12 Euro Mindestlohn – nicht für alle?

Am 3. Juni 2022 hat der Bundestag dem Gesetzentwurf zugestimmt, den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn in allen Bereichen des Arbeitsmarktes auf 12 Euro pro Stunde zu erhöhen. Eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung gilt allerdings nicht als regulärer Betrieb des Marktes. Daher werden die dort arbeitenden Personen auch nicht mit dem Mindestlohn entlohnt (vgl. https://www.lebenshilfe.de/informieren/arbeiten/kein-mindestlohn-in-werkstaetten/).

Merle Kolander (Von Studierenden für Studierende)

Auf der Seite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) wird der Mindestlohn als Lohnuntergrenze bezeichnet, die nicht unterschritten werden darf (https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Arbeitsrecht/Mindestlohn/mindestlohn.html). Der Mindestlohn wurde erstmals im Jahr 2015 für alle Arbeitnehmenden über 18 Jahren eingeführt. Seit dem 1. Januar 2022 liegt dieser bei 9,82 Euro brutto pro Stunde, zum 1. Juli 2022 wird er weiter auf 10,45 Euro angehoben. Nun hat der Deutsche Bundestag außerdem dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zugestimmt, den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde zu erhöhen.  Dadurch sollen Arbeitnehmende geschützt und ihre wirtschaftliche und soziale Teilhabe gefördert werden (vgl. https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/mindestlohn-steigt-1804568).

Dieses Mindestlohngesetz gilt allerdings nicht für Menschen mit Behinderung, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigt sind. Sie stehen gemäß § 221 des neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) nur in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis. Das bedeutet, dass sie keine Arbeitnehmenden sind und damit keinen Anspruch auf den Mindestlohn haben. Stattdessen erhalten sie vom Staat Leistungen der Grundsicherung oder eine Rente, da sie als voll erwerbsgemindert gelten. Zusätzlich bekommen die Beschäftigten einer WfbM rehabilitative Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (vgl. § 221 SGB IX Rechtsstellung und Arbeitsentgelt behinderter Menschen (sozialgesetzbuch-sgb.de).

Das Werkstatt-Entgelt, welches die Beschäftigten monatlich erhalten, setzt sich aus dem Grundbetrag von 109 Euro, dem sogenannten Arbeits-Förderungs-Geld von 52 Euro sowie dem Steigerungs-Betrag zusammen. Letzterer wird auf Basis der Leistungsfähigkeit individuell festgelegt. Im Jahr 2019 lag das durchschnittliche monatliche Arbeitsentgelt in WfbM bei 207 Euro. Bei einer Arbeitszeit von 35 – 40 Stunden pro Woche beträgt dieses Entgelt deutlich weniger als zwei Euro pro Stunde. Während der Corona-Pandemie wurden die Zahlungen an viele Beschäftigten außerdem noch gekürzt (vgl. https://www.bagwfbm.de/page/entgelte_und_einkommen).

Gegenüber dem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis in WfbM wird immer wieder Kritik geäußert. Verschiedene Aktivist:innen und Politiker:innen setzen sich seit Jahren dafür ein, dass dem Thema mehr Beachtung geschenkt wird. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. fordert beispielsweise eine Reform des Finanzierungssystems der Werkstattentgelte sowie mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Zusammensetzung des Werkstatt-Entgelts (vgl. https://www.bagwfbm.de/page/entgelte_und_einkommen).

Ein weiteres Beispiel ist der Aktivist Lukas Krämer. Er macht über seinen Blog und weitere Kanäle auf die Situation in WfbM aufmerksam und informiert über verschiedene Aspekte rund um die Werkstätten. Große Beachtung findet außerdem die von ihm gegründete Petition #StelltUnsEin, in der er den Mindestlohn für Menschen in Behindertenwerkstätten fordert und welche zum jetzigen Zeitpunkt, im Juni 2022, bereits mehr als 170.000 Unterschriften verzeichnet (vgl. https://www.sakultalks.de/).

Inwiefern und ob sich die Entgelt-Situation für Beschäftigte in WfbM in Zukunft entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Was bereits feststeht ist, dass der Grundbetrag ab dem 1. Januar 2023 um 10 Euro, auf 119 Euro monatlich, steigen wird (vgl. https://www.bagwfbm.de/article/4012).