kultur & geschlecht #1

Differenzlogiken

Herzlich Willkommen zur ersten Ausgabe von kultur & geschlecht!

Im Juli 2023 hat sich das onlinejournal kultur & geschlecht nach 16 Jahren, 31 Ausgaben und insgesamt 175 veröffentlichten Artikeln in eine Ruhepause verabschiedet. Nicht ganz zwei Jahre später freuen wir uns, mit dem Launch von kultur & geschlecht #1 eine neue Ära des transdisziplinären Journals für Medien und Gender einläuten zu dürfen.

Unser großer Dank gilt Prof. Dr. Astrid Deuber-Mankowsky, die das onlinejournal kultur & geschlecht im Jahr 2007 am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum gegründet hat. Unser herzlicher Dank gilt ebenfalls Dr. Anja Sunhyun Michaelsen, die das Journal mit aufgebaut hat und in den ersten 12 Jahren die Redaktionsarbeit gemacht hat. Schnell wurde das onlinejournal kultur & geschlecht zu einem Forum, das exzellente Seminar- und Abschlussarbeiten sowie Tagungen und Workshops mit besonders innovativen Ansätzen und Fragestellungen der medienkulturwissenschaftlichen Geschlechterforschung einem größeren Publikum zugänglich machte.

Diesem ursprünglichen Anliegen bleibt auch kultur & geschlecht verpflichtet. Neu ist, dass das Journal künftig nicht mehr nur am Standort Bochum beheimatet ist, sondern von einem universitätsübergreifenden Redaktionsnetzwerk gemeinsam realisiert wird: Julia Bee, Jasmin Degeling, Jennifer Eickelmann, Henriette Gunkel, Sarah Horn, Claudia Mahs, Mary Shnayien und Peter Vignold. Zwei Mal pro Jahr finden sich jeweils zwei Mitglieder des Redaktionsnetzwerks zusammen, um eine Ausgabe inhaltlich als Herausgeber*innen zu betreuen. Zusätzlich zu den klassischen Artikel-Beiträgen haben wir außerdem eine weitere Rubrik eingeführt, in der Rezensionen, Interviews oder auch experimentellere Formate Eingang in das Heft finden können.

Wie sein Vorgänger erscheint auch kultur & geschlecht im Open Access und lässt so ein breites Publikum am kontinuierlichen Prozess der wissenschaftlichen Erschließung aktueller (pop-)kultureller und medialer Phänomene und ihrer Verflechtung mit genderrelevanten Fragen teilhaben, was gerade unter den Vorzeichen fortgesetzter und sich zuspitzender Angriffe auf die Gender Media Studies und angrenzende Fachgebiete unverzichtbar ist.

Mit kultur & geschlecht wollen wir Studierende und Wissenschaftler*innen in frühen Karrierephasen nicht nur darin unterstützen, erste wissenschaftliche Publikationserfahrungen zu sammeln. Wir können ihnen mit dem Journal darüber hinaus ermöglichen, die Fragen und Gegenstände in den Fokus zu rücken, die für ihre Lebensrealitäten entscheidend sind. Ein willkommener Nebeneffekt ist die hohe Aktualität der Beiträge, die sich in der Regel mit rezenten oder noch emergierenden Phänomenen auseinandersetzen.

Das zeigt sich auch an der Auswahl der Texte für die vorliegende erste Ausgabe von kultur & geschlecht, die mit dem Schwerpunktthema Differenzlogiken erscheint. Dieser Schwerpunkt wurde nicht fest vorausgesetzt, verkörpert aber das ursprüngliche Anliegen der Herausgeber*innen dieser Ausgabe: Für den Relaunch des Journals ein möglichst breites Spektrum an Gegenständen, Fragestellungen und methodischen Ansätzen zu versammeln, die medienkulturwissenschaftliche Geschlechterforschung in ihrer Vielfalt und Spannbreite abbilden. So zeigt sich in den vorliegenden Texten einmal mehr das die Gender Media Studies kennzeichnende geteilte Interesse an medialen Logiken der Differenzgenerierung, dem die Autor*innen auf ganz verschiedene Weisen nachgehen.

Zu den Beiträgen

Lona Glück widmet sich in ihrem Artikel Das Erfolgsgeheimnis der Rechten auf TikTok der Frage, wie Akteur*innen des politisch rechten Spektrums Soziale Medien für die Kommunikation ihrer Positionen nutzen. Hierfür untersucht sie die Verschränkungen von technischen, ökonomischen und ästhetischen Aspekten von Social Media mit affektiven Logiken der Kommunikation der Alternativen Rechten und kann einen strukturellen Zusammenhang zwischen den medialen Logiken von TikTok und den Kommunikationsstrategien politisch rechter Akteur*innen nachweisen.

Auch Sophia Landgrebe widmet sich in Von der Pandemie zur Polarisierung: Eine Facebook-Gruppe als Katalysator für digitalen Faschismus dem Zusammenhang von sozialen Medien und rechten Akteur*innen. Mit einer qualitativen Inhaltsanalyse untersucht sie Posts einer während der Covid-19-Pandemie entstandenen Facebook-Gruppe in Hinblick auf die Frage nach den Konstruktionsmechanismen rechter Narrative und den mit ihnen einhergehenden affektiven Ein- und Ausschlüssen. Ein Vergleich zwischen 2020 und 2023 zeigt, dass nicht alle Narrative nach dem Ende der Pandemie fortbestanden, die mit ihnen generierten Differenzen jedoch mit leicht verschobenen Narrativen aufrechterhalten werden.

In Aber was ist falsch an weißen Wänden? untersucht Mayra Lohse Differenzlogiken musealer Ausstellungspraktiken am Beispiel der Situation Kunst in Bochum. Die weißen Wände, die im Kontext zeitgenössischer Museen auf den ersten Blick selbstverständlich scheinen, so argumentiert Lohse, sind keineswegs neutral, sondern verfügen über eine rassistische Geschichte und damit als White Cube über eine politische Dimension. Wie in Lohses Untersuchung deutlich wird, ist es jedoch nicht nur die Farbe Weiß selbst, sondern vor allem ihre Abwesenheit in manchen Räumen, die die darin enthaltenen Ausstellungsstücke als ‘Andere’ markiert. 

Gerriet Scheben wendet in seinem Artikel Retrokörper in American Horror Story: 1984 als filmische Grenzobjekte die aus den Science and Technology Studies stammende Theorie der Grenzobjekte auf eine TV-Serie an. Zwischen queerer Reformulierung der Geschlechterpolitiken des reaktionären Slasherfilms und  parodierender Wiederaufführung der Körperpolitiken der Reagan-Ära betreibt die neunte Staffel der populären Horrorserie selbst einen medienästhetischen Grenzgang zwischen Film und Fernsehen, in dessen Kontext der Retrokörper zu einem Grenzobjekt mit sozialer und medialer Dimension wird und auf materiellen wie nicht-materiellen Ebenen zwischen unterschiedlichen Instanzen vermittelt.

Ergänzt werden die vier Artikel durch Florence Borggrefes Rezension des aktuellen Sammelbandes Betroffenheit: Praktiken der (Selbst–)Politisierung in Kunst und audiovisueller Kultur, herausgegeben von Barbara Paul und Andrea Seier, der sich in insgesamt zehn Beiträgen mit Prozessen des Betroffen-Werdens auseinandersetzt.

Im Namen des gesamten Redaktionsnetzwerks wünschen wir anregende Lektüre!

Mary Shnayien & Peter Vignold

Das Erfolgsgeheimnis der Rechten auf TikTok

Lona Glück

Wieso trenden Hass und Rechtspopulismus auf der sozialen Plattform TikTok? Der Artikel beschäftigt sich mit der Frage, welche Gegebenheiten von TikTok dafür verantwortlich sind, dass rechter Populismus und hassbezogene Inhalte sich auf der Plattform so rasant und weit verbreiten. Dabei stehen insbesondere affektive Mechanismen im Fokus. Ziel ist es, einen Überblick über diese Mechanismen, die hinter dem Erfolg der Rechten auf der Plattform stehen, zu geben und auch die Frage danach zu beantworten, warum gerade TikTok im Vergleich zu anderen Plattformen einen solchen Erfolg für rechtspopulistische Inhalte verzeichnet.

Von der Pandemie zur Polarisierung: Eine Facebook-Gruppe als Katalysator für digitalen Faschismus

Sophia Landgrebe

Die COVID-19-Pandemie im Mittelpunkt digitaler Diskurse: Dieser Artikel untersucht anhand einer qualitativen Inhaltsanalyse, wie eine Facebook Gruppe während und nach der Pandemie zur Verbreitung faschistischer Narrative beitrug. Die Analyse von Kommunikationsstrategien und soziotechnischen Phänomenen zeigt, dass soziale Medien nicht nur als Plattformen für Diskussionen dienen, sondern auch rechte Narrative verstärken und die gesellschaftliche Polarisierung vertiefen können. Zudem wird die Entwicklung der Diskussionen nach April 2023 betrachtet, um Veränderungen im postpandemischen Diskurs zu identifizieren.

Aber was ist falsch an weißen Wänden?

Mayra Lohse

Der Artikel untersucht die politische Dimension von Museumsräumen, insbesondere die Bedeutung der Farbe Weiß und ihrer Abwesenheit, am Beispiel der Kunstsammlung Situation Kunst in Bochum. Durch die Analyse der räumlichen Gestaltung und Inszenierung wird aufgezeigt, wie Machtverhältnisse und kulturelle Narrative reproduziert werden. Der Fokus liegt auf der Frage, warum die Räume ‚Afrika‘ und ‚Asien‘ in dunklen, kontrastreichen Räumen präsentiert werden, während die übrigen Ausstellungsbereiche im White Cube gehalten sind. Der Artikel diskutiert die historischen und ideologischen Implikationen der weißen Wand im Museum und zeigt, wie diese scheinbare Neutralität koloniale und rassistische Strukturen fortschreibt. Ziel ist es, die politische Rolle von Museen als Akteure in der Konstruktion und Vermittlung von Ideologien zu beleuchten und eine kritische Reflexion über museale Praktiken anzuregen.

Retrokörper in American Horror Story: 1984 als filmische Grenzobjekte

Gerriet Scheben

In diesem Beitrag wird Susan Leigh Stars soziologische Theorie der Grenzobjekte mit einer medienästhetischen Untersuchung zusammengeführt. Untersucht werden die Filmkörper der Serie American Horror Story: 1984, die auf die 1980er Jahre in den USA Bezug nehmen. Diese Retrokörper stehen zwischen Immaterialität und Materialität, heteronormativen Geschlechtszuschreibungen, heterogenen Interessensgruppen und diversen Forschungsgebieten. Stars Theorie der Infrastrukturforschung wird in der vorliegenden Anwendung einem rein institutionellen Kontext enthoben und auf medienästhetische, geschlechtstheoretische und historische Überlegungen angewandt. Hierdurch entsteht eine Keimzelle für eine neue Perspektivierung interdisziplinärer, horrortelevisueller Vermittlungsarbeit zwischen Horror-Produzierenden und -Rezipierenden.

Rezension | Betroffenheit: Praktiken der (Selbst–) Politisierung in Kunst und audiovisueller Kultur

Florence Borggrefe