a) Lest den Bericht von Frau Lingen. Welche Wahrnehmungsfehler könnten in der Schilderung auftreten?
Die Beschreibung der Gymnasiallehrerin Klara Lingen über ihren Schüler Klaus ist natürlich mit Vorsicht zu beurteilen, da es sich dabei um subjektive Empfindungen und Wahrnehmungen handelt. Sie selbst beschreibt Klaus als einen Schüler der schnell aufgibt, sich ungern misst und sich eigentlich schon völlig aufgegeben hat, weshalb er sich in der Schule Nichts mehr zutraut.
Diese Erkenntnisse gewinnt sie durch ihre eigenen Beobachtungen im Unterricht,
den Aussagen von Klaus und indem sie sein Verhalten mit ihrem Vorwissen
vergleicht. So handeln Menschen meist, das heißt wir suchen ständig nach
Schemata, Skripten, Strukturen, Konsistenzen und Erklärungen mit denen wir
Neues einordnen können, um Orientierung zu erlangen, unsere Erinnerungen
rekonstruieren und ggf. aufgekommene Dissonanzen beheben zu können. All dies
lässt uns aber oft nur eine sehr verzerrte Sicht auf die Wirklichkeit, indem
wir dadurch „Tatsachen“ falsch beurteilen oder nur eingeschränkt wahrnehmen. In
der Fallbeschreibung beachtet Frau Lingen zum Bespiel kaum Klaus private Lage.
Sie bezieht in ihre Deutungen nicht mit ein, ob sein unmotiviertes und
abwertendes Verhalten ggf. auch daher führen kann, dass er zu Hause Probleme
hat oder seine alten Freunde vermisst.
In diesem Zusammenhang spricht Kelley von Attribution, das heißt
einer Zusprechung von Faktoren, die bestimmtes Verhalten hervorrufen sollen. Er
unterscheidet dabei zwischen internalen und externalen, sowie zwischen stabilen
und variablen Faktoren. Menschen sollen laut Kelley schnell dazu neigen andere
in diesem „Fächersystem“ einzuordnen und ihnen so ein Attribut zuschreiben. So
kann ein Versagen bei einer Mathematikarbeit beispielsweise, durch einen
strengen Lehrer (= stabil ,externaler Faktor = Stimulusattribution) oder aber
durch einen schlechten Tag des jeweilige Schüler (= variabel, internaler Faktor =
Umstandsattribution auf Person bezogen) gerechtfertigt werden. Kelley
beschreibt, dass wir automatisch immer versuchen unser eigenes oder fremdes
Verhalten mit diesem Cluster zu legimentieren. Dabei warnt er vor dem
fundamentalem Attributionsfehler, welcher das voreilige Einordnen des
Verhaltens der Anderen zu der Personenattribution, also der stabil, internalen
Faktoren und das unseren eigenen Verhaltens zu der situationsbezogenen Umstandsattribution (= variabel, externaler Faktor) beschreibt. Solch einen Wahrnehmungsfehler sehe ich auch bei Frau Lingen, da sie Klaus eine grundsätzliche Lernschwäche zuschreibt und nicht zulässt die Ursachen bei dem Umfeld, der allgemeinen neuen Situation oder ggf. einfach einer kurzweiligen schwierigen Phase in Klaus´ Leben zu sehen.
b) Analysiert die Probleme, die bei Klaus auftreten. Erklärt diese aufgrund von
Motivationstheorien.
Nach den Beschreibungen seiner Lehrerin Frau Lingen fehlt es Klaus an Motivation. Er scheint völlig desillusioniert von Mathematik zu sein, hat sich aufgegeben und glaubt nicht mehr daran, dass er das Gymnasium und überhaupt einen Abschluss schafft. Ihm fehlt es sowohl an Lern-, als auch an Leistungsmotivation, das heißt er ist weder motiviert, weil ihm die Thematik interessiert und er etwas Neues lernen möchte, noch weil er gute Noten möchte und sich anstrengt um beispielsweise seine Eltern zu beeindrucken. Mit anderen Worten ausgedrückt, fehlt es ihm an intrinsischer und extrinsischer Motivation,bzw. ist diese kaum noch vorhanden, nachdem er in der letzten Zeit verschiedene „Niederlagen“ erleben musste und daraus resultierend das Gefühl hat ein Versager zu sein (vgl. Selbstbestimmungstheorie nach Deci & Ryan 1993).
Nach Kelleys Attributionstheorie hat Klaus seinem schulisches Verhalten schon fest einer Ursache zugeschrieben, nämlich der, dass es an seinen persönlichen Fähigkeiten liegt, dass er in Mathe nicht mehr mitkommt und dies auch stabil so bleiben wird. Er beschreibt sich selbst als nicht begabt. Spricht desweiteren seinen vorherigen guten Matheleistungen Glück zu, das heißt den variablen, externalen Faktoren.
Solch ein Verhalten ist keinesfalls geeignet, um sein Selbstbewusstsein oder
seine intrinsische Motivation zu heben. Er redet sich also quasi selbst ein
eine Niete in Mathe zu sein, ist daher von Beginn an nicht motiviert dem
Unterricht zu folgen oder sich bei Tests anzustrengen und wird daher auch von
anderen, also in diesem Fall seiner Klasse und im speziellem von seiner Lehrerin
als Leistungsschwach angesehen, was wiederrum zur Folge hat, dass sein Selbstvertrauen und seine Motivation noch weiter sinkt. Klaus befindet sich also am Anfang eines fatalen Teufelskreises. Man kann sein Verhalten im Unterricht ergänzend auch mit der Flow-Theorie von 1975 erläutern. Danach befindet sich Klaus in einer Situation in der er kaum Motivation, allerdings Angst, bzw. Frust
empfindet, weil die gestellten Aufgaben seinen persönlichen Fähigkeiten nicht
entsprechen und er sich so nicht im „Flow“ befinden kann. Er fühlt sich also
entweder von den Matheaufgaben über- oder vielleicht auch unterfordert, was ihn
dazu bringt am Unterrichtsgeschehen nicht teilzunehmen, Leistungen nicht zu
erbringen und sich mehr oder weniger schulisch völlig aufzugeben.
c) Gebt an, welche Handlungsmöglichkeiten sich aufgrund der Theorie für Frau Lingen ergeben.
Zuerst einmal ist es notwendig, dass Frau Lingen und auch Klaus ihre verzerrte
Wahrnehmung aufgeben. Dies kann nur dadurch geschehen, dass sich beide dieser
Mechanismen bewusst werden und dann aktiv versuchen, nicht in ihren alten
Schemata und Strukturen zu kategorisieren. Vor allem Klaus darf nicht weiter
darin bestärkt werden, zu denken er sei in Mathematik nicht begabt und frühere
Leistungen seien nur Glückssache gewesen.
Da Klaus ja eigentlich schon sehr an Mathematik interessiert war und Informatiker werden wollte, ist es eigentlich offensichtlich, dass er früher eine hohe intrinsische
Motivation hatte, Mathematik zu lernen und darin auch notwendige Leistungen zu
erbringen. Seine Lehrerin muss genau daran ansetzten, um sein Interesse zurückzugewinnen.
Denn eine intrinsische Motivation bei einem Schüler ist das Beste was man
erreichen kann. Ihre Bemühungen sollten sich folglich alle darauf ausrichten.
Dazu könnte sie beispielsweise:
– Praktische Anwendungsmöglichkeiten der Mathematik auf die Informatik hervorheben
– Ihn in seinen früheren Lernzielen bekräftigen, die Vorteile verdeutlichen ->ihm einen Sinn im Lernen von Mathematik geben
– Beim Erklären und Lehren ihr persönliches Interesse und ihren Spaß an Mathe zum Ausdruck bringen
– Immer Neuheiten und Variationen in den Unterricht einbinden
All dies führt zu einer Erhöhung des subjektiven Wertes der Mathematik für die SuS,
lässt diese den Unterricht mit positiven Gefühlen und Freude verbinden und
steigert ihre intrinsische Motivation, das heißt fördert ihre selbstbestimmte und von Innen kommende Veranlassung zu lernen.
Des Weiteren kann die Lehrerin dafür sorgen, dass sie eine Lernumgebung schafft, in der Klaus psychologischen Bedürfnisse nach Kompetenz, Selbstbestimmung und
sozialer Eingebundenheit gefördert werden. Sie sollte, anstatt ihn immer weiter
einzuschränken und zu kontrollieren, lieber das Gefühl vermitteln, selbst zu
wählen, was er lösen oder lernen möchte. Auch sollte sie den Kontakt zu seinen
neuen Mitschülern fördern, anstelle ihn immer mehr von diesen zu isolieren,
denn dies würde nur noch mehr dazu führen, das Klaus die Lust an Schule
verliert und schließlich alles verweigert. Wichtig ist darüber hinaus auch,
dass sie, so auch in der Flow-Theorie beschrieben, ein optimales Anforderungsniveau für Klaus schafft. Hierzu ist es ggf. nötig einen Diagnostischen Test zu machen, um eine Lernschwäche oder sogar eine mathematische Hochbegabung auszuschließen. Denn nur so kann sie sicher gehen das Aufgabenniveau und Klaus Fähigkeitsniveau optimal aufeinander abzustimmen,
damit er letztendlich in einen Flow-Zustand gelangen kann. Dort wird ihm das
Lernen dann einfach und mühelos erscheinen. Klaus wird ein Gefühl von einem
flüssigen Handlungsablauf bekommen und sich problemlos auf die mathematischen
Probleme konzentrieren können. Anders ausgedrückt, wird ihm das Lernen nicht
als Lernen vorkommen. Dazu ist es aber auch nötig, dass klare Ziele vereinbart
werden und es eine kontinuierliche Rückmeldung gibt.
Dabei ist zu erwähnen, dass Rückmeldungen nicht immer positiv sein müssen, um die Motivation zu fördern. Auch kritische Kommentare können die Lernbereitschaft
und Leistungsmotivation steigern.
Abschließend lässt sich sagen, dass es wichtig ist, dass Frau Lingen Klaus zu neuem
Selbstvertrauen verhilft, indem sie ihn bei seinen Aufgaben unterstützt und sie
gemeinsam erarbeitete Ziele erreichen. Nie sollte Klaus das Gefühl gegeben
werden, dass ihm seine Autonomie genommen wird. Vielmehr muss er befähigt
werden, seinen Interessen folgen zu können. Denn ein intrinsisches Interesse an
Mathematik besteht allemal bei Klaus. Man sollte mit kleinen Zielen anfangen
und kann am Anfang auch ruhig über extrinsische Motivation, das heißt mit
beispielsweise Belohnung, arbeiten. Letztendlich sollte es aber das Ziel sein,
seine von innen kommende Motivation zu verstärken und ihm das Gefühl zu geben,
ein wertiger Teil der Klassengemeinschaft zu sein.