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Mentoring und Vorbilder – ein Rückblick nach 15 Jahren

Ingrid Scharlau ist Professorin für Kognitive Psychologie und Psychologiedidaktik. Motiviert durch ihre Erfahrung als Mentorin initiierte sie 2007 zusammen mit der damaligen Gleichstellungsbeauftragten Irmgard Pilgrim das Mentoring-Programm für Doktorandinnen, mit dem Ziel langfristig den Frauenanteil unter den Professuren zu erhöhen. Im folgenden Bericht teilt sie ihre Gedanken zu Mentoring und der Wirkung von Vorbildern:

Seit gut 15 Jahren leite ich das Mentoring-Programm für Doktorandinnen an der Uni Paderborn. Vielleicht ein guter Zeitpunkt, um sich zu fragen, ob ich so etwas noch einmal anfangen würde.

Wie üblich in der Wissenschaft – Differenzierungsfähigkeit ist ja eine der Eigenschaften, die wir uns gerne zugutehalten – ist die Antwort komplex. Weil es hier um ein spezifisches Mentoring-Programm geht (mit anderen habe ich nur begrenzte Erfahrungen), möchte ich mit der persönlichen Seite beginnen. Wenn es nur darum ginge, was mir Freude macht, dann würde ich es ohne Zögern noch einmal starten. Ich habe mit allen Frauen, die es „koordiniert“, wie das Verwaltungsdeutsch möchte, haben, sehr gerne zusammengearbeitet, und ich habe die Zusammenarbeit immer als ungewöhnlich kooperativ, kollegial und angenehm erfahren. Das kann Zufall sein. Vielleicht hat es aber doch eine inhaltliche Komponente, die sich daraus speist, dass im Programm ganz überwiegend Sinnvolles getan wird. Oder sagen wir bescheiden: etwas, das als sinnvoll erlebt wird. Ich freue mich auch jedes Jahr wieder darüber, welch tolle, interessante und schwungvolle Frauen sich bewerben.

Habe ich das Gefühl, Wirkung entfaltet zu haben? Das ist schon schwieriger zu beantworten. Quantitativ ist unsere Stichprobe auch nach 15 Jahren viel zu klein, als dass sich sichere Schlüsse daraus ziehen ließen, selbst wenn man von Problemen der Selbstselektion, Rückschaufehlern, der raschen Veränderung der Rahmenbedingungen der wissenschaftlichen Karriere in den letzten Jahren und vielem anderen absieht. Ja, es gibt einige Professorinnen unter den Alumnae, und diese berichten auch, dass ihnen die Teilnahme geholfen habe. Was ich aber sagen kann ist, dass sich meine ursprünglichen Hoffnungen nicht erfüllt haben. Das hat mit zwei Dingen zu tun. Einerseits ist die Erhöhung des Frauenanteils unter den Professuren deutlich zäher und langsamer, als ich es erwartet habe, und ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich 2023 noch abfällige Bemerkungen über die (hochqualifizierte) „Dame“ in einem Bewerber*innenfeld hören muss. Ich finde es frustrierend, wenn in Forschungsanträgen stolz berichtet wird, wie viele weibliche Projektleitungen man im Konsortium habe, und ich als Gutachterin dann feststellen muss, dass sie aus einer Hilfswissenschaft kommen, die schon von sich aus relativ weiblich besetzt ist. Und es macht mich fassungslos, wie lahm die Verbesserung in einigen Feldern ist und wie wenig es den Kollegen ausmacht, schon wieder keine Frau berufen zu haben.

Demgegenüber steht aber die Erfahrung, dass es für die Teilnehmer*innen selbst oft durchaus einen Unterschied zu machen scheint, im Programm gewesen zu sein. Selbst wenn sich die Rahmenbedingungen nicht geändert haben (wie konnte ich das bloß erwarten?), würde ich denken, dass viele, wenn nicht sogar die allermeisten Wissenschaftlerinnen im Programm durch die Gruppe, mithilfe der Information und der Transparenz und durch ihre Mentorin eine Unterstützung erfahren haben, die im besten Fall einen Unterschied macht – und zeigt, dass man in der Universität (relativ) solidarische Netzwerke bilden kann. Universitäten sind (wie viele andere Institutionen) gut darin, Menschen zu „vereinzeln“, d.h. ihnen den Eindruck zu vermitteln, dass sie Probleme als einzelne Menschen lösen müssen (und können). Damit verliert man eine sehr wichtige Ressource, seine Mitmenschen – hier: seine Mitfrauen.

Eine Mitfrau möchte ich noch besonders hervorheben, nämlich die Mentorin (und die Gelegenheit nutzen, einen großen Dank an all die Professorinnen zu senden, die sich die Zeit nehmen, mit jungen Wissenschaftlerinnen ausführlich zu sprechen!). Im Netzwerk spielt die Mentorin eine besondere Rolle.

Mentoring hat für mich damit zu tun, Vorbilder zu haben. Vorbilder genießen allerdings derzeit keinen guten Ruf. Man möchte lieber, dass Menschen individuell und autonom sind, Dinge selbst tun, nach eigener Façon. Das ist als Leitbild für die Ferne sicher auch richtig, aber Lernen durch Imitation hat nicht umsonst eine wichtige Funktion in der menschlichen Entwicklung. Ich halte es für sinnvoll, darüber nachzudenken, was man am Vorbild, durch ein Vorbild lernen kann, wozu Vorbilder dienen, wie sie entlasten und auch erfreuen können – und, natürlich, was sie nicht leisten können oder, anders ausgedrückt, wann die Orientierung am Vorbild zu weit geht. Letzteres tun wir oft genug, deswegen beschränke ich mich hier auf Ersteres.

Ein Vorbild ist für mich nicht identisch mit einem Ideal. Ein Vorbild ist für mich eine konkrete, gesamte, leibliche Person, bei deren Beobachtung ich mir vorstellen kann: „So möchte ich auch sein“. Das ist zum Teil eine leibliche Reaktion („so kann ich auch sein“), zum Teil eine emotionale („das fühlt sich gut an“), zum Teil eine kognitive („das ist interessant“), immer mit einer positiven Bewertung. Wenn ich neue Rollen übernehme – als neue Professorin waren das für mich zum Beispiel die „Führung“ von Mitarbeiter*innen und die Betreuung von Early-Career-Wissenschaftler*innen (die damals noch nicht so hießen), Auswahlgespräche bei Einstellungen, Leitung von Selbstverwaltungsgremien und vieles mehr –, dann hilft es mir, eine Frau vor Augen zu haben, die genau diese Tätigkeiten erledigt, in einer Weise, die mich anspricht und anspornt, es ihr gleich zu tun. Wirksam sind dabei oft ganz kleine Dinge, Gesten beispielsweise, Haltungen, die mein abstraktes Bild davon, wie es beispielsweise ist, eine Chefin zu sein, mit konkretem, lieblichem Leben füllen. In dem Moment wird diese Aufgabe imitierbar, und wenn ich sie eine Weile imitiert habe, fülle ich sie dann auf meine Weise aus. 

Das Nachahmen eines Vorbilds ist, wie beim Lernen durch Imitation, also ein Schritt, eine Übergangsphase. Eine Phase, in der ich mich entlaste, in der ich etwas Schwieriges und Abstraktes mit Lebendigem fülle, ausprobiere und mir dann peu à peu zu eigen mache. Nie (oder vielleicht: höchst selten) ist Alles an einer Frau Vorbild.

In dieser Weise Vorbilder zu haben, ist mir auch deswegen wichtig, weil ich so Leistungen von Frauen ein wenig weitertragen kann, über ihren eigenen Wirkungsbereich hinaus. Auch das gehört zum Mentoring dazu, und auch deswegen würde ich es noch einmal machen.

Das erste Jahr als zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Uni Paderborn

Gleichstellung, Vereinbarkeit und Diversität. Annika Hegemann.
Das Team der Universität Paderborn, Foto: Besim Mazhiqi

Im Oktober 2024 bin ich genau ein Jahr im Amt der zentralen Gleichstellungsbeauftragten an der Universität Paderborn. Ein guter Zeitpunkt, um eine erste Bilanz zu ziehen und einen Ausblick auf kommende Monate zu wagen.

Ich hatte mich für dieses Amt zur Wahl gestellt, weil mich eine hohe intrinsische Motivation antrieb, mich aktiv für die Gleichstellung von Frauen und Männern einzusetzen. Insbesondere die Corona Pandemie mit ihren Auswirkungen und Belastungen führte mir die Ungleichheiten unserer Gesellschaft ganz deutlich vor Augen. Und je mehr ich mich mit Geschlechterungleichheiten beschäftigte, desto wichtiger erschien mir der Einsatz dafür. 

Als ich im September 2023 als Nachfolgerin von Irmgard Pilgrim gewählt wurde, habe ich mich sehr gefreut, obwohl mir viele Stimmen vorab sagten, dass dies kein „dankbares“ Amt sei und man bzw. frau viel Gegenwind erwarten müsse. Zudem erwies sich der denkbar ungünstige Zeitpunkt der Wahl – mitten im Findungsprozess eines neuen Präsidiums unserer Universität – als herausfordernder Einstieg in das Amt der neuen zentralen Gleichstellungsbeauftragten.

Das gefällt mir an dem Amt und meiner Arbeit…

Ich konnte mich von Anfang an sehr glücklich schätzen, dass es ein wunderbares Team im Gleichstellungsbüro gab und gibt, das zu großen Teilen mit dafür verantwortlich ist, dass mir die Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte Spaß macht. Darüber hinaus sind weitere Kolleg*innen innerhalb, aber auch außerhalb der Universität wichtige Personen für mich, persönlich wie inhaltlich. Auch Irmgard Pilgrim nach dem Ausscheiden aus dem Amt als erfahrene Ansprechpartnerin zu wissen, ist ein Privileg für mich, das ich sehr schätze.

Auf inhaltlicher Ebene ist das Amt der zentralen Gleichstellungsbeauftragten äußerst vielfältig. Die Erarbeitung von Konzepten, Maßnahmen und Aktionen im Team mit dem Fokus auf unsere Schwerpunkte Gleichstellung, Vereinbarkeit und Diversity ist für mich ein sehr sinnstiftendes und kreatives Aufgabenfeld. 

In den vielen Gremien und Kommissionen, in die ich als Gleichstellungsbeauftragte eingebunden bin, lerne ich viel darüber, wie Hochschulpolitik funktioniert, aber auch wie Menschen „funktionieren“, wie sie kommunizieren und agieren. 

Herausforderungen im Amt…

In der genannten Vielfalt der Aufgabenbereiche liegt zugleich auch eine der größten Herausforderungen: Die Kunst hier die ‚richtige‘ Balance zu halten, erfordert ein fortdauerndes Abwägen. Da gibt es Einzelberatungsgespräche, die, je nachdem, um welche Inhalte es sich handelt, intensiv sind und für die es Zeit braucht. Die Mitwirkung und Eingebundenheit bei strukturellen Entscheidungen ist ebenfalls bedeutend und zeitintensiv, genau wie die Arbeit an Gleichstellungsplänen, -konzepten und –berichten sowie Auditierungen. Die Teilnahme an Personalauswahlverfahren und die Leitung des Gleichstellungsteams mit der Abstimmung der dezentralen Gleichstellungsbeauftragten ist nicht minder intensiv und erfordert ein hohes Maß an Organisation.

Da gibt es noch Potential für Verbesserungen…

Die Gleichstellungsbeauftragte wird nicht überall als Amtsträgerin betrachtet, die eine zentrale und sinnvolle Unterstützungs- und Beratungsfunktion innehat, um die Universität stark für die Zukunft zu machen. Und m.E. wird zudem oft nicht von denselben Zielen ausgegangen, z.B. wenn Gleichstellung als etwas Hinderliches betrachtet wird, das heute nicht mehr gebraucht werde oder Abläufe lediglich unnötig aufhalte. Glücklicherweise ist genau das in vielen Bereichen anders. Für mich ist in erster Linie ein konstruktiver Austausch die Basis für eine gute Zusammenarbeit, bei dem es wichtig ist, zu den eigenen – in meinem Fall gleichstellungspolitischen – Zielen zu diskutieren.

In der Universität arbeiten wir weiterhin genau daran. Sorge bereiten mir allerdings die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen insgesamt: In vielerlei Hinsicht sind Bestrebungen eines ‚Backlash‘ für die Gleichstellung zu beobachten. Sie zeigen, wie fragil gewonnene Errungenschaften sein können und wie sehr es gilt, sich für diese weiterhin einzusetzen.

Ein Blick in die Zukunft…

Genau da, wo ich Potential zur Verbesserung sehe, gilt es für mich, aktiv zu sein. Die Schlüsselkompetenz einer zentralen Gleichstellungsbeauftragten ist aus meiner Sicht die Kommunikationskompetenz. Die Ungleichheiten der Geschlechter, die noch in vielen Bereichen existieren, müssen wir immer wieder deutlich machen. Lösungsstrategien dazu brauchen einen breiten Konsens. Gleichstellungswissen, und damit meine ich neben juristischem Wissen insbesondere das Wissen der Geschlechterforschung, das eine Basis für die Gleichstellungsarbeit ist, ist im Hochschulkontext in vielen Teilbereichen und Fachkontexten noch immer nicht ausreichend bekannt. Dies führt m.E. dazu, dass Maßnahmen mit Gleichstellungszielen oder der Einbezug einer Gleichstellungsbeauftragten als nicht notwendig betrachtet werden. Darüber im Gespräch und in der Diskussion zu bleiben – an vielen Stellen der Universität und über sie hinaus – erscheint mir als eine meiner großen Aufgaben für kommende Monate.

Und privat…Für mich hat die Übernahme des Amtes auch privat Veränderungen mit sich gebracht. Das Familienmanagement mit drei noch nicht ganz so großen Kindern erfordert bei zwei vollzeitarbeitenden Elternteilen viel Organisation. Und ein Plan B ist dabei genauso hilfreich wie Flexibilität. Gleichstellung ist für mich deshalb auch persönlich ein sehr zentrales Thema geworden und ich finde es interessant, welche Parallelen und auch Unterschiede sich dabei zu meinem Amt zeigen. Meine Kinder sind ein ganz wesentlicher Grund, mich für eine chancengleiche und gerechte Zukunft einzusetzen. Meiner Tochter sollen die gleichen Türen offen stehen wie anders herum auch meinen Söhnen.

Unterwegs im Mentoring-Programm für Doktorandinnen als ‚Safespace‘

Lea Biere ist aktuell Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Bildungssoziologie und promoviert zu den Themen KI und soziale Ungleichheit im Kontext der Hochschulbildung. Im Anschluss an das Peer-Mentoring-Programm Einblick! ist sie nun Mentee im Mentoring für Doktorandinnen, da sie in der Promotionszeit Austausch, Rat, ein Netzwerk, … einen Safespace suchte. Bereits als 1st-Generation-Studentin stellte sie fest, dass in der Wissenschaft viel Wissen und zahlreiche Regeln ungeschrieben und implizit sind. Im Interview erzählt sie von ihrem Weg in die Wissenschaft und von ihren Erfahrungen im Mentoring.

Stichwort ‚Mentoring‘: Was geht dir durch den Kopf?

Mit dem Begriff Mentoring verbinde ich respektvolle und bereichernde Kommunikation, Unterstützung und wertschätzenden Austausch auf Augenhöhe. Ich sehe eine Tandembeziehung zwischen einer noch unerfahreneren und einer schon erfahrenen Person (zumeist weiblich) vor meinem inneren Auge. Im Peer-Mentoring-Programm Einblick! für Studentinnen, das mir geholfen hat, meine Entscheidung für die Promotion zu treffen, habe ich praktisch erfahren, wie unterstützend  der gemeinsame Austausch unter Gleichgesinnten und die Weitergabe von Erfahrung und informellem Wissen sein können. 

Dein Weg in die Wissenschaft …

Ich habe irgendwann mit dem Gedanken gespielt, zu promovieren. Aber eigentlich ist das, so dachte ich, nur etwas für die richtig Guten, für die anderen, aber nicht für mich. Ich plante, Lehrerin zu werden. Eine Promotion lag nicht in meinem Horizont, ich hatte auch keinerlei Berührungspunkte mit Promovierenden. Zahlreiche Begegnungen, Gespräche und Erfahrungen später ist mir jedoch bewusst geworden, dass ich nicht in der Schule arbeiten möchte. Dies hat verschiedene Gründe – aber kurz und knapp: Die Erwartungen und Haltungen im Beruf als Lehrer*in entsprechen nicht dem, was ich im Studium gelernt habe und wovon ich (insbesondere bezogen auf guten Unterricht) überzeugt bin. 

Das wissenschaftliche Arbeiten, das Forschen, die stetigen Herausforderungen im Studium und meine SHK- und WHB-Jobs haben mir sehr viel Spaß gemacht. Nach meinem abgeschlossenen Referendariat entschied ich mich deshalb bewusst dafür, in die Wissenschaft zurück zu kehren und zu promovieren.

… Und los ging die wilde Fahrt. Finanzierung sichern, Thema finden, Fachbereichs- und Betreuungswechsel, Exposé schreiben, Karriereplanung, Wieder-ins-Wissenschaftliche-Arbeiten-Kommen, Literatur lesen, KI-Tools kennen lernen, Up-to-Date-Bleiben, Lehre und Betreuung von Hausarbeiten, Hochschulpolitik, Auslandsaufenthalte planen und so vieles mehr. Ein stetes Auf und Ab der Gefühle. Stolz, Verzweiflung, Freude, Enttäuschung, … Ich fühlte mich zwischendurch enorm verloren. Ist die Promotion vielleicht doch nicht das Richtige? Bin ich die einzige, der es so geht? Was machen andere anders, wie gehen sie vor? Mir wurde bewusst, dass ich erneut Austausch und Rat brauchte – eine ehrliche Außenperspektive. Aber von wem? Im hierarchisch und hoch kompetitiven Wissenschaftssystem eine heikle Frage. Wem kann ich von meinen Sorgen und Zweifeln erzählen und dann auch noch eine ehrliche Antwort erwarten?

Du hast dich für die Teilnahme am Mentoring-Programm für Doktorandinnen entschieden …

Genau. Das Programm bietet die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen über die vielen Fragen und Herausforderungen zu sprechen, die man ggf. nicht mit Kolleg*innen, Chef*in und/oder Betreuer*in der Dissertation teilen möchte. Über so vieles wird nicht gesprochen, es sind Tabuthemen, die stillschweigend mit am Arbeitsplatz sitzen. Zugleich ermöglicht mir das Mentoring-Programm nicht nur den Austausch mit anderen Promovendinnen, sondern ich erhalte auch die Unterstützung bzw. den Rat und das direkte Feedback einer Mentorin – einer Professorin, die ihre Erfahrungen in der Wissenschaft mit mir teilt. Dies hilft mir dabei, zu fokussieren, Prioritäten zu setzen, Situationen besser einzuschätzen und mit Herausforderungen angemessen umzugehen. Und: Dass das Mentoring-Programm für Frauen konzipiert ist, schätze ich als sehr wertvoll ein. Ich kenne Kollegen*, die sagen, sie hätten ein solches Mentoring auch gut gebrauchen können. Und das stimmt. Trotzdem genießen Männer* (so divers sie auch sind) noch immer Privilegien, werden als kompetenter wahrgenommen, ernster genommen, können Familien- und Karriereplanung anders angehen, die biologische Uhr tickt leiser, kein Stellenverlust wegen Schwangerschaft, keine Anpassung an ein patriarchales System, mehr Vorbilder des eigenen Geschlechts, weniger Mental Load und keine Sanktionen, weil sie Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen an den Tag legen. Es gibt Herausforderungen, denen sich Männer* in einem System, von dem sie stärker profitieren als Frauen*, nicht stellen müssen. Ich arbeite momentan in einem tollen Fachbereich und Team. Doch es ist auch klar, dass es den Gender-Pay-Gap, den Gender-Care-Gap, den Gender-Competence-Gap usw. gibt und nach Abschluss meiner Promotion weiterhin – auch an anderen Universitäten – geben wird.

Wem und wie nutzt das Programm?

Das Mentoring für Doktorandinnen richtet sich an Promovendinnen aller Fakultäten, die gerne in den Austausch mit anderen gehen, ihre Erfahrungen teilen und sich gegenseitig unterstützen möchten. Der Karriereweg der Wissenschaftlerin braucht neben fachlichen Fähigkeiten, Glück & Co. auch Netzwerke und das Netzwerk im Mentoring ist eines, das Mut macht, Kraft schenkt und Freude bereitet. Hier wird offen über persönliche oder „risikobehaftete“ Themen gesprochen und implizites Wissen (unabhängig vom Fach), das ich als 1st-Generation-Promovierende nicht besitze, expliziert. Der Rat der professoralen Mentorin schenkt Selbstvertrauen und unterstützt eine realistische Situations- und Selbsteinschätzung. Fragen zur Ausrichtung der eigenen Forschungsschwerpunkte können ebenso besprochen werden, wie Fragen zur Qualifikation oder zur Chance auf eine Professur. Was muss ich alles dafür tun und wissen? Was kommt auf mich zu? Wie will ich damit umgehen?

Kannst du ein erstes Fazit zu deiner Teilnahme ziehen?

Ich habe festgestellt, dass es mir zu Beginn der Promotionsphase mit all ihren Unsicherheiten so geht wie vielen anderen auch. Meine Mentorin sagte einmal: „Fischen im Trüben gehört gerade am Anfang einfach dazu. Hab Vertrauen in den Prozess!“

Im Mentoring-Programm habe ich viele gute Ratschläge erhalten und auch viele schon zurückgeben können. In den Kleingruppen – unter uns Doktorandinnen – können wir uns austauschen, lachen, Probleme lösen und Fragen stellen. Auch die Workshops zu spezifischen Themen und die gemeinsamen Schreibtage im Programm unterstützen die eigene Karriereentwicklung und ermöglichen Reflexionsmomente. Ich erlange stetig neue Einsichten und fälle Entscheidungen gezielter und bewusster.

Blick nach vorn …

Ich blicke nach wie vor mit Unsicherheit in die Zukunft. Das hat das Wissenschaftssystem z.B. angesichts der prekarisierten Beschäftigungsverhältnisse samt WissZeitVG leider an sich. Aber ich weiß, dass es vielen anderen genauso geht und wir wissen wiederum, dass wir ein Netzwerk haben, das wir uns aufgebaut haben und auf das wir setzen können. Das schafft tatsächlich eine Art von Sicherheit in einem unsicheren System. Ich habe nach wie vor das Berufsziel, Universitätsprofessorin zu werden. Viele Fähigkeiten und viel (implizites) Wissen bringe ich inzwischen mit … oder ich weiß, wie ich diese(s) erlange.

Zusammen schreibt man weniger allein. Das Kompetenzzentrum Schreiben an der Universität Paderborn.

Der Titel dieses Gastbeitrags ist geklaut. Das macht aber nichts, denn er ist so wahr, dass man ihn nicht oft genug wiederholen kann.[1] Die Idee, dass es hilft, gemeinsam mit anderen zu schreiben und über das Schreiben und über Texte zu sprechen, ist eine Grundidee der Arbeit von Schreibzentren auf der ganzen Welt. Entsprechend ist sie auch prägend für das Paderborner „Kompetenzzentrum Schreiben“, das Prof. Dr. Ingrid Scharlau im Jahr 2008 ins Leben rief. Wir verstehen es als ein Zentrum für wissenschaftliches Schreiben in Studium, Forschung und Lehre; das heißt, als Service-Einrichtung für Studierende, Promovierende und Lehrende. Wir, das Team des Kompetenzzentrums Schreiben, unterstützen Schreibende aller Fächer auf ihrem Weg zum und durch den eigenen Text. Das kann die erste Hausarbeit, ein Portfolio, die Dissertation, ein Paper und vieles andere mehr sein. Darüber hinaus fördern wir Lehransätze, die wissenschaftliches Lesen und Schreiben schon früh ins Studium einbinden. Beispielsweise indem kleine Schreibaufgaben in den Verlauf fachlicher Veranstaltungen eingebunden, mit Textfeedback gearbeitet oder Fachtexte nicht nur inhaltlich, sondern auch als Texte mit spezifischen typischen Eigenschaften gemeinsam gelesen werden.

Konkret umfassen unsere Angebote Workshops zu unterschiedlichen Phasen im wissenschaftlichen Schreibprozess, verschiedene Schreibevents und Gruppenformate sowie die individuelle Schreibberatung. Für Promovierende, Promotionsinteressierte und Post-Docs haben wir z.B. eine Workshopreihe im Programm, die sich von der Themensuche und dem Schreiben eines Exposés über den Start ins Promotionsschreibprojekt und die Überarbeitung von schon Geschriebenem bis hin zum Umgang mit Peer-Reviews erstreckt. 

Besonders gerne arbeiten wir im Schreibzentrum mit den Mentoring-Programmen der Universität Paderborn zusammen, mit denen wir im Speziellen Schreibangebote für Frauen, also für promotionsinteressierte Studentinnen, Doktorandinnen und Post-Docs, schaffen. Wissenschaftliche Texte sind die Währung im akademischen Bereich. Hausarbeiten, Abschlussarbeiten, Dissertationen, Publikationen und Forschungsanträge – sie alle entscheiden über Erfolg und Nicht-Erfolg in Studium und wissenschaftlicher Karriere. Aus der Zusammenarbeit mit den Mentoring-Programmen sind bereits zahlreiche Veranstaltungen entstanden: der regelmäßig stattfindende Workshop „Themenfindung für die Promotion“ im Rahmen des Peer-Mentoring-Programms Einblick!, ein Adventsschreiben im Winter, digitale Schreibtage und -wochen in der Pandemiezeit (Stichwort: Daheimgeschrieben, die Damen!), die jährlich stattfindende Endspurt-Schreibgruppe für Doktorandinnen, die kurz vor der Abgabe ihres Promotionsschreibprojekts stehen, und schließlich die Schreibzeit für (Post-)Doktorandinnen, für die wir ein paar Tage wegfahren, um in Ruhe und Gesellschaft an aktuellen Schreibprojekten zu arbeiten.

Gerade die Zielgruppe der Promotionsinteressierten, Promovierenden und Post-Docs kommt mit ganz unterschiedlichen Fragen zu uns ins Kompetenzzentrum Schreiben:

  • Wie schaffe ich mir Zeit zum Schreiben?
  • Wie grenze ich mein Thema sinnvoll ein?
  • Wie kann ich mich neu motivieren?
  • Was sind meine nächsten wichtigen Schritte auf dem Weg zur Promotion?
  • Wie gehe ich mit Schreibkrisen um?
  • Was ist mein Beitrag zu meinem Forschungsfeld und wie bringe ich ihn in Textform?
  • Wie kann ich einzelne Textfragmente zu einem sinnvollen Ganzen verbinden?

An diesen Fragen wird schon klar: Wir verstehen Schreiben als sehr ,großräumige‘ Tätigkeit, die weit mehr als das bloße Aufschreiben von vermeintlich immer-schon-klaren wissenschaftlichen Inhalten umfasst. Schreiben heißt für uns deshalb: Denken, Lesen, Sich-Fragen, Forschen, Ideen-Finden, Ideen-Verwerfen, Notieren, Neu-Schreiben, Um-Schreiben, Antworten, Kritisieren, Sich-auf-andere-Beziehen, Sich-von-anderen-Abgrenzen, Lernen und vieles, vieles mehr.

Unser weites Verständnis von Schreiben basiert auf schreibwissenschaftlicher Forschung – ein wahrhaft interdisziplinäres Unterfangen mit Beiträgen aus der Psychologie, der Linguistik, der Soziologie, der Wissenschaftstheorie und vielen weiteren Feldern (Lesetipps für Interessierte: Haacke-Werron et al., 2022; Huemer et al., 2020). Der Ansatz, den wir am Kompetenzzentrum Schreiben verfolgen, spiegelt diese Breite wider. Wir achten bei der Konzeption unserer Angebote und besonders auch bei der Art und Weise, wie wir im Rahmen dieser Angebote mit Studierenden, Promovierenden und Lehrenden über das wissenschaftliche Schreiben sprechen, z.B. auf den großen Einfluss der verschiedenen Fachkulturen auf das Schreiben. Fachliche Schreibpraktiken beeinflussen, wie die einzelne Person ihren eigenen Schreibprozess und ihren eigenen Text wahrnimmt. Im Gegenzug kann Schreiben ganz bewusst zur Enkulturation in eine Fachcommunity und zur Entwicklung des eigenen akademischen Selbst beitragen. Dass das nicht immer simpel und auch nicht immer angenehm ist, sondern anspruchsvoll und manchmal auch nervenaufreibend, versteht sich eigentlich von selbst. Für diese Fälle sind wir als Schreibzentrum da. Auf den Fluren der Universität Paderborn finden sich manchmal Plakate von uns. Auf einem davon steht, was ich gerne zum Schluss allen Leser*innen dieses Gastbeitrags sagen möchte: „Kommt zu uns! Wir bringen akademisches Schreiben nicht bei, sondern Schreibende aus allen Fächern zusammen.“

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Dr. Andrea Karsten ist Koordinatorin des Kompetenzzentrums Schreiben an der Universität Paderborn. In Schreibdidaktik und -forschung befasst sie sich mit individuellen und fachkulturellen Schreibpraktiken von Promovierenden und Lehrenden. Ihr liebster Tipp für Promovierende: Sprecht über das Schreiben und findet Freund*innen in eurem Themengebiet!

Literatur:

Huemer, B., Doleschal, U., Wiederkehr, R., Girgensohn, K., Dengscherz, S., Brinkschulte, M. & Mertlitsch, C. (Hrsg.) (2020). Schreibwissenschaft – eine neue Disziplin: Diskursübergreifende Perspektiven. Böhlau.

Fröhlich, M., Henkel, C., & Surmann, A. (Hrsg.) (2017). Zusammen schreibt man weniger allein. (Gruppen-) Schreibprojekte gemeinsam meistern. UTB.

Haacke-Werron, S., Karsten, A. & Scharlau, I. (Hrsg.). (2022). Reflexive Schreibwissenschaft: Disziplinäre und praktische Perspektiven. wbv.


[1] Das rechtfertigt den Klau natürlich nicht. Hier ist die Quelle: Zusammen schreibt man weniger allein heißt ein Ratgeber für (Gruppen-)Schreibprojekte unserer Bielefelder Kolleginnen Melanie Fröhlich, Christiane Henkel und Anna Surmann aus dem Jahr 2017, erschienen bei utb.