uns als Projekt allerdings noch weiter beschäftigen.

Für die verwendeten Datensätze setzten wir uns zunächst ein grobes Zeitfenster von etwa 120 Jahren, welches wir in eine etwa 12 Minuten lange Komposition übersetzten. Aus den nacheinander einsetzenden Parametern ergab sich schließlich unsere Projekt-Timeline (siehe Abb. 1). 

Abb. 1: Projekt-Timeline

Die folgenden Visualisierungen des Parameters „Korallensterben/Korallenbleiche“ (siehe/höre auch die von der restlichen Komposition extrahierte Audiospur) sollen zur Veranschaulichung unseres weiteren Arbeitsprozesses dienen. Hierbei arbeiteten wir zwei Datensätze in eine Audiospur ein, einen zum konkreten Korallensterben (sieh Abb. 2) und einen, der die Zunahme akuter „bleaching events“ thematisiert (siehe Abb. 3).

Abb. 2
Abb. 3

Beides versuchten wir miteinander zu verbinden und mittels Automationen in der DAW Ableton hörbar zu machen (siehe Abb. 4). 

Abb. 4

Hierbei stießen wir auf eine von zwei wesentlichen Hürden der Datensonifikation: die Genauigkeit der Übersetzung. Eine weitere Herausforderung stellte die Menge der ausgewählten Parameter dar. Wir arbeiteten sowohl mit Soundcollagen als auch synthetischen Sounds und standen immer wieder vor dem Problem, dass in der Masse der Audiospuren bestimmte von uns intendierte Klangeindrücke nicht durchdrangen. Um das aber zu gewährleisten, mussten wir abwägen: Möglichst genaue Orientierung an den Daten auf der einen und Spielraum im Sinne der klanglichen Ästhetik auf der anderen Seite. Wir versuchten uns schließlich an einer Gradwanderung. Was dadurch entstand ist gewissermaßen ein akustisches Netzwerk datenbasierter Zusammenhänge und Bedingungen. So ist eine wesentliche Erkenntnis unserer Arbeit etwa, dass uns erst durch die Übersetzung der Daten in ein auditives Medium bestimmte Verflechtungen innerhalb der Datensätze auffielen. Alle Parameter bedingen einander – und so auch die menschlichen und nichtmenschlichen Akteure, welche sie abbilden. Die Veränderungen der nichtmenschlichen Tiere und Pflanzen sind ebenso wenig unabhängig von den Handlungen der Menschen wie voneinander selbst. Der Mensch ist nicht unabhängig von Tieren und Pflanzen. Unsere Klangkomposition verdeutlicht diese Parallelen und gegenseitigen Abhängigkeiten und macht sie hörbar.

Audioquellen nach Kategorien (alle Dateien zuletzt abgerufen am 07.07.2022):

  1. Soundcollagen:
  1. Korallenriff Soundscape

Quellen Datenreihen (alle zuletzt abgerufen am 07.07.2022)

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    • EMDAT (2020): OFDA/CRED International Disaster Database, Université catholique de Louvain – Brussels – Belgium, http://www.emdat.be/
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    • Cramer, K. L., Jackson, J. B., Donovan, M. K., Greenstein, B. J., Korpanty, C. A., Cook, G. M., & Pandolfi, J. M. (2020). Widespread loss of Caribbean acroporid corals was underway before coral bleaching and disease outbreaks. Science Advances, 6(17), eaax9395. https://advances.sciencemag.org/content/6/17/eaax9395
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