Werkstätten für Menschen mit Behinderung vor dem Aus? Keine Ausgangstür für Menschen mit Behinderung

Schrauben zählen, Elektroteile zusammenschrauben, Versandpakete packen oder Laub harken gehören zum Arbeitsalltag vieler Beschäftigten in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM). In Deutschland arbeiten ca. 310.000 Menschen mit Behinderungen in Werkstätten. Bei vielen Arbeitgeber:innen stoßen Menschen mit Behinderung auf Vorurteile, weshalb sie im Rahmen von WfbM’s beschäftigt werden. Diese Sonderkulturen entsprechen nicht mehr unserem aktuellen Bild von Inklusion. Die Werkstätten haben den Auftrag Beschäftigte in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln. Diesem Auftrag der Vermittlung kommen jedoch nur wenige Werkstätten nahe, was daran liegt, dass sie ihre leistungsstarken Beschäftigten behalten wollen und im Rahmen wirtschaftlicher Verpflichtungen behalten müssen. Eine Vermittlung in den allgemeinen Arbeitsmarkt gelingt deshalb oft nur bei ca. einem Prozent der Beschäftigten. Ihnen wird so die Chance, einen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bekommen, genommen, weshalb diese Einrichtungen zunehmend in der Kritik stehen (vgl.https://www.rnd.de/beruf-und-bildung/behindertenwerkstaetten-menschen-ausgenutzt-statt-ausgebildet-DGNISZ2AOBATRMFMKQLF4SADHQ.html).

Nele Unruhe (Von Studierenden für Studierende)

Fair und nachhaltig produzierte Waren sind heutzutage sehr wichtig für viele Konsument:innen. Auch greifen sie gerne zu Produkten, mit deren Erlös z.B. soziale Projekte unterstützt werden. Produkte mit dem Aufkleber „Produziert in einer Werkstatt für behinderte Menschen“ sorgen deshalb auch für ein gutes Gewissen bei vielen Käufern. Jedoch muss hier hinter die Kulissen geschaut werden, denn Standards wie eine faire Bezahlung, Streikrecht und die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft gelten für Beschäftigte einer Werkstatt nicht (vgl.https://www.zeit.de/arbeit/2022-02/menschen-behinderung-werkstaetten-arbeitsbedingungen-fairtrade-standards).

Die Befürworter:innen von Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) argumentieren damit, dass es sich bei den Aktivitäten um eine sinnvolle Tagesbeschäftigung handelt und so auch der soziale Kontakt unter den Arbeitenden gestärkt wird. Dass die meisten Beschäftigten einer Werkstatt weniger als einen Mindestlohn bekommen, wissen viele gar nicht. Laut der Behindertenrechtskonvention sollten behinderte Menschen die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die sie frei gewählt oder frei angenommen haben. Doch die Arbeit in einer WfbM ist meist nicht frei gewählt und ihren Lebensunterhalt können die Beschäftigten mit dem dort verdienten Geld auch nicht bezahlen. Laut der jüngsten Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) verdienen Beschäftigte einer Werkstatt im Durchschnitt etwa 220 Euro. Somit steht die Arbeit in einer WfbM im Widerspruch zu der Behindertenrechtskonvention (vgl.https://www.rnd.de/beruf-und-bildung/behindertenwerkstaetten-menschen-ausgenutzt-statt-ausgebildet-DGNISZ2AOBATRMFMKQLF4SADHQ.html).

Steven Winters ist ein Beschäftigter einer WfbM. Er leidet unter einer schweren Form der Epilepsie. Winters ist von Eckernförde nach Sylt gezogen, um die WfbM zu wechseln. Laut der Werkstatt in Eckernförde, braucht Winters noch Zeit, um Erfahrungen aufzubauen und Fähigkeiten zu entwickeln. Doch offenbar war er ein Leistungsträger in Eckernförde, den die WfbM nicht hergeben wollte. Winters möchte jedoch beruflich weiterkommen und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten. Er fühlte sich in Eckernförde in seinem Vorhaben nicht mehr unterstützt, weshalb er in eine Sylter WfbM wechselt, die dafür bekannt ist, regelmäßig Arbeitskräfte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln (vgl.https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/Behindertenwerkstaetten-als-Sackgasse,behindertenwerkstatt118.html).

Raul Krauthausen, ein Inklusions-Aktivist, ist der Meinung, dass man die Ursache für die Probleme in der Werkstatt schon viel früher suchen muss. Für ihn ist das Erfolgsrezept eine inklusive Bildung. So gibt es auch viele Studien, die belegen, dass die Karrierechancen von Menschen mit Behinderung am besten sind, wenn sie inklusiv beschult werden (vgl.https://www.mdr.de/religion/thema-behinderten-werkstaetten-wie-weiter-100.html).

In der Zukunft müssen nicht alle WfbM von heute auf morgen geschlossen werden, denn der allgemeine Arbeitsmarkt ist in seiner jetzigen Form nicht in der Lage, alle Menschen mit Behinderungen aufzunehmen. Jedoch muss sich das Konzept der WfbM ändern, um Selbstbestimmung und Teilhabe zu ermöglichen. Zudem würden einige Unternehmen auch gerne Menschen mit Behinderungen einstellen, aber derzeit ist es zu umständlich, weshalb auch daran gearbeitet werden muss.