Kindesmissbrauch und Häusliche Gewalt im Lockdown extrem angestiegen

Am 26.05.2021 hat das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat den Bericht über die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Jahres 2020 veröffentlicht (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/sicherheit/pks-2020.pdf?__blob=publicationFile&v=2#:~:text=Im%20Berichtsjahr%202020%20wurden%20bundesweit,Fallzahlen%20jeweils%20%C3%BCber%206%20Millione). Dieser Bericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es einen erschreckend hohen Anstieg der Gewalt gegen Kinder in der Zeit der Pandemie durch Kontaktbeschränkungen und Lockdown gegeben hat.

Wodurch dieser Anstieg verursacht wurde und wie stark die Fallzahlen angestiegen sind, könnt Ihr hier lesen.

Laura Schmidt (Von Studierenden für Studierende)

Die Kriminalstatistik des Jahres 2020 zeigt einen Anstieg von teilweise mehr als 50% der Fallzahlen im Vergleich zum vergangenen Jahr. Der Bericht beinhaltet nicht nur Fallzahlen von Vergehen an Kindern, sondern die allgemeinen Zahlen von Verbrechen. Ich werde hier nur auf den Anstieg der Gewalt an Kindern (bis 14 Jahren) eingehen. 

Die Fallzahlen von sexuellem Kindesmissbrauch sind von 13.670 Fällen im Jahr 2019 um fast 7% auf 14.594 angestiegen (vgl. PKS 2020, S. 14).  Die Fallzahlen von Kindesmisshandlungen sind um fast 10% auf 4.915 Fälle angestiegen. Die Fallzahlen der Darstellung von sexueller Gewalt an Kindern hat sich im Vergleich zum Vorjahr mit 53% auf 18.761 mehr als verdoppelt. Hierbei handelt es sich um Fälle, die zur Anzeige gebracht wurden und strafrechtlich verfolgt wurden. Zudem sind die gezählten Fälle nicht alle während der Pandemie passiert, sondern es handelt sich um alle Fälle, die während des Aufzeichnungszeitraumes angezeigt wurden.

Der Anstieg wurde vor allem dadurch ausgelöst, dass die Kinder und ihre Eltern, durch den von der Pandemie ausgelösten Lockdown, ihre Zeit fast ausschließlich zuhause verbracht haben und dauerhaft miteinander zusammen waren. Johannes-Wilhelm Röriger, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung, sagte dazu im heute journal am 26.05.2021 (https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/gewalt-gegen-kinder-deutlich-mehr-faelle-100.html), dass es sich um „unbegreiflichen Schmerz, Ohnmacht, Ekel und Angst handelt“ und fordert Handlungen. Man kann davon ausgehen, dass die Dunkelziffer der tatsächlichen Misshandlungen und häuslicher Gewalt viel höher liegen als die Zahlen, die von der Kriminalstatistik erfasst werden konnten. Gemäß heute journal gehen Expert*innen davon aus, dass es sich um circa ein bis zwei Kinder pro Klasse handelt, die während des Lockdowns solche Erfahrungen machen mussten.

Im Lockdown bleiben die Misshandlungen unentdeckt, da die ‚Augen‘ der Erzieher*innen in den Kitas, der Lehrer*innen in den Schulen und von Kinderärzt*innen fehlen. Doch nicht nur sexuelle Übergriffe/Gewalt sind während des Lockdowns teilweise unentdeckt geblieben. Durch die Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren ist man „blind im Kinderschutz“ so Prof. Kathinka Beckmann, Sozialwissenschaftlerin an der Hochschule Koblenz. Sie stellt heraus, dass der Deutsche Beamtenbund bereits vor mehreren Jahren darauf hingewiesen habe, dass es mehr als 3.000 Beamte zu wenig im Jugendamt für die hohen Fallzahlen gibt. Daher kann auch der große Anstieg an häuslichen Missbrauchsfälle nicht bewältigt werden. Eine Vollzeitstelle soll mit 35 Fällen konfrontiert werden, diese sind jedoch zumeist nicht zu schaffen (vgl. Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 2021, S. 8 https://www.reguvis.de/fileadmin/FamSoz-Portal/Dokumente/Beitraege/Beckmann-Berneiser_ZKJ_01_2021.pdf).

Zudem sind die Mitarbeiter*innen der Jugendämter im Homeoffice nicht ausreichend ausgestattet, um Kontakt zu den Familien halten und auf alle Akten zugreifen zu können, schreibt die ZKJ. Eine Befragung der Jugendämter zu Beginn der Pandemie im Juni 2020 hat ergeben, dass die Beamten davon ausgehen, dass der Schutz der Kinder sichergestellt werden kann, sie es jedoch für schwierig halten den Bedarf des Einschreitens zu erkennen (ZJK 2021, S. 6). Dies kommt größtenteils daher, dass nicht alle Opfer von häuslicher Gewalt in der Lage sind Hilfsangebote anzunehmen, Zugang zu Hilfsangebote haben oder sich trauen nach Hilfe zu suchen.

Man müsse präventive Ansätze in die Wege leiten, die den Kindern vermitteln, dass ihr Körper ihnen gehört, sagt Rainer Becker der Deutschen Kinderhilfe. Die Kinder müssen verstehen, „dass sie entscheiden, wer sie küsst und wen sie küssen und bei wem sie auf dem Schoß sitzen“, so Becker im Interview mit dem heute journal

Expert*innen weisen darauf hin, dass die Zahl psychisch und physisch misshandelter Kinder derzeit dramatisch ansteige (https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-kinderschutz-misshandlung-100.html), da die Familien mit den Schließungen von Kitas und Schulen überfordert sind. Ein Team um Jörg Fegert, Kinderpsychologe an der Universität Ulm, hat herausgefunden, dass die Fälle häuslicher Gewalt erst nach dem Lockdown wieder erkannt werden und die Fallzahlen demnach steigen werden (https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-kinderschutz-misshandlung-100.html). Reporterin Ulrike Rödle vom ZDF beschreibt es so: „Wo keiner hinsehen kann, fällt niemanden etwas auf“.

Schreibe einen Kommentar