Erste Generation Promotion Mentoring+ – ein Angebot für Erstakademiker*innen

Das Mentoring-Programm „Erste Generation Promotion Mentoring+“ der Universität zu Köln unterstützt Promovierende und Promotionsinteressierte mit einem nichtakademischen Familienhintergrund. Erstakademiker*innen entscheiden sich deutlich seltener für einen wissenschaftlichen Karriereweg. Die Ursachen hierfür sind persönliche sowie systemische Hürden, die es zu meistern gilt. 

Der Einfluss der sozialen Herkunft auf Bildungschancen ist in Deutschland besonders groß. Wir wissen dies hauptsächlich für das Schulsystem, aber auch für den Zugang zum Abitur. Während 79 von 100 Akademiker*innenkindern nach der Schule ein Studium beginnen, sind es bei Nichtakademiker*innenkindern lediglich 27 von 100.[1] Mit dem erfolgreichen Start eines Studiums hört dieser Einfluss jedoch nicht auf zu wirken. Vielmehr zeigen Untersuchungen, dass sogenannte Arbeiter*innenkinder seltener in wissenschaftlichen Berufsfeldern vertreten sind – ihr Anteil unter Promovierenden, Postdocs und Professor*innen ist deutlich geringer als der von Akademiker*innenkindern. 

Neben individuellen Faktoren, die eine Rolle dabei spiele, ob eine Person sich für oder gegen eine wissenschaftliche Karriere entscheidet,gibt es einige systemische Aspekte, die dazu beitragen, dass diese Personengruppe in der Wissenschaft unterrepräsentiert ist. Häufig gehören hierzu neben fehlenden finanziellen Ressourcen vor allem Fremdheitserfahrungen gegenüber der Hochschule oder der Familie, fehlendes informelles Wissen sowie weniger tragfähige Netzwerke, in denen solches Wissen zumeist weitergegeben wird. Dessen Effekte zeigen sich nicht selten bereits im Studium, bekommen aber mit dem Beginn einer Promotion bzw. dem Wunsch zu promovieren noch einmal zusätzlich Gewicht.

Genau an diesem Punkt setzt das Kölner Programm „Erste Generation Promotion Mentoring+“ an. Es richtet sich an Promovierende und Promotionsinteressierte mit einem nichtakademischen Familienhintergrund und unterstützt diese bei der erfolgreichen Aufnahme und Durchführung einer Promotion. Seit Herbst 2017 werden jedes Jahr 15 Mentees in das einjährige Programm aufgenommen. Bewerben können sich Mitglieder aller Fakultäten und Geschlechter.

Das Herzstück des Mentorings bildet das One-to-one-Mentoring. Alle Mentees werden jeweils von einer*einem Mentor*in begleitet, die*der bereits erfolgreich promoviert ist und ebenfalls einen nichtakademischen Familienhintergrund hat. Die Erfahrung der geteilten Herkunft bildet dabei das Fundament des gemeinsamen Austauschs auf Augenhöhe und ohne Abhängigkeitsverhältnis. Es kann inhaltlich dabei um alle Fragen rund um die Promotion, aber auch um Themen wie Karriereentwicklung oder die eigene Life-Work-Balance gehen. Das Tandem teilt zumeist den gleichen fachlichen Hintergrund, sodass die Mentees von den Erfahrungen und dem Wissen ihrer*ihres Mentor*in profitieren können. Mindestens vier gemeinsame Treffen sollen während des Programmzeitraums stattfinden.

Eine Besonderheit des EGP-Mentorings im Vergleich zu anderen Programmen ist die Datenbank potenzieller Mentor*innen. Da die Informationen über den sozialen Hintergrund einer Person meist nicht öffentlich zugänglich sind, suchen die Mentees sich ihre Mentor*innen nicht selbst aus, sondern bekommen zum Start des Programms eine*n Mentor*in zugewiesen. Das sogenannte Matching übernimmt die Programmkoordination auf Grundlage der Wünsche, die die Mentees äußern. Aktuell haben wir etwas mehr als 100 potenzielle Mentor*innen in der Datenbank. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Fachbereichen, befinden sich auf unterschiedlichen Karrierestufen, arbeiten innerhalb sowie außerhalb der Wissenschaft, an der Universität zu Köln als auch an anderen Institutionen. Was sie neben ihrer nichtakademischen Herkunft teilen, ist das Engagement für mehr Bildungsgerechtigkeit in der Wissenschaft und den Wunsch mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen eine*n junge*n Wissenschaftler*in auf dem Weg zur Promotion zu unterstützen. Viele von ihnen hätten sich selbst eine solche Begleitung auf dem eigenen Weg gewünscht und melden sich daher proaktiv, um im Programm mitzuwirken.

Neben dem Mentoring als wichtigstem Baustein des Programms gibt es ein verpflichtendes Workshopangebot für die Mentees. Hierbei handelt es sich um Workshops, die sich spezifisch an die Zielgruppe richten und Themen aufgreifen, die von der Zielgruppe häufig als problematisch empfunden werden. Ein Beispiel sind etwa informelle Spielregeln und Kommunikationssituationen, wie z.B. der Small Talk in der Kaffeepause während einer Konferenz. Neben der Vermittlung solcher Softskills sowie dem Raum für persönliche Reflexion über die eigene Herkunft geht es vor allem um den gemeinsamen Austausch innerhalb der Gruppe. Die Erkenntnis, dass viele von ihnen gleiche oder ähnliche Erfahrungen in ihrem Studium und während ihrer Promotion gemacht haben bzw. machen, ist häufig eine große Entlastung. Zeigen doch gerade diese geteilten Erfahrungen die strukturelle Ebene von Chancenungleichheit im akademischen System auf. Der Austausch in der Peergruppe und die Erkenntnis, dass „es nicht nur mir so geht“, stärken das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und schaffen einen sicheren Raum für gegenseitiges Empowerment.

Auch wenn das Programm bereits seit einigen Jahren erfolgreich läuft, bleibt es bisher deutschlandweit das Einzige institutionalisierte Angebot, das sich ausschließlich an diese Zielgruppe richtet. Soziale Herkunft als Diversitätskategorie und Chancengerechtigkeit rücken jedoch immer mehr in den Fokus von Universitäten und Hochschulen. Dabei geht es zum einen darum, die beschriebenen Hürden abzubauen und die Zielgruppe zu unterstützen. Zum anderen stehen wir vor der Herausforderung unsere tradierten Vorstellungen von Universitäten, Wissenschaft und Wissenschaftler*innen kritisch zu hinterfragen, um unsere Institutionen vielfältiger und chancengerechter zu gestalten.

Dr. Ann-Kristin Kolwes ist Expertin für Bildungsgerechtigkeit im Hochschulkontext. Sie koordiniert das Programm „Erste Generation Promotion Mentoring+“ und ist Gründungsmitglied des Vereins Erste Generation Promotion. Als Erstakademikerin ist Bildungsgerechtigkeit für sie ein echtes Herzensthema.


[1] Stifterverband, Vom Arbeiterkind zum Doktor. Der Hürdenlauf auf dem Bildungsweg von Erststudierenden, 2021, S. 3. https://www.hochschulbildungsreport.de/2021/chancengerechte_bildung