„Dark literature in der UB? In den Beständen der Universitätsbibliothek Paderborn finden sich auch Bücher der „Edition JF“. Ein Problem? Vielleicht, wenn man bedenkt, dass es sich um die Buchreihe der rechten Zeitung „Junge Freiheit“ handelt. Vielleicht aber auch nicht, wenn man die entsprechenden Machwerke mit dem notwendig kritischen Blick liest. Zum Beispiel Karlheinz Weißmanns Brandschrift gegen `68.“
Hierzu eine Betrachtung von Prof. Peter Fäßler:
`68 – die Zahlenkombination steht für Rebellion, lange Haare, „Sex and Drugs and Rock’nRoll“. Vorbei schienen die spießig-miefig-verlogenen Adenauer-Jahre, in denen Ex-Nazis ihre braune Vergangenheit unter den Teppich und ihre führenden Positionen im Staat behaupten konnten. Nun drängte eine junge, frische, freche Generation ins Rampenlicht, stellte unbequeme Frage, zerbrach verkrustete Lebens- und Familienentwürfe und provozierte die Altvorderen wo immer sie konnte. Dass sie dabei hin und wieder übers Ziel hinausschoss, dass etliche der Ideen und Visionen ein „Schmarrn“ waren – geschenkt. Die 68er-Rebellion hat ohne Zweifel den kulturellen Wandel in der Bundesrepublik wie in weiten Teilen der westlichen Welt beschleunigt. Die nachfolgende gesellschaftliche Liberalisierung im positivsten Sinne des Wortes profitierte hiervon ungemein.
Das sieht auch der Autor des vorzustellenden Buches, Karlheinz Weißmann, so. Mit einem entscheidenden Unterschied: er interpretiert diesen Wandel, diese gesellschaftliche Liberalisierung als „Verfall“. Weißmann hadert mit der allgemeinen „sittlichen Degeneration“, die er als kulturellen Bruch mit einer bis dahin geordneten, anständigen Welt wahrnimmt. Einer Welt, in der Christentum und Tradition die moralische Orientierung vorgaben und die staatliche Obrigkeit für deren Einhaltung sorgte. Interessanterweise bemüht Weißmann in Ansätzen auch eine natürliche, biologisch begründete Normsetzung (z. B. in der conditio humana), etwa wenn es um Geschlechterzuschreibungen oder um sexuelle Praktiken geht.
Der Ursprung allen Übels, so der Autor, liegt in der Aufklärung begründet, in jener Abkehr von christlichen Moralvorstellungen bei gleichzeitiger Hinwendung zur eigenen, individuellen Urteilskraft. Diese „Hybris“ des aufklärerischen Geistes hätten die politisch moralischen Katastrophen 1789 (Französische Revolution), 1917 (Oktoberrevolution Russland) und 1933 (Beginn der NS-Diktatur) überhaupt erst ermöglicht.
Meine Kritik an Weißmanns Ausführungen zielt gar nicht einmal auf seine zahlreichen, kühnen Behauptungen im Einzelnen ab. So sei dahingestellt, ob maulende und verwöhnte Kinder, denen Eltern jeden Wunsch erfüllen, tatsächlich eine Folge des Kulturbruchs `68 ff.
sind. Auch Weißmanns Lamento über die Erosion des Krawattenzwangs auf Vorstandsetagen scheint mir jetzt nicht so dramatisch zu sein, als dass ich darüber diskutieren möchte.
Meine Kritik zielt auf sein hoffnungslos unreflektiertes Klammern an Normen, seien sie christlichen, seien sie biologischen Ursprungs, und den daraus abgeleiteten Herrschaftsstrukturen. „Gebote, Traditionen, Hochschätzungen von Askese, Dienstbereitschaft, Pflichterfüllung um ihrer selbst willen“, fordert Weißmann. Genau darin liegt das Problem. Ich möchte schon entscheiden, welche Gebote und Traditionen zu welchem Zweck mir wichtig sind, welche Pflichten ich aus welchen Gründen zu erfüllen bereit bin. Denn die Alternative würde in Richtung „Kadavergehorsam“ weisen. Es zeugt schon von erheblicher Ignoranz, all die Fehlentwicklungen einer vor 1968 vermeintlich geordneten Gesellschaft und politischen Herrschaft nicht als solche zu benennen. Und offen gestanden lehrt die historische Erfahrung, dass in vermeintlich anständigen, moralisch gefestigten Organisationen Schmutzeleien besonders verbreitet sind …
Man kann trefflich über Sinn und Unsinn der 68er-Bewegung streiten und differenziert urteilen. Aber die durch sie erstrittenen Freiheiten nur aus religiös verbrämter Ängstlichkeit zu verdammen, bleibt intellektuell unbefriedigend.