a) Welche Funktion sollen Schulnoten erfüllen?
Seit Jahrzehnten werden Schülerinnen und Schüler in Deutschland zu
jedem möglichen Zeitpunkt Ihrer Ausbildungsphase mit Zensuren benotet. So
werden neben Noten für Tests, Zeugnisnoten und schließlich sogar Abiturnoten
verteilt. Die Befürworter dieses Systems beschreiben viele verschiedene
Funktionen solch einer Notenvergabe:
So sollen Zensuren als Messinstrumente, bzw. Schätzurteile für erbrachte Leistungen dienen. Desweiteren funktionieren sie als Mittel zur Rückmeldung, also besitzen einen informativen Charakter, welcher immer auch einen Appell oder eine Beziehungsbotschaft des Zensurenvergebers, also des Lehrers, impliziert. Dabei wird das leichte und schnelle Verständnis der Zensur, aufgrund seiner bekannten Bedeutung (zum Beispiel 1= sehr gut), besonders geschätzt. Eine weitere beschriebene Funktion ist der durch Benotung gegebene Anreiz für Lernanstrengung, das heißt, dass der Wunsch des Erreichens einer angesehenen Note, dazu führt, dass SuS für Klausuren lernen. Mit anderen Worten ausgedrückt, handelt es sich bei Zensuren um einen extrinsischen Motivationsfaktor.
Daneben steht die Funktion Noten als Indikator für Erfolg, bzw. Misserfolg sehen zu können, welcher wiederrum die Motivation, das leistungsbezogene Selbstvertrauen und das Lernverhalten der SuS beeinflusst. So sinkt die Motivation beispielsweise bei einer Fünf und damit auch das Selbstvertrauen des Schülers. Er wird sich lerntechnisch gesehen eher aufgeben, als ein Schüler, der eine Zwei bekommen hat und dadurch motiviert wird, sein bisherigen Lernerfolg weiterhin zu halten.
In der Literatur wird außerdem von der pädagogischen Funktion von Schulnoten gesprochen. Die beschreibt, dass Noten als Zucht-, bzw. Diziplinierungsmittel fungieren können und dadurch eine Machtausübung von Seiten des Lehrers ermöglichen. Besonders Kopfnoten, also Zensuren zum Sozialverhalten eines Schülers, können als Sanktionsmittel dienen. Desweiteren können Schulnoten aber auch eine Orientierungsfunktion über die eigenen Fähigkeiten für Schülerinnen
und Schüler haben. Sie agieren dann als Anhaltspunkt für eine Leistungseinschätzung, was besonders in der Phase der Identitätsfindung für Jugendliche wichtig sein kann. Im Hinblick auf die Gesellschaft und ihre Ansprüche, können Benotungen auch eine Sozialisationsfunktion inne haben. Nämlich insofern diese, nachwachsende Generationen auf die Leistungsgesellschaft und die Gültigkeit des Leistungsprinzips in jener orientieren.
Laut den Fürsprechern eines Notensystems, wird dadurch desweiteren
eine Evaluations- und Kontrollfunktion gegeben. Diese beschreibt nicht nur die Fähigkeit für den Lehrer durch Zensuren Aufschluss über den Leistungsstand seiner Sus zu erlangen, sondern dient darüber hinaus auch als Indikator für erfolgreiche Lernarbeit und Leistungsfähigkeit einer Schule, bzw. eines ganzen Schulsystems. Als eine letzte Funktion ist außerdem noch zu erwähnen, dass Noten immer als Entscheidungsgrundlage für Auslese und Berechtigung fungieren. Anhand dieser nämlich wird im Schulsystem sortiert und selektiert, was Noten demnach eine besondere Autorität verleiht.
Abschließend lässt sich also sagen, dass Schulnoten auf dem ersten Blick und in unserer heutigen Gesellschaftssituation viele Funktionen inne haben, die mehr oder weniger relevant scheinen. Sie sind von der modernen Leistungsgesellschaft geprägt und fördern andersherum dessen Entwicklung und Fortbestehen. Mir persönlich und auch vielen Kritikern ist es allerdings wichtig eine kritische Sicht auf Zensuren zu
richten. So offenbaren die Funktionen bei näherem Betrachten auch immer eine
negative Kehrseite, welche uns anregen sollte über Alternativen für Benotung
Ausschau zu halten.
b) Inwieweit erfüllen Schulnoten die Testgütekriterien?
Bezieht man sich erneut auf die aus Aufgabe a) abschließende kritische Sichtweise auf Schulnoten, so stellt man schnell, beim Blick auf dieallgemein gültigen und anerkannten Gütekriterien für Testverfahren, fest, dass das in Deutschland vorherrschende traditionelle Benotungssystem in seiner Messqualität stark bemängelt wird. Bei allen drei Kriterien, also der Objektivität, der Reliabilität und auch der Validität haben Untersuchungen gezeigt, dass sie bei Benotungen nur sehr unzureichend zur Geltung kommen. Die Vergabe von Schulnoten ist offensichtlich immer stark durch Urteilsfehler belastet und von einer Reihe sachfremder Einflüsse beeinträchtigt. Es ist also wichtig zu erkennen, dass Zensuren letztendlich nur subjektive Schätzungen einer Leistungshöhe sein können und keine Messungen. Trotzdem ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass vor allem von Schülern und Eltern die Gültigkeit und der Geltungsbereich von Noten meist zu hoch eingeschätzt werden. Obwohl immer wieder bewiesen wurde, dass zwischen Noten und dem allgemeinen Selbstkonzept der Fähigkeiten oft nur ein geringer Zusammenhang besteht.
Besonders bei der Benotung von schriftlichen Testverfahren, welche
meist den größten Teil einer Schulnote ausmachen, wurde eine hohe Bemängelung
der Gütekriterien festgestellt. So ist bei Diktaten beispielsweise eine
Durchführungsobjektivität nur in geringen Maßen oder gar nicht gegeben. Das
Abschneiden der SuS kann nämlich stark durch eine zu schnellen oder
fehlerhaften Diktierweise, bzw. Aussprache des Lehrers von der tatsächlichen
Leistung abweichen. Auch legten unterschiedliche Untersuchungen offen, dass
eine hohe Varianz bei der Auswertung zwischen unterschiedlichen Lehrern gibt
(teilweise bis zu vier Notenstufen Unterschied bei gleicher Klausur), wodurch
eine Auswertungsobjektivität kaum gewährleistet wird. Desweiteren ist der
Faktor des Vorwissens eines Lehrers hinderlich im Bezug auf Bewertungsobjektivität.
So lassen sich Lehrer bei der Benotung unbewusst oder sogar bewusst von
Vorinformationen, wie Geschlecht des Beurteilten oder des Beurteilers, der
Beliebtheit des jeweiligen Schülers, der Handschrift oder auch der Länge der
Arbeit, sowie von Kenntnissen zu sozialen Hintergründen beeinflussen.
Desweitern ist in Beobachtungen aufgefallen, dass eine Zensur oftmals mehr von
der zufälligen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schulklasse abhängt, als vom
tatsächlichen Leistungsniveau des Schülers.
Demnach lässt sich auch die Reliabilität, also die Zuverlässigkeit iner Klausurnote als unzureichend kritisieren.
So beweisen Untersuchungen, das gleiche schriftliche Arbeiten nach einer zweiten Korrektur und Benotung durch den gleichen Lehrer nach mehreren Monaten sehr
unterschiedlich ausfielen.
Im Bezug auf Untersuchungen zur Inhaltsvalidität fallen starke Schwierigkeiten auf, da Lehrpläne heute noch stark in sich variabel sein können und immer eine
Interpretation benötigen. Auch die Tatsache das allgemeine Testmessverfahren,
wie im Bisherigem erläutert, fehlende Objektivität und Zuverlässigkeit
ausweisen, lassen Untersuchungen zu Validität unnötig erscheinen. Allerdings
gibt es Studien zu der prognostischen Validität, also zu zukünftigen Schul-,
bzw. Karriereerfolgen im Zusammenhang mit gegebenen Zensuren. Diese
offenbarten, dass Abschlussnoten oftmals keine zuverlässige Basis für späteren
Erfolg in der Ausbildung, Studium oder Beruf sein konnten.
Es lässt sich also festhalten, dass das heutige vorwiegend angewandte Benotungssystem kaum die notwendigen Testgütekriterien erfüllen, und somit eine Schulnote ein schlechter Indikator für tatsächliche Leistung oder Fähigkeiten eines Schülers ist.
Deshalb wird die Aufforderung für eine Bearbeitung und Reformation
dieses Systems immer lauter. Obwohl Deutschland dabei im europäischem Vergleich
hinten liegt, zeigen sich erste kleine Erfolge bereits im Einsatz von
standardisierten Schulleistungsstests, die die Objektivität und Reliabilität
der Leistungsprüfung erhöhen und die bisweilen vorherrschenden erheblichen
Maßstabsdifferenzen von Klasse zu Klasse und von Fach zu Fach verringern könnten.
c) Inwieweit erfüllen Schulnoten die Ihnen angedachten Zwecke? Beschreibe für mindestens eine Funktion eine für Dich bessere Alternative.
Schulnoten erfüllen die Ihnen angedachten Zwecke und lassen sich
mühelos dadurch legimentieren, wenn wir nach den Prinzipien unserer
Leistungsgesellschaft denken, in der ständig und auch noch gerne ausgelesen,
sortiert und klassifiziert wird. In der deutschen Gesellschaft, die ein
Schulsystem seit Jahrzehnten mit sich schleppt, das ganz allein dazu dient die
Eliten des Landes vom Rest zu absorbieren, sind Schulnoten dabei ein alt
bewährter, einfacher und schneller Mittel zum Zweck. Es ist keine Frage, dass
sie ihre angedichteten Funktionen erstklassig erfüllen. Und ich bezweifel nicht,
dass eine Eins in Mathe motivieren kann, bzw. mir weißmacht, dass ich zu den
Besten in meiner Klasse gehöre. Spitze! Doch was macht eine schlechte Note mit
einem Schüler?! Ihm wird die Rolle des Verlierers zu gesprochen. Seine
Motivation verringert sich, er nimmt seine Rolle immer weiter an, gibt sich auf und rutscht immer weiter hinein in den Teufelskreis. Die Leistungsgesellschaft hat gewonnen. Ein vermeintlich schwarzes Schaf erneut erfolgreich aussortiert. Und all das nehmen wir hin, ja wir orientieren uns an Zensuren, schenken ihnen Glauben und sprechen Ihnen eine immense Autorität zu. Soweit sogar, dass Schüler Benotung von ihren Lehrern einfordern. Sie haben das Prinzip der Gesellschaft schon früh völlig verinnerlicht, sodass sie den durch Noten geförderten Leistungsdruck verlangen und sich allein durch eine Ziffer identifizieren.
Und all das, obwohl PISA und viele andere Untersuchungen immer
wieder zeigen, dass Schulnoten lediglich subjektive Schätzungen und
Zufallserscheinungen sind, die nichts über tatsächliche Kompetenzen und
Leistungsniveaus aussagen. Vielmehr zeigen uns diese Studien, dass Länder, die
ohne Benotung auskommen, schlauere, sozialere und vor allem Schüler
hervorbringen, die gerne und intrinsisch motiviert lernen. Deutschland dagegen
beharrt weiter auf dem alten System, bei dem in der Zensur die Vielfalt des
individuellen Leistungsspektrum eines jeden Schülers völlig untergeht, im
Gegensatz dazu aber unsoziale, Noten besessene Kämpfer, ausgebrannte
Zwölfjährige oder im schlimmsten Fall schulhassende Amokläufer gezüchtet
werden.
Ich glaube trotz meiner sehr provokanten Schilderung wird deutlich, dass unser
ganzes Bildungssystem, ja eigentlich unsere Gesellschaft im Allgemeinen einer
völligen Reformation bedarf. Und Gott sei Dank gibt es auch viele Kritiker des
Benotungssystems, welche Alternativen erforschen und beschreiben. Besonders bei
der Funktion der Zensuren als Mittel zur Rückmeldung wird die Sinnlosigkeit von
Ziffernoten offensichtlich. Vielmehr würden sich hier qualitative Gespräche
zwischen Lehrperson und Schüler eignen, in denen über Entwicklungen, aktueller
Leistungsstand, zukünftige Lernziele, mögliche Lernwege und notwendige
Hilfestellungen geredet und diskutiert würde. Stellt eine Note in diesem
Zusammenhang zwar eine leicht verständliche und schnelle Information für den
Schüler dar, schwingen bei Zensuren aber immer auch ein Appell oder Beziehungsbotschaft mit, die in einer Ziffer impliziert erhebliche emotionale und motivationale Wirkungen verursachen können. Deshalb ist es besonders hierbei wichtig Erläuterungen und Erklärungen zur Benotung zu geben und ggf. dem Schüler die Möglichkeit einzuräumen mit zu diskutieren.
Eine Ziffer alleine wird für mich dem lerntechnischem Aufwand eines Schülers
nie gerecht. Meiner Ansicht nach verdient ein Schüler eine qualifizierte und
begründete Stellungnahme zu seinen erbrachten Leistungen, die nur in einem
Gespräch, bzw. einem schriftlichen, längeren Kommentar Rechtfertigung finden
kann. Desweiteren sehe ich einen Vorteil in solch einer Rückmeldung darin, dass
dadurch die oftmals als willkürlich angesehene Machtausübung der Lehrperson
gemildert wird. Vielmehr würden sich Lehrer und Schüler dabei auf gleicher
Ebene treffen, produktiver kommunizieren und mehr als Partner agieren. Wodurch
auch das soziale Verhältnis verbessert würde.
Schließlich ist diese beschriebene Alternative nur ein kleiner Schritt in ein besseres System, das für mich ganz auf Noten verzichten sollte.
Wichtig ist aber vor allem, den Schülern immer offenzulegen, dass Zensuren nie
qualitative Garanten für Ihre tatsächlichen Fähigkeiten sein können und dass es
im Leben viel wichtigere Dinge gibt, die einen Menschen ausmachen. Mit einem
gestärkten Selbstwertgefühl, sozialer Kompetenzen und Willen kann man trotz
„schlechter“ Noten Vieles erreichen. Einstein hatte auch nur eine Vier in Mathe;)