Die Frage nach musikalischer Inspiration

Wann sind wir inspiriert? Eine interviewzentrierte Spurensuche

von Luisa Herbe, Miriam Reker, Rabea Suhre und Vivien Surrey, Version 1.0, 02.02.2022 15:30

Inhalt

Wie kommen die ersten Ideen für einen Song zustande? Wo finden Künstler*innen Inspiration? Und inwieweit lässt sich dies in Kompositionsprozessen nachvollziehen? Diesen Fragen sind wir in unseren Interviews mit fünf Musiker*innen nachgegangen und werden auf dieser Basis im Folgenden exemplarische Strategien der Ideensuche aufzeigen.

Die Frage nach dem Ursprung von Inspirationen ist nicht neu. Louise Duchesneau stellte dazu in The Voice of the Muse: A Study of the Role of Inspiration in Musical Composition bereits 1986 drei Kategorien der Herkunft auf: Die Kategorie der inspiration from above beschreibt gottgegebene Inspiration auf metaphysisch-religiöser Ebene. (Vgl. Duchesneau 1986, 55.) In die psychologisch-physiologische Kategorie inspiration from inside fallen Inspirationen, die im Traum entstehen oder aus dem Nichts kommen. (Vgl. ebd.) Inspiration from outside umfasst äußere Eindrücke auf soziologisch-kultureller Ebene, die Inspiration anregen und Auslöser für Ideen sind. (Vgl. ebd.)

Wir stellen im Folgenden bewusst keine Aufarbeitung des Diskurses zum Themas der Inspiration an, ziehen die genannten Kategorien aber als Muster heran und befragen unsere Interviews im Sinne einer Spurensuche auf Duchesneaus Basis: Spielen diese Kategorien heute überhaupt noch eine Rolle innerhalb der Inspirationsfindung der von uns befragten Künstler*innen? Die folgende Ausarbeitung ordnet also Aussagen der schaffenden Künstler*innen Alex Nolte, KID DAD, LISA WHO, Maybebop und Zara Akopyan den genannten Kategorien zu, um die Art und Weise, wie bei ihnen Inspiration ,fließt‘, nachvollziehbar zu machen und exemplarische Wege der Inspiration innerhalb popularmusikalischer Produktionsprozesse zu verdeutlichen.

Zara Akopyan

Betrachten wir zunächst die Produktionsprozesse am Beispiel von Zara Akopyan: Wie findet sie Inspiration für ihre Musik? Im Interview wurde deutlich, dass Zaras Einfälle insbesondere beim Musizieren aufkommen, d.h. sobald sie sich an ihre Gitarre setzt und einfach ,drauf los probiert‘. Ihre ersten Einfälle sind oft musikalische bzw. melodiöse, im Gegensatz zu textlichen Einfällen oder zu solchen, die die Aussage des Songs betreffen. Und sie sind weniger geplant, sondern mehr improvisiert. Diese ersten Ideen können somit als inspiration from inside (vgl. Duchesneau, 98) angesehen werden, denn weder bedient sich Zara dabei an bereits vorhandenem Notenmaterial und improvisiert darüber (inspiration from outside), noch spricht sie davon, dass ihr die ersten Melodien auf übernatürlichem Wege ‚von Gott‘ übermittelt wurden (inspiration from above). Die Ideen scheinen vielmehr beim Spielen der Gitarre zu fließen und werden augenblicklich hörbar gemacht.

Duchesneau spricht im Fall der inspiration from inside von einer inneren Stimme, durch die viele Künstler*innen diese Art der Inspiration und das Aufkommen der Ideen erklären. (Vgl. Duchesneau, 98.) Zwar berichtet Zara Akopyan nicht von so einer inneren Stimme, doch erzählt sie von einer anderen Art der Inspiration, die sie sogar erst zum Komponieren angeregt habe: „[M]ein absolutes Vorbild in dem Bereich war immer schon Taylor Swift, weil ich die einfach meine ganze Jugend durchgehört habe und ich einfach so inspiriert war von ihr […], dass sie sich mit ihrer Gitarre dahin setzt und ihre ganzen Gefühle ausschüttet.“ (Zara Akopyan, 00:03:07 ff.) Duchesnenau versteht dies als inspiration from outside (Duchesneau, 117), meint dabei aber nicht nur musikalisches Material, das als Inspirationsquelle herangezogen wird (vgl. ebd.), sondern auch jegliche äußeren Einflüsse in einer Gesellschaft, wie etwa Literatur, Kunst und Wissenschaft. Auch Zara sucht ihre Inspiration nicht nur bei anderen Künstler*innen und benennt ihre eigenen Lebensumstände als ausschlaggebend für die Themen ihrer Songs. Diese ‚Lebensumstände‘, wie Zara sie beschreibt, fassen wohl alle Bereiche, die Duchesneau unter inspiration from outside fasst, zusammen, da sie eben von der derzeitigen Kultur und Gesellschaft beeinflusst sind. Als eine indirekte Inspirationsquelle, die auch als inspiration from outside zu verstehen ist, nennt Zara schließlich noch ihre Kommiliton*innen, die sie in ihrem Musikgeschmack beeinflusst haben und in der Folge auch die Künstler*innen, die sie hört.

Zara spricht also von drei Hauptinspirationsquellen: Von der Inspiration beim Ausprobieren mit der Gitarre (inside), von der Inspiration, die sie aus ihren eigenen Lebensumständen zieht (outside) und von der Inspiration, die beim Hören anderer Künstler*innen entsteht (outside). Alleine bei Zara lässt sich somit erkennen, dass Inspiration vielseitig und individuell entsteht.

Alex Nolte

Alex Nolte ist u.a. Schlagzeuger in der Band Julia’s Mind und schreibt in diesem Fall nicht für sich alleine Songs, sondern arbeitet in einer Gruppe, in der jede und jeder mit Ideen und Inspirationen ein Mitspracherecht hat. Vor allem die textlichen Ideen und ersten Arrangements am Klavier kommen überwiegend von der Sängerin Julia, denn „da ist sie viel, viel besser drin als wir und sie hat […] immer die Inspiration und kann sofort aus irgendwelchen Situationen irgendwas machen“. (Alex Nolte, 00:05:39 ff.) Gemeinschaftlich wird an ersten Ideen weitergearbeitet. Diese ersten Ideen können aus kleinen Melodien bestehen, einem Chorus oder sie können auch schon ein fertig arrangierter Song sein. (Vgl. ebd., 00:00:56 ff.)

Alex benennt das aufmerksame Musikhören als die für ihn wichtigste Inspirationsquelle für Musik und Text. Vor allem neue, ihm bis dato unbekannte Musik bringt ihm viel Inspiration. Es gehe darum, „selber auf Konzerte zu gehen, […] dann auch Musiker bei der Arbeit zu sehen“ (ebd., 00:02:05 ff.) und „einfach ganz, ganz viel Musik [zu] hören.“ (ebd., 00:02:05 ff.) Nach Duchesneaus Kategorien lässt sich diese Art der Inspiration vor allem in die Kategorie inspiration from outside einordnen, also in die Kategorie der Inspiration durch „outside influences and stimuli“ (Duchesneau 1986, 55). Der äußere Eindruck der Musik fördert demnach das Entwickeln eigener neuer musikalischer Ideen. Diese Form der Inspirationsquelle von „musical influences“ (ebd., 124) führt auch Duchesneau auf: „In order to produce music, one must have lived with it and assimilated it“ (ebd.). Sie beschreibt, auch wenn Künstler*innen ihren eigenen Stil gefunden haben, spiele andere Musik immer eine Rolle in der Schaffung neuer, eigener Musik. (Vgl. ebd.)

Auch die visuelle Wahrnehmung erzeugt Ideen, die Alex z.B. bei Zugfahrten einfallen, sobald er anfängt, „sich gewisse Sachen zu überlegen“ und „irgend so eine Melodie in den Kopf“ kommt. (Alex Nolte, 00:02:05 ff.) Nach Duchesneau ließe sich dieses Phänomen der Kategorie inspiration from inside zuordnen. (Vgl. Duchesneau 1986, 98.) Auch wenn Alex nicht die von Duchesneau beschriebene innere Stimme erwähnt, bezeugt das unbewusste Entstehen von Ideen eine Inspiration von innen heraus, die Duchesneau als sogenannte „musical visions“ (ebd., 103–109) beschreibt.

Alex betont außerdem, dass er die Quellen der Inspiration im Nachhinein oft wiedererkennt, indem eine Song-Idee mit einer Erinnerung verbunden ist. „Und das kann im Umkehrschluss dann natürlich auch wieder eine Inspiration sein, was Neues zu machen […].“ (Alex Nolte, 00:04:29 ff.) Auch diese Art von Inspiration, die durch Erinnerung entsteht, lässt sich der Kategorie Inspiration from inside zuordnen.

Es zeigt sich also, dass Alex‘ Inspiration vor allem durch äußere Einflüsse – in seinem Fall vor allem durch das Musikhören – geprägt ist, aber auch viele Gedankenspiele und spontane Ideen seine Inspiration fördern. Es wird deutlich, dass sich kaum abgrenzen lässt, inwiefern eine Inspiration wirklich von innen oder außen kommt. Ein Gedankengang wird in Alex‘ Fall durch einen gehörten Song, ein Bild oder eine andere äußere Wahrnehmung – bspw. auf einer Zugfahrt – angestoßen. Die erste Idee kommt also von außen und nach Duchesneau fiele die Inspiration in die Kategorie Inspiration from outside. Durch das Schweifen der Gedanken ist im Nachhinein aber nicht immer rückzuschließen, von wo der Gedankengang – auch unbewusst – angestoßen wurde. Die Abgrenzung zur Inspiration from inside verschwimmt also.

KID DAD

Die vierköpfige Band KID DAD betont, dass alle Mitglieder auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichen Richtungen ihre Inspiration finden und so eine Vielfältigkeit der Songs entsteht: „Und das gibt uns die Möglichkeit so diverse, so unterschiedlich inspirierte Mukke zu machen“, so Marius. (KID DAD, 00:07:17 ff.) Vielseitige Ergebnisse entstehen durch kleinschrittige gemeinsame Arbeit, sobald „verschiedene Gedankenwelten aufeinandertreffen“. (ebd., 00:09:11 ff.) Da jeder der Musiker ein anderes Instrument spielt, treffen unterschiedliche Startpunkte von Inspiration aufeinander, auf denen gemeinsam aufgebaut werden kann. (Vgl. ebd., 00:22:13 ff.)

Inspiration finden sie vor allem in anderer Musik. Sie wollen diese aber „nicht kopieren, sondern einfach sich selber als Musiker so ein bisschen weiterentwickeln und Einflüsse aufsaugen und das sich zu eigen machen und sein eigenes Ding daraus entwickeln“, so Joshi (ebd., 00:16:10 ff.). Wie Marius beschreibt, entsteht Inspiration durch die Stimmung, in die sie beim Hören von Songs gelangen. (Vgl. ebd., 00:23:10 ff.) In Bezug auf Duchesneaus Kategorien der Inspirationsfindung lässt sich Inspiration durch Musik der Kategorie der inspiration from outside genau wie bei Alex Nolte als „musical influence“ zuordnen (Duchesneau 1986, 124). Die Stimmung, die beim Musikhören erzeugt wird, schafft Inspiration für neue, eigene Musik.

Mehr und mehr bieten auch äußere, vor allem politische Themen Inspiration für Songinhalte: Die politischen Unruhen in den USA – etwa der Sturm auf das US-Kapitol – rund um den Wahlkampf 2020/2021 und auch erkennbare Veränderungen in der deutschen Politik, in der „gefühlt alles viel populistischer und plumper“ (KID DAD, 00:30:41 ff.) wurde, waren laut Max Anlass für den Song „As Soon As America“.  Marius bestätigt, dass ihre Songs früher eher auf das eigene Ich bezogen waren, mit der Zeit aber äußere Einflüsse und Themen wie die Klimapolitik zentraler wurden: „Wir haben uns einfach nicht nur moralisch dazu verpflichtet gefühlt, sondern auch irgendwie als Person das wirklich gewollt, einfach was dazu zu sagen, zu Dingen, mit denen wir aufgewachsen sind, die jetzt gipfeln […]“ (ebd., 00:32:12 ff.). „So beeinflusst eben Weltgeschehen oder auch einfach das, was wir so in unserem Umfeld wahrnehmen auch unsere Musik“. (ebd., 00:33:49 ff.) Die von der Band beschriebenen, durch soziale Medien hervorgerufene Nähe zu diesen Ereignissen, erweckte eine emotionale persönliche Reaktion, welche der Grundstein für die Idee war. (ebd., 00:33:49) Diese Form der inspiration from outside beschreibt auch Duchesneau: „It is expected of a composer from any given historical period that he sometimes creates out of direct emotional reaction to a personal experience, either out of love or sorrow at the death of a loved-one“. (Duchesneau 1986, 137.)

Es ist also zu erkennen, dass die Band hauptsächlich in äußeren Einflüssen Inspiration findet, besonders in Musik anderer Künstler*innen und zunehmend in gesellschaftspolitischen Themen, die sie umgeben.

Maybebop

Die Inspirationen, die Oliver Gies – Bariton, Komponist und Arrangeur des A-cappella-Pop-Quartetts Maybebop – beschreibt, lassen sich hauptsächlich der Kategorie inspiration from outside zuordnen. (Vgl. Duchesneau 1986, 117.) Er benennt als Hauptinspirationsquelle äußere Einflüsse wie Gesprächsfetzen, die man – beispielsweise am Bahnhof – unbewusst aufschnappt und äußere Impulse – wie Politik oder auch Druck, wenn ein Album oder ein Song fertig werden müssen. Ein weiterer Einfluss sind Stile, die man nachahmen möchte. All dies bezeichnet Oliver als Ideen, die durch äußere Impulse ausgelöst werden und – wie er es in seinem Interview ausdrückte – aus dem Nichts kommen. (Vgl. Maybebop, 00:01:24 ff, 00:02:21 ff. sowie Duchesneau 1986, 36.).

Doch besonders beim Schreiben der Melodien lässt sich der Musiker „von [s]einer Intuition leiten und auch von der [Struktur der Sing-]Stimme“ (Maybebop, 00:05:54 ff.), sodass sich dieser Prozess hingegen der Kategorie inspiration from inside zuordnen lässt: „This is inspiration which results from outside influences and stimuli. An outside object, influence, ideology is retained as stimulus of a work of art“ (Duchesneau 1986, 55). Dabei greift er aber – neben den im Kopf entstandenen Melodie-Ideen und musikalischen Skizzen – auch auf musiktheoretisches Wissen zurück, welches der Musiker sich im Laufe seines Lebens durch unterschiedliche Einflüsse – z.B. das Arrangieren für seine damalige Schülerband oder im Tonsatzunterricht des Lehramtsstudiums – angeeignet hat. (Vgl. Maybebop, 00:05:10 ff.) Dies nutzt er jedoch primär zur harmonischen Ausarbeitung der Stücke und kaum zum Schreiben der Melodien. Besonders bei der Konzeption des gewünschten Klanges und dem Einbringen neuer Sounds und Effekte beteiligen sich aber auch die anderen Mitglieder der A-cappella-Gruppe: „Es war schon ein paar Mal so, dass irgendjemand in der Band – weil er es irgendwo gehört hat oder einfach nur aus Jux – zu einem neuen Stimmsound gekommen ist. Unser Beatboxer Lukas z.B. hat irgendwann den […] Lipbass für sich irgendwo aufgeschnappt von irgendeiner britischen A-Capella-Gruppe […] und hat versucht, das nachzumachen“. (ebd., 00:07:04 ff.) Auch hier ist wieder nach Duchesneau die Kategorie from outside zutreffend. Sie beschreibt diese Art der Inspiration als musikalisches Material:

Musical material, that is the sounds, rhythms, timbres and dynamics, which make up the elements of music has, according to composers, its own power, which they seek to grasp and channel. The musical elements have a dormant strength and character of their own, which the composer must be able to awaken and yet shape to fulfill his need. (Duchesneau 1986, 177.)

LISA WHO

LISA WHO beschreibt Inspiration als einen „Funken“, welcher sich in verschiedenen Formen zeigen kann. (LISA WHO, 00:01:05 ff.) Als Beispiel dafür nennt sie zunächst Wortkombinationen, auf die sie beim Lesen stößt und die dann eine „Kette“ auslösen, indem sie bestimmte Dinge mit dem Gelesenen assoziiert. Auf diese Weise entstehen Formulierungen, welche sie für ihre Texte verwenden kann. (Vgl. ebd., 00:01:05 ff.) Bei ideengebender Literatur handelt es sich um inspiration from outside. Als Beispiele dafür nennt LISA WHO Erich Kästner und Erich Fried, deren Gedichte sie gezielt liest, um Inspiration zu finden. (Vgl. ebd., 00:04:37 ff.) Louise Duchesneau beschreibt Literatur als eine Quelle der Inspiration, welche die komponierende Person mit Ideen und Material ausstattet (vgl. Duchesneau 1986, 127) und nicht nur bei Libretti oder Gedichtvertonungen eine Rolle spielt, sondern auch zu einer bestimmten musikalischen Stimmung inspirieren kann. (Vgl. ebd., 130.) LISA WHO schildert hier in erster Linie Inspiration für ihre eigenen Texte. (Vgl. LISA WHO, 00:04:37 ff.)

Zudem spricht sie von musikalischer Inspiration, bei der entweder ein Musikstück ein Gefühl in ihr auslöst, welches sie dazu inspiriert, etwas ähnliches erzeugen zu wollen, oder bei der sie eine Melodie oder eine Akkordkombination hört, die sie auch verwenden möchte. (Vgl. ebd., 00:01:05 ff.) Auch hierbei handelt es sich um inspiration from outside. Duchesneau erläutert, dass Musik immer einen musikalischen Kontext braucht, um entstehen zu können und musikalische Inspiration daher sehr üblich ist. (Vgl. Duchesneau 1986, 124.)

LISA WHO nennt hier zwei Arten, wie Musik sie bewusst inspiriert. Hinsichtlich konkreter musikalischer Inspirationen berichtet sie von dem Beispiel, wie die instrumentale Melodie aus der Serie Twin Peaks sie zu einem ihrer Lieder inspiriert hat. (Vgl. LISA WHO, 00:07:12 ff.) Ihr zufolge ist von dieser Stimmung, die sie dort nachahmen wollte, im Endeffekt nicht mehr viel zu hören, da sich die Idee und das Lied im Prozess immer weiter verändert haben und so zu etwas Eigenem wurden. (Vgl. ebd., 00:07:38 ff.) Selbst bei so konkreten und bewussten Formen von inspiration from outside ist also nicht sicher, dass sich die ursprüngliche Inspiration später noch wieder erkennen lässt. Dasselbe beschreibt auch Duchesneau: „[T]here may not be evidence in the final product of the idea which sparked the composer‘s imagination in the first place“ (Duchesneau 1986, 177.)

Des Weiteren erläutert LISA WHO, wie sie sich in Bezug auf ihre Stimme Inspiration von Künstler*innen aus dem Jazz, wie Ella Fitzgerald, Billie Holiday oder Peggy Lee holt. Gruppen wie Kings of Convenience oder The Beatles inspirieren sie bezüglich der „Leichtigkeit“, „Wärme“ und „Weichheit“ ihrer Musik. Von Künstler*innen wie Lana Del Rey oder Pink Floyd erhält sie Inspiration in Richtung sphärischer und psychedelischer Stimmungen. (Vgl. LISA WHO, 00:04:37 ff.) Und obwohl sie erläutern kann, inwiefern die einzelnen Musiker*innen sie inspirieren und was sich in ihrer eigenen Musik widerspiegelt, beschriebt sie diese Einflüsse als weitestgehend unbewusst. (Vgl. ebd., 00:07:12 ff.) Dieser Eindruck passt zu der Rolle, die Duchesneau der Musik als inspiration from outside zuschreibt.

Als weitere Quellen der Inspiration geht LISA WHO noch auf Natur, Kunst und Politik ein. Sie beschreibt eine „kindliche Faszination“, die sie für die Natur empfindet, und dass sie Kraft, Glück und Inspiration aus ihr schöpfen kann. (Vgl. ebd., 00:09:29 ff.) Als Beispiel für inspirierende Kunst nennt sie Ólafur Elíasson, von dem sie eine für sie faszinierende Ausstellung besuchte. Sie beschreibt Kunst als eine potentiell sehr große und einflussreiche Quelle für neue Gedanken, die sie allerdings eher selten nutzt. (Vgl. ebd., 00:09:29 ff.)

Im Zusammenhang mit Politik als Inspirationsquelle beschreibt LISA WHO ein interessantes Phänomen: Sie erzählt, dass politische Themen bislang nur eine Inspiration für sie waren, wenn sie Lieder für die Band Madsen geschrieben hat. Als LISA WHO habe sie für politische Themen aber noch keine „Stimme gefunden“; sie hat noch keinen Weg gefunden, sich auf ihre Weise zu politischen Themen zu äußern. (Vgl. ebd., 00:12:17 ff.) Deshalb ist Politik keine Inspirationsquelle, wenn sie Lieder für sich selbst schreibt. Die Quellen, aus denen Künstler*innen Inspiration ziehen, müssen also demnach auch zu der persönlichen Ausdrucksweise, bzw. dem eigenen Stil passen. Natur, Kunst und persönliche Überzeugungen werden auch von Duchesneau als Beispiele für inspiration from outside beschrieben (vgl. Duchesneau 1986, 141) und Natur bezeichnet sie als eine „Inspirative Force“. (Ebd., 132.)

Insgesamt nennt LISA WHO viele verschiedene Quellen, aus denen sie Inspiration zieht: Literatur, Musik, Natur, Kunst, Gespräche, Nachrichten, Serien oder Filme. Sie sagt, sobald man zu etwas ein Gefühl hat, „wird es […] sofort persönlich“ und so können Gedanken angestoßen werden und Ideen kommen. (LISA WHO, 00:14:56 ff.) LISA WHO erklärt, dass sich diese ersten Ideen auf Textpassagen, Melodien oder auch auf Sounds beziehen können, welche dann weiter ausgebaut werden. Dabei setzt sie auch nicht jede Idee um und verwirft manche wieder. (Vgl. ebd., 00:02:37 ff.) Manchmal sucht sie gezielt nach Inspiration, z.B. durch das Lesen von Gedichten und manche Dinge inspirieren sie unterbewusst, wie etwa die Musik, die sie hört. Sehr konkrete Inspirationsquellen, wie beispielsweise eine bestimmte Melodie, verändern sich im Entstehungsprozess des Liedes meistens wieder, sodass die ursprüngliche Inspiration nicht mehr zu hören ist. (Vgl. ebd., 00:07:38 ff.)

Bei den von LISA WHO geschilderten Inspirationen handelt es sich, Duchesneaus Erläuterungen und Beispielen folgend, ausschließlich um inspiration from outside, welche sich aber wiederum direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst äußern können. LISA WHO betont dabei immer wieder, wie persönlich Musik und ihre Inspiration ist und dass etwas ein Gefühl in ihr auslösen muss, um sie inspirieren zu können. (Vgl. ebd., 00:14:56 ff.)

Fazit

Vergleicht man alle Aussagen der Künstler*innen miteinander, fällt zunächst auf, dass Inspirationen aus der Kategorie inspiration from outside am häufigsten und inspiration from above gar nicht genannt werden. Das könnte darauf hindeuten, dass die Kategorie inspiration from above bei der Ideenfindung in der populären Musik wenig Relevanz hat und möglicherweise nicht mehr zeitgemäß ist. Zumindest scheint sie für die hier befragten Künstler*innen irrelevant. Bezüglich der inspiration from outside nennen alle das Hören von Musik, es werden aber auch Lebensumstände, Politik, Gespräche oder Gesprächsfetzen, Literatur, Kunst oder Natur beschrieben. In die Kategorie der inspiration from inside lassen sich das Improvisieren am Instrument, die Intuition beim Komponieren oder spontane Ideen auf Reisen nennen. Allerdings scheint die Grenze zwischen inspiration from outside und inspiration from inside nicht immer ganz deutlich zu sein. Wenn Inspiration sowohl bewusst als auch unterbewusst erfolgen kann, ist es dann überhaupt immer möglich, unbewusste Inspirationen aus dem Inneren von unbewussten Inspirationen von außen unterscheiden zu können? Eine spontane Idee von Innen könnte auch von äußeren Dingen angestoßen worden sein, was wiederum der Kategorie inspiration from outside entspräche. Auf der anderen Seite kann man sagen, dass Inspirationen von außen durch die persönlichen Gefühle und Assoziationen der Künstler*innen erst zu einer Inspiration von Innen werden, was auch für eine Vermischung der beiden Kategorien sprechen würde. Dementsprechend sind die Kategorien Duchesneaus‘ nicht immer klar trenn- und anwendbar.

Die Betrachtungen zeigen: Künstler*innen werden ganz unterschiedlich und vielseitig inspiriert. Neben dem Hören von Musik scheint Zara Akopyan z.B. besonderen Wert auf das Improvisieren an der Gitarre zu legen, Alex Nolte und Oliver Gies betonen unter anderem Ideen, die auf Reisen oder durch aufgeschnappte Gesprächsfetzen kommen, KID DAD spricht von politischen Inspirationen und LISA WHO nennt z.B. Literatur als für sie wichtige Inspirationsquelle. Inspiration entsteht sehr individuell und mit Hilfe der befragten Künstler*innen lassen sich bereits viele verschiedene Inspirationsquellen herausarbeiten, welche sich in die Kategorien inspiration from outside, inspiration from inside oder gegebenenfalls auch in eine Mischform dieser beiden Kategorien einsortieren lassen. Der Prozess der Ideenfindung ist im gesamten Produktionsprozess Populärer Musik also von großer Bedeutung.

Quellenverzeichnis

#HowToPop, „Interview mit Alex Nolte von Julia’s Mind“, 26.01.2022, in: Youtube, URL: https://www.youtube.com/watch?v=zEgwF4Swm0o&list=PLG-cTcBygJd1Ic5bmS4iv7PE-mOyv0C3P&index=5 (Abruf: 01.02.2022).

#HowToPop, „Interview mit KID DAD“, 06.01.2022, in: Youtube, URL: https://www.youtube.com/watch?v=6l2TUcvQU5k&list=PLG-cTcBygJd1Ic5bmS4iv7PE-mOyv0C3P&index=2 (Abruf: 01.02.2022).

#HowToPop: „Interview mit Lisa Who“, 06.01.2022, in: Youtube, URL: https://www.youtube.com/watch?v=pvjhYPwvGj4&list=PLG-cTcBygJd1Ic5bmS4iv7PE-mOyv0C3P&index=4 (Abruf: 01.02.2022).

#HowToPop: „Interview mit Oliver Gies von Maybebop“, 06.01.2022, in: Youtube, URL: https://www.youtube.com/watch?v=2tNtXjMm0Dk&list=PLG-cTcBygJd1Ic5bmS4iv7PE-mOyv0C3P&index=1 (Abruf: 01.02.2022).

#HowToPop: „Interview mit Zara Akopyan“, 06.01.2022, in: Youtube, URL: https://www.youtube.com/watch?v=0As0z7EDm8Q&list=PLG-cTcBygJd1Ic5bmS4iv7PE-mOyv0C3P&index=3, 2022. (Abruf: 01.02.2022).

Literaturverzeichnis

Duchesneau, Louise (1986), The Voice of the Muse: A Study of the Role of Inspiration in Musical Composition (European University Studies Bd. 19), Frankfurt am Main/Bern/New York: Lang.