Maybebop

Oliver Gies ist freiberuflicher Notenschreiber, Auftrags-Komponist, Arrangeur, Sänger und Juror aus Hannover. Nach dem Abitur studierte er Schulmusik (Schwerpunkt Gesang) und Mathematik, später absolvierte er in Essen den Studiengang Jazz/Rock/Pop mit dem Hauptfach Komposition/Arrangement. Er ist bekannter Arrangeur der deutschen Chorszene und war fünf Jahre lang Teil des Dozententeams des Lehrgangs „Jazz- und Popchorleitung B“ der Bundesakademie für kulturelle Bildung. Oliver ist Gründungsmitglied und künstlerischer Leiter des A cappella-Quartetts Maybebop, mit der er seit 2002 deutschlandweit auftritt. In seiner kompositorischen Herangehensweise ist es ihm besonders wichtig, stilistisch immer wieder neue Dinge auszuprobieren.

Interview mit Oliver Gies von Maybebop

 

Transkription des Interviews

Interview zwischen Luisa Herbe und Oliver Gies, Hannover, 06.09.2021.

Quelle: #HowToPop: „Interview mit Oliver Gies”, 06.01.22, Youtube, URL: https://www.youtube.com/watch?v=2tNtXjMm0Dk  (letzter Abruf: 14.02.2022)

Inhalt

Eingangsfrage

 

[00:00:08]

Luisa: Ja dann danke erstmal, dass du das Gespräch mit uns führst; wir untersuchen in unserem Projekt, wie unterschiedliche Künstler und Künstlerinnen ihre Songs schreiben und produzieren und da gibt es ja ganz viele Möglichkeiten dabei und um einige davon darzustellen, würden wir uns freuen, wenn du uns in paar Einblicke geben könntest. Daher jetzt an dich die Frage: Wenn du die erste Idee hast für einen Song, wie fängst du dann an?

[00:00:32]

Oliver: Das hängt ja davon ab, was die erste Idee ist. Manchmal ist es ein Textfragment, manchmal ist es eine kleine Melodie, manchmal ist es auch eine Stimmung. Und je nachdem, womit es losgeht, ist das der Samen und daraus wächst dann hoffentlich was. Also wenns ein Textfragment ist zum Beispiel, dann versuche ich erstmal mit dem Textfragment irgendwas anzustellen, dass es mehr wird als ein Fragment. Wenn es eine Melodie ist, habe ich noch gar keinen Text und versuche mir erstmal vorzustellen, wohin könnte sich diese Melodie entwickeln. Häufig hab ich dann auch schon irgendwie im Kopf: ja hier müsste es jetzt textlich in diese Richtung gehen. Dann entstehen auch schon kleine Textbausteine. Aber es ist immer wieder ganz anders.

Inspirationen

[00:01:18]

Luisa: Und was inspiriert dich? Wo findest du Inspiration für neue Musik?

[00:01:24]

Oliver: Das finde ich eine ganz schwierige Frage, denn wenn ich das wüsste, könnte ich das gezielt einsetzen. Es ist häufig so, dass ich irgendwas schreiben muss, weil ein neues Album entsteht zum Beispiel und ich sitze dann da vor dem leeren Blatt Papier und es passiert einfach gar nichts. Das ist ganz schlimm, sehr quälend und häufig kommen aber Ideen auch aus dem Nichts: Bei irgendeinem Gespräch sagt einer irgendwas Witziges und das triggert im Hirn irgendwas, wo ich denke „ah das ist gut, daraus könnte man vielleicht was machen“. Oder im Vorbeigehen im Bahnhof belausche ich, ohne es zu wollen, ein Gespräch beim Vorbeigehen und denke „ah das ist gut, das ist gut“. Manchmal ist es auch so, dass ich einfach da sitze und mir irgendwas ausdenken muss und dann kommt auch tatsächlich irgendwas. Wo das dann herkommt, kann ich nicht erklären.

[00:02:14]

Luisa: Gibt es denn auch irgendwelche musikalischen Vorbilder oder Stile, die deine Musik beeinflussen oder beeinflusst haben?

[00:02:21]

Oliver: Immer, denn ich schreibe ja hauptsächlich Stücke für Maybebop und wir versuchen schon immer nicht so Klischee-A cappella-Musik zu machen, sondern nehmen uns immer vor, stilistisch so breit gefächert wie möglich aufzutreten. Und da ist es dann häufig so, dass wir denken, wie zum Beispiel beim Album „Sistemfeler“ ein Bollywood-Song, den hatten wir noch nie. Und dann hör ich mir Bollywood-Sampler an und versuche diesen Stil irgendwie zu treffen. Also da war die Grundidee, wir wollten einen Bollywood-Song, es gab keine musikalische Idee, es gab keine Textidee, wir wollten nur diesen Stil. Und davon ausgehend ist dann dieses Lied entstanden: „Ich versteh das“. Und so ist es häufig so, dass wir versuchen, irgendeinen Stil markant abzubilden mit unseren Stimmen. Und so hab ich jetzt nicht die eine Referenz und versuche immer alles so zu machen wie Sting zum Beispiel, den ich sehr schätze, sondern von Stück zu Stück haben wir immer wieder eine andere Referenz.

[00:03:26]

Luisa: Und inwiefern hat auch Außermusikalisches dabei Auswirkungen auf die Musik?

[00:03:33]

Oliver: Äh, wie meinst’n das?

[00:03:38]

Luisa: Ja außermusikalische Eindrücke, also vielleicht auch politische, persönliche Sachen, die man vielleicht auch verarbeitet.

[00:03:48]

Oliver: Achso.

[00:03:49]

Luisa: Gedanklich.

[00:03:50]

Oliver: Ja das steckt natürlich auch in jedem Stück irgendwie drin. Da gibt es Stücke mit politischer Aussage, die irgendwas kommentieren. Das sind dann natürlich Impulse, die dann von außen kommen, vom Zeitung lesen, vom Nachrichten gucken oder da zieht eine Corona-Leugner-Demo an meinem Haus vorbei und ich denke immer „naja …“. Also ja, das steckt natürlich immer drin, sonst hätten die Stücke ja nichts zu sagen. Also ich muss ja, wenn ich ein Stück schreibe, irgendwie was von mir erzählen, ansonsten hat das Stück ja keinen Wert.

Musikalische Bildung

[00:04:22]

Luisa: Woher hast du das Know-How, wenn es darum geht, Musik zu schreiben oder auch zu produzieren?

[00:04:28]

Oliver: Learning by doing würde ich mal sagen. Ich schreib jetzt seit vielleicht 15 Jahren Songs, Stücke von vor 15 Jahren finde ich jetzt teilweise nicht mehr so gut [lacht], ich kann aber auch benennen, warum nicht. Das ist natürlich ein Prozess, dass ich jetzt mit Abstand auf Stücke sehe und sage „ah, so, heute hätte ich das und das anders gemacht“ und so entwickelt sich das halt, der innere Zensor wird immer stabiler und mächtiger.

[00:05:03]

Luisa: Und wo hat dieser Learning-by-doing-Prozess bei dir angefangen? Hattest du musikalischen Unterricht oder hast du studiert?

[00:05:10]

Oliver: Ich habe Musik auf Lehramt studiert und hatte da natürlich auch Tonsatzunterricht und war auch schon immer kompositorisch interessiert; ich hab schon immer Arrangements geschrieben damals schon für eine Schülerband, für die Schul-Bigband, für irgendwelche Projekte an der Schule, also das war schon immer mein Ding, seit ich Musik mache. Aber ich hab natürlich einfach gemacht am Anfang, ohne zu wissen, wie es geht.

[00:05:38]

Luisa: Ja, du hast ja eben schon gesagt, du hast manchmal auch als erste Idee so Musikfetzen; wenn du die dann weiter schreibst, machst du das so durch Experimentieren oder auch mit musiktheoretischem Hintergrundwissen, wenn du jetzt Harmonien oder Akkorde oder Melodien ausführst?

[00:05:54]

Oliver: Ich würde mal sagen: sowohl als auch. Ich hab natürlich musiktheoretischen Hintergrund und bei bestimmten Akkordverbindungen weiß ich dann auch „ja, wenn ich jetzt zu diesem Akkord gehe, das wird gut klingen“, aber beim Melodienschreiben lass ich mich doch sehr von meiner Intuition leiten und auch von der Stimme. Also wenn ich Stücke für uns schreibe, also für Maybebop, dann singe ich in einer Tour leise vor mich hin. Die Familie, die kennt das schon, das ist dann immer so ein bisschen autistisch, dass ich da sitze und [singt]. Wie transkribiert ihr das denn? Ja, weil die Stimme häufig andere Wege findet als der Kopf und Melodien dadurch sanglicher werden und dass ich sie tatsächlich ausprobiere und versuche, dass die Stimme einen Weg findet, den sie vielleicht, wenn ich nur drüber nachdenke, nicht finden würde.

[00:06:49]

Luisa: Ja, und als A cappella-Gruppe ist das mit der Stimme ja noch prägnanter als in anderen Gruppen; wie ist das denn zum Beispiel, wenn ihr eine neue Singtechnik oder einen neuen Sound mit reinbringen wollt? Wie macht ihr das dann?

[00:07:04]

Oliver: Es war schon ein paarmal so, dass irgendjemand in der Band, weil er es irgendwo gehört hat oder einfach nur aus Jux zu einem neuen Stimmsound gekommen ist. Unser Beatboxer Lukas zum Beispiel hat irgendwann den, wie heißt das denn, den Lippenbass, den Lipbass für sich irgendwo aufgeschnappt von irgendeiner britischen A cappella-Gruppe war das glaub ich, und hat versucht das nachzumachen. Ich kann das nicht. Das ist [macht Lippenflattern] und das auf Ton. Und hat gesagt, „hier ich kann das jetzt, das müssen wir bitte unbedingt mal machen.“ Und anfangs war er aber noch nicht so tonstabil, er konnte noch nicht eine Tonfolge damit machen, sondern er konnte sich auf einen Ton einstimmen und den hat er dann einigermaßen stabil gehalten und so ist dann das Arrangement entstanden für „Es war ein König in Thule“, wo er die ganze Zeit nur auf einem Ton diesen Lippenbass machen muss. Und später hatte er seinen Skill erweitert und dann kam der Song „Nimm mich mit“, bei dem das auf unterschiedlichen Tonstufen passiert. Das ist so ein Beispiel dafür, da hat einer ein neues Ding drauf und bestellt quasi bei mir irgendein Lied oder ein Arrangement, damit er das mal zeigen und einsetzen kann. Und wir erweitern dadurch wieder unser Klangspektrum.

Ziele

[00:08:17]

Luisa: Ja, und welche Ziele verfolgst du mit deiner Musik oder ihr als Gruppe?

[00:08:25]

Oliver: Ich verfolge, wenn ich für uns Stücke schreibe, das Ziel, dass wir in Würde altern, sag ich mal. Es gibt Stücke von vor 10, 15 Jahren, die würden wir heute nicht mehr singen wollen, weil die inhaltlich nicht mehr zu uns passen. Damals waren wir 15 Jahre jünger und hatten andere Dinge im Kopf und jetzt bin ich alt [lacht] und werde immer älter und da geht das irgendwie nicht mehr, über bestimmte Dinge so salopp und leichtfertig zu singen. Und jede CD, jedes Programm, das wir machen, ist immer wieder ein Marker: Gelingt es uns, mit neuen Liedern auf der Bühne zu stehen, die zu uns passen? Also nichts ist peinlicher, finde ich, als wenn man versucht, sich so am Jungsein festzuhalten und dann hampelt man da irgendwann auf der Bühne rum und die Leute schämen sich für einen. Das ist eben immer wieder die Herausforderung, dass uns das nicht passiert und ich hoffe, wir schaffen da rechtzeitig den Absprung.

[00:09:31]

Luisa: Gibts denn auch eine spezielle Zielgruppe, auf die ihr abzielt, wo du ja gerade schon die verschiedenen Altersklassen schon angesprochen hast oder versucht ihr das offen zu halten?

[00:09:40]

Oliver: Ich denke mal, unsere Kernzielgruppe ist etwa so alt wie wir, also so zwischen 30 und 50. In den Konzerten sitzen aber immer wieder ganze Familien, also von ganz klein bis ganz alt. Und auch da ist es wieder eine Stilfrage. Zum Beispiel haben wir den Song „Platzhalter“ [sic], den alle nur kennen unter „Hier Bandname einfügen“ [sic], der so deutschen Proll-Rap parodiert und da ist die Sprache natürlich eine ganz andere als wenn ich jetzt irgendeinen hochgeistigen Chanson schreibe. Deswegen wäre die Zielgruppe für diesen Song eigentlich eine ganz andere als bei irgendeinem anderen Lied. Aber in Summe macht es eben diese Vielseitigkeit, und auch das Publikum muss verstehen, dass es sich um eine Parodie handelt. Ja, deswegen ist unsere Zielgruppe wahrscheinlich gutbürgerlich und so alt wie wir.

[00:10:39]

Luisa: Ja, du hast dann ja gerade schon angesprochen, dass ihr auch Stücke in verschiedenen Stilen habt und wenn ihr dann ein neues Album macht, ahnt ihr dann schon ungefähr, was vielleicht besser ankommt als andere Stücke? Und welche so ein Hitpotenzial – sag ich mal – haben?

[00:10:53]

Oliver: Das ahnen wir manchmal, liegen damit aber ganz gerne mal daneben. Da gab es schon Stücke, die wir jetzt selber nicht so dolle fanden, die sich dann aber als absolute Bringer erwiesen haben. Genauso wie Stücke, von denen wir total überzeugt waren, die haben wir dann zehnmal aufgeführt, das Publikum hat einfach nicht reagiert und dann haben wir sie wieder weggelassen.

Arbeitsteilung

[00:11:11]

Luisa: Mit wie vielen Leuten arbeitest du während der Entstehung eines Songs zusammen? Also findet Arbeitsteilung statt?

[00:11:19]

Oliver: Innerhalb der Band findet selten Arbeitsteilung statt. Ich bin ein ziemlicher Eigenbrötler und präsentiere den Jungs meistens erst was, wenn es fix und fertig ist und wenn jede Note von unserem vierstimmigen Satz völlig auf Papier steht. Aber natürlich gibt es auch Ideen, an denen wir zusammen arbeiten in der Band. Und ich habe auch Leute, mit denen ich mich immer mal wieder treffe, die nicht zur Band gehören: William Wahl von basta, mit dem treffe ich mich immer mal, wenn es passt, wir stellen uns gegenseitig Ideen vor und arbeiten dann gemeinsam daran.

[00:11:51]

Luisa: Und wie trägt der Input dann von anderen Mitwirkenden bei, hat das eher Vorteile, die das mit sich bringt oder gibts dann auch Probleme, wenn du zum Beispiel schon eine Idee hattest und davon überzeugt warst und jemand hat dann daran was auszusetzen?

[00:12:03]

Oliver: So unterm Strich ist das immer gut. Denn auch wenn es so ist, dass ich von etwas total überzeugt bin und ein Bandkollege sagt „das finde ich jetzt aber nicht so, mach mal lieber so“, dann hat er vermutlich Recht, auch wenn ich das im ersten Moment vielleicht nicht einsehen will. Und jedes Input von außen ist ja immer eine Bereicherung. Alles, was über meinen eigenen Tellerrand hinausgeht, kann ja nur ein Gewinn sein.

Komposition/Preproduction

[00:12:30]

Luisa: Wenn dir dann eine Idee gekommen ist, wie und wo hältst du die Kompositionsideen fest?

[00:12:37]

Oliver: Wenn ich unterwegs bin, dann mach ich mir schnell eine Sprachnotiz, eine Singnotiz ins Handy. Ich hab aber auch meistens ein Laptop dabei und kann Dinge mit einem Notationsprogramm sehr schnell skizzieren. Und hab einen riesigen Fragmente-Ordner mit lauter Bausteinchen, die mir irgendwo eingefallen sind.

[00:12:54]

Luisa: Ja, jetzt haben wir ja schon viel über die Idee und das erste Ausprobieren gesprochen, was kommt dann als nächstes bei euch?

[00:13:02]

Oliver: Gezielt bei Maybebop?

[00:13:04]

Luisa: [nickt]

[00:13:06]

Oliver: Sehr viel Zeit, Selbstzweifel auch manchmal Hass, wenn nichts passiert und eine recht zähe Phase, bis dann tatsächlich irgendwas da steht. Das ist selten so, dass es mir sehr leicht fällt, häufig ist es recht mühsam, bis es dann tatsächlich fertig ist, was auch damit zusammenhängt natürlich, dass ich nicht mehr so schnell zufriedenzustellen bin wie vor 15 Jahren. Also inzwischen weiß ich mehr, was einen guten Song ausmacht oder wann ich ihn gut finde und der Weg ist steinig bis es vorne und hinten passt und mir alles gefällt. Ich finde es auch manchmal, … ich weiche dem manchmal aus. Ich hab eine gute Idee und denke, das könnte ein super Lied werden, aber ich scheue dann den Prozess, immer wieder das Gefühl zu haben, gegen eine Wand zu rennen und nicht mehr weiterkomme und mach dann lieber erstmal andere Dinge und lasse diesen kleinen Baustein, von dem ich der Meinung bin, das wird irgendwann mal super, lieber irgendwo an der Seite liegen und freue mich dann darüber, „das wird irgendwann super“ aber will mich nicht damit auseinandersetzen, dass es vielleicht nicht so super wird, wie ich denke.

Produktion/Aufnahme

[00:14:22]

Luisa: Und wenn der Song dann fertig ist, wie läuft das Aufnehmen dann bei euch ab?

[00:14:26]

Oliver: Im Idealfall stelle ich den Jungs einen Song vor, dann proben wir den erstmal ein bisschen und dann muss es ja erstmal allen gefallen, manchmal ist es auch so, dass die Jungs sagen „ah das find ich super aber hier an der Stelle, wär noch geil, wenn das dahin gehen könnte“ oder „das hier find ich irgendwie unnötig“ und dann überarbeite ich den noch mal. Und wenn wir den geprobt haben, führen wir den Song im Idealfall auch zwei, drei, vier, fünfmal auf, weil er sich dadurch immer noch mal verändert, durch die Publikumsreaktion ergeben sich Dinge anders als wir die vorher beim Proben uns ausdenken. Und wenn wir das dann gemacht haben und jeder ein Gefühl dafür hat, dann wird eine Session im Studio angelegt, eine Aufnahmesession mit MIDI-File im Hintergrund und jeder singt einzeln seine Stimme ein. Und zwar so, wie er die Stimme sonst mit uns gemeinsam singen würde, aber wir nehmen das einzeln auf, weil wir die einzelnen Stimmen dann besser editieren können. Jetzt, in der Corona-Zeit, war es bei vielen Songs auch so, dass wir die aufgenommen haben, ohne die jemals miteinander geprobt zu haben. Wir durften nicht reisen, alle waren bei sich zuhause, alle haben ein Studio-Setup und wir sprechen uns dann nur mal in einer Telefonkonferenz oder via Zoom ab, „das ist so und so und das ist so und so“ und dann singt jeder einfach sein Zeug und dann hofft man, dass das hinterher passt und alles, was nicht passt, muss dann noch mal korrigiert werden.

[00:15:51]

Luisa: Gibts denn bei vierstimmigem Gesang bei euch dann auch improvisatorische Elemente oder kommts dann wirklich darauf an, dass es bei jeder Taktzeit aufeinanderpasst?

[00:16:03]

Oliver: Wir haben letzten November ein Kinderalbum rausgebracht und da sind Passagen bei mit sehr viel Improvisation, wo einfach Dinge passiert sind im Studio und die haben wir dann so gelassen, damit das Album ein bisschen lebendiger wird. Bei vielen Stücken ist es aber auch so, dass wir recht peinlich genau das singen, was da steht und nichts anderes.

[00:16:27]

Luisa: Und wenn ihr Arrangements habt, wo mehr als vier Stimmen sind, wie macht ihr das dann live? Wird das dann runtergebrochen oder weggelassen?

[00:16:38]

Oliver: Manchmal machen wir vierstimmige Sachen für live und nehmen die auf und denken im Studio „mh … jetzt hätten wir ja die Möglichkeit, das noch ein bisschen zu pimpen“ und dann machen wir das einfach. Das sind dann Sachen, die waren im ursprünglichen Arrangement gar nicht vorgesehen. Manchmal ist es auch so, wie jetzt bei der Volkslieder-CD, die erscheinen wird am 17. September, da hat Christoph ein Stück arrangiert im Stile der „Singers Unlimited“; das waren vier Sänger in den 60ern, 70ern, deren Markenzeichen war das, Studiosessions zu bauen mit 100 Stimmen, die sind auch niemals live aufgetreten, das war ein reiner Studio-Act, und diesen Stil wollte er gerne auch mal machen und hat uns ein Stück arrangiert in diesem Stil, was jetzt auch tatsächlich so klingt und um das live aufzuführen, hat er noch mal quasi ein Live-Arrangement zu seinem eigenen Arrangement geschrieben. Also musste sich quasi ein zweites Mal hinsetzen und noch mal ein Arrangement schreiben, was natürlich ganz anders klingt als jetzt das Studiostück.

[00:17:38]

Luisa: Benutzt ihr auch Samples oder ähnliches?

[00:17:41]

Oliver: Wir benutzen eigene Samples aber [überlegt] ich wüsste grad nicht, dass wir schonmal so ein Fremd-Sample benutzt haben. Mag sein, vielleicht irgendwo mal.

[00:17:55]

Luisa: Nehmt ihr hier auf oder wo macht ihr das? Oder ist das oft auch, wie du gerade beschrieben hast, dass dann jeder seinen Teil zuhause macht oder war das jetzt eher der Ausnahmefall?

[00:18:03]

Oliver: Jeder hat die Möglichkeit, bei sich zuhause aufzunehmen und in der Corona-Zeit haben wir das auch viel gemacht, ansonsten ist mein Studio hier in Hannover, glaub ich auf Platz zwei, auf Platz eins ist das Studio von Lukas in Berlin, da nehmen wir am allermeisten auf.

[00:18:16]

Luisa: Wie viel hat denn bei euch der Text mit der Musik, wie ihr sie nachher umsetzt, zu tun? Also achtet ihr dann bei der Aufnahme auch drauf, dass sich der Charakter vom Text auch in der Musik widerspiegelt?

[00:18:31]

Oliver: Ja. Zumindest versuchen wir das. Ich hoffe, das klappt. [lacht]

[00:18:37]

Luisa: [lacht] Und welche Rolle spielt für dich der Aufnahmeprozess für das Endprodukt? Ist die Aufnahme eher Mittel zum Zweck oder ist für euch da noch irgendwas Tiefgründigeres hinter?

[00:18:47]

Oliver: [denkt nach] Also unsere CD-Aufnahmen, die wir machen, die machen wir, wie ich heute weiß, nicht zum Geldverdienen. Früher dachte ich, mit CDs verdient man Geld, haben wir aber eigentlich noch nie, weil wir dafür zu klein sind als Act, wir verkaufen nicht genügend CDs. Und mit CDs wird es ja sowieso insgesamt immer weniger, es wird immer mehr gestreamt. Deswegen machen wir die CD-Aufnahmen eigentlich nur aus, tja, vielleicht einem Teil Eitelkeit, weil es einfach cool ist, die Stücke, die man singt, auch irgendwann als gute Aufnahme zu haben. Bei der Aufnahme putzt man ja auch alles Mögliche und bringt das auf einen hochpolierten Stand, der ja qualitativ noch Welten über dem ist, was wir live in der Lage sind abzuliefern, weil die Studiotechnik inzwischen so weit ist. Das machen wir, um uns selber zu verwirklichen, würde ich mal sagen. Die CDs, die wir immer noch verkaufen, sind der Ersatz für das Programmheft. Die Leute finden das Konzert gut und möchten ein Souvenir mit nach Hause nehmen und kaufen dann die CD und wir unterschreiben darauf. Quasi ist das unsere Visitenkarte, kann man sagen. Aber Mittel zum Zweck ist es nicht. Also wir würden die Aufnahmen nicht machen, wenn wir nicht selber der Meinung wären, dass die ganz gut sind. Das gefällt uns, was wir da machen.

Postproduction

[00:20:24]

Luisa: Und wenn der Song dann aufgenommen ist, dann ist der ja noch nicht ganz fertig. Wie wird dann aus der Aufnahme eine fertige Audiodatei?

[00:20:33]

Oliver: Unser Tenor und Beatboxer Lukas ist unser Produzent und der mischt die Aufnahmen und macht daraus den Stereomix, der dann schließlich bei Spotify oder auf der CD ist.

[00:20.47]

Luisa: Und was entsteht da oder was passiert da Entscheidendes noch?

[00:20:50]

Oliver: Da passieren Studioschmeicheleien wie Hall, Equalizing, mit dem Stimmen noch ein bisschen im Timbre verändert werden können oder eine Bassdrum, ein Schlagzeug noch fetter klingt als es eigentlich ist, Delay-Sounds, manchmal auch technische Spielereien, um Töne zu verfremden, also das ist auch noch mal ein kreativer Prozess auf jeden Fall.

[00:21:19]

Luisa: Habt ihr da als Gruppe da auch Einfluss drauf, macht ihr das zusammen, dass ihr da noch mal drüber guckt, was dann verändert wurde, bevor es dann rausgeht?

[00:21:26]

Oliver: Ja. Auf jeden Fall. Also genauso, wie ich ein Stück schreibe, das allen gefallen muss und so lange Dinge verändere, bis es allen gefällt, macht auch Lukas einen ersten Mix, schickt den rum und alle geben ihren Senf dazu und sagen „das find ich toll“ oder „das find ich nicht so gut“ und dann schraubt er da so lange dran rum, bis er für alle Stellen Kompromisse gefunden hat, die allen gefallen.

[00:21:47]

Luisa: Und wann ist die Produktion für euch beendet? Gibts dann bestimme Kriterien oder macht ihr das nach Gefühl?

[00:21:55]

Oliver: Die Produktion ist zu Ende, wenn wir alle Stücke für fertig erachten. Also wenn alles soweit geschrieben, produziert, gemischt ist, dass das allen gefällt.

[00:22:05]

Luisa: Also es gibt dann, wenn ihr einen Song von Lukas hört, wenn ihr dann alle sagt „ja, sind wir mit einverstanden“, dann wird da auch nichts mehr verändert, dann geht der so raus?

[00:22:14]

Oliver: Ja, dann wird ein Haken hinter gemacht, genau.

Ende

[00:22:16]

Luisa: Ja.

[00:22:18]

Oliver: Also ich könnte noch eine Sache sagen, die bei uns noch spezieller ist als bei anderen. Also mein Bandkollege William zum Beispiel, äh nicht mein Bandkollege, William von basta, mit dem ich mich häufig treffe zum Schreiben, der schreibt ganz anders Songs als ich, der schreibt erst Text und dann ist der Text fertig und dann vertont er den, macht Melodie und Akkorde dazu, fertig; und wenn das ein Song für seine A cappella-Gruppe basta ist, fängt der dann [sehr deutlich betont] an, den zu arrangieren. Das sind drei völlig voneinander unabhängige Schritte, das ist bei mir ganz anders. Wenn ich einen Song für uns schreibe, dann ist Komposition, Text, Arrangement, alles in einem Abwasch, also ich komponiere schon und denke dabei schon im Arrangement in unseren vier Stimmen. Und ich hab einen Textbaustein, dann komme ich mit dem Text nicht weiter, dann denke ich mir dafür erstmal Musik aus und dann steht diese Musik fertig da für unsere vier Stimmen und dann weiß ich plötzlich „ah, jetzt muss der Text so weitergehen“ und so wühle ich mich von Anfang bis Ende, bis es dann irgendwann soweit fertig ist, dass ich das sofort den Jungs vorlegen kann und die können das singen.

[00:23:25]

Luisa: Ja, dankeschön, dass du dir die Zeit genommen hast und uns so Einblicke gegeben hast in das Schaffen eurer Musik.

[00:23:33]

Oliver: Gerne [lacht] Ja, danke, dass ihr mich da auf dem Schirm habt und mich fragt.