Ein Beitrag von Agnese Mottola
Das Theater des Barocks I
Ein Beitrag von Agnese Mottola
Bildbetrachtung II: Brautmystik in barocker Kunst und Literatur
Die mystische Vermählung der heiligen Katharina
(Entwurf für das Hochaltarbild der Augustinerkirche in Antwerpen) von Peter Paul Rubens (1628) & Georg Neumarks Liebeslied
Peter Paul Rubens: Die mystische Vermählung der heiligen Katharina (Entwurf für das Hochaltarbild der Augustinerkirche in Antwerpen). Rückseite: zwei Reiterkämpfe. 1628, Öl auf Eichenholz. CC BY-SA 4.0 Städel Museum, Frankfurt am Main. https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de.
Georg Neumark
Liebeslied.
An das liebe Jesulein / welches Er vor alles erwehlet und liebet
Jener mag in seinem Leben /
So und so bemühet seyn /
Jch wil einig mich ergeben
Meinem trautsten Jesulein.
Du O liebstes Jesulein /
Solst nur mein’ Ergetzung seyn.
Nichts nach Himmel und nach Erden /
Frag’ ich hier in dieser Welt /
Werd’ ich nur erfreuet werden /
Einst mit Dem / was mir gefällt /
Nur mit dir O Jesulein /
So will ich vergnüget seyn.
Nu / So faß mich in dein Hertze /
Liebe mich / O Gotteslamm /
Weil ich lieb’ im Liebesschmerze /
Dich mein Seelen-Bräutigamm.
Denn bey reinem Liebes-Schein /
Muß ja Gegenliebe seyn.
Neumark, Georg: Liebeslied. An das liebe Jesulein / welches ER vor alles erwehlet und liebet. (Auszug Strophe 6-8). In: Lyrik des Barock I. Hg. v. Marian Szyrocki. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1971 (= Rowohlts Klassiker der Literatur und der Wissenschaft). S. 98 f.
Betrachtung der Bildelemente:
Bei dem hier vorliegenden Gemälde handelt es sich um die Skizze des von Peter Paul Rubens entworfenen und ausgeführtem Altargemäldes Die mystische Vermählung der heiligen Katharina, das er für die Augustinerkirche in Antwerpen entwarf. Die Skizze hat eine Größe von 64×49,2cm und ist in Öl auf Eichenholz umgesetzt. Rubens verwendete das Material dabei doppelt: Die Rückseite schmückt wiederum eine Skizze zweier Reiterkämpfe, die er für einen Großauftrag für Maria de’ Medici anfertigte.[1] Zusätzlich zur Handhabe des Materials gibt die Skizze einen guten Einblick in die Arbeitsweise des Malers. Am unteren Ende des Bildes ist eine Messleiste erkennbar, die mit den Ziffern eins bis zwölf versehen wurde und dazu diente, das Werk in Quadrate einzuteilen, um die Umsetzung in das Großformat des Altargemäldes zu erleichtern.
Das Bild thematisiert die Vermählung der heiligen Katharina von Siena mit Jesus Christus. Katharina von Siena (1347-1380) verschrieb sich schon als Kind vollkommen ihrem Glauben und trat bereits früh einem christlichen Orden bei, den Schwestern von der Reue des hl. Domenikus in Siena.[2] 1367 erlebte sie eine Vision von Jesus und der Gottesmutter Maria, die als mystische Hochzeit bekannt ist: „Die Gottesmutter Maria gab ihrem Sohn Katharinas Hand, der ihr an den Finger einen wunderbaren Ring zum Zeichen der Vermählung steckte, der nur ihr zeitlebens sichtbar war.“[3] Diese Vision ist damit in die Tradition der Brautmystik einzuordnen, die, aus dem Kontext des Hohenliedes stammend, eine mystische Einswerdung der Seele mit Gott im Sinnbild der Verlobung oder Vermählung beschreibt.[4]Mit der Metaphorik der Braut kann eine einzelne Person oder die Kirchengemeinde, wie dies von Apostel Paulus ausgelegt wurde, gemeint sein. Im Ausdruck der „Vermählung“ wohnt damit die Treue und vollkommende Hinwendung zum Glauben inne.[5] Grundsätzliches klerikales Thema des Gemäldes ist damit die vollkommene Zusicherung des Glaubens an Jesus Christus bzw. die katholische Kirche.
Diese Botschaft setzt Rubens durch eine helle Farbgebung in hellen Erdtönen sowie eine besondere Dynamik im Gemälde um, die durch den skizzenhaften Charakter außerdem verstärkt wird. Die Szenerie ist dabei auf mehreren Ebenen angelegt, auf denen sich die einzelnen Figuren verteilen. Auf der unteren Ebene sind die Heiligen Sebastian, Georg, Augustins, Laurentius, Klara von Montefalco, Apollina, Agnes und Nicolas de Tolentino abgebildet. Eine Ebene darüber befinden sich Petrus und Paulus, Johannes der Täufer sowie Jesus, Maria und Katharina, die in der Mitte der Aufteilung platziert sind. [6] Die Aufteilung in verschiedene Ebenen sowie die erkennbare Empore, auf der sich Petrus und Paulus befinden, die Säulen sowie der Vorsprung, auf dem die Verlobungsszenerie angesiedelt ist, erwecken den Eindruck einer Bühne bzw. eines Theaters. Damit knüpft Rubens an die Vorstellung des theatrum mundi, also der Welt als Theater an, die ein bestimmendes Leitmotiv der Epoche des Barocks war.
In der barocken Kunst soll der Betrachter überwältigt und mit ins Geschehen hineingezogen werden. Dies wird hier über die Figur des hl. Augustinus, erkennbar an Bischofsstab und -mütze unten rechts im Bild, umgesetzt. Er deutet mit Stab und Hand auf die Vermählungsszenerie, blickt dabei zurück über die linke Schulter – gewissermaßen aus dem Bild heraus – und lenkt damit die Perspektive des außerhalb des Gemäldes stehenden Betrachters in die Szene hinein. Links neben Augustinus, nur mit einem weißen Tuch um die Hüften bekleidet und erkennbar an Palmzweig sowie Pfeilen, richtet der hl. Sebastian seinen Blick auf die Szene. Der Körper ist dem Betrachter zugewandt, sein Blick fällt über die linke Schulter in Richtung der Vermählung. Eine Stufe über Sebastian sind die drei Frauenfiguren der hl. Agnes, der hl. Klara von Montefalco sowie der hl. Apollina abgebildet, die sich ebenfalls teilweise mit den Blicken dem Geschehen zuwenden oder darüber zu sprechen scheinen. Zwischen der obersten Frauenfigur und der hl. Katharina von Siena ist ein Engel abgebildet, der beide Figuren(-gruppen) zu verbinden scheint. Der Blick des Betrachters wird durch Rubens’ Arrangement der Figuren also in einer Art Bogen von Augustinus in das Bild hinein und schließlich auf das Thema des Gemäldes, die Vermählungsszenerie gelenkt. Aber auch die Figuren, die sich rechts von Augustinus befinden (v.l.n.r. hl. Laurentius, Nikolas de Tolentino, Johannes der Täufer), bilden eine Art Rahmung des Geschehens und haben dabei ihre Blicke auf die Vermählung gerichtet. Mit dieser Bogen- bzw. Rahmenbewegung verleiht Rubens der Szenerie eine besondere Dynamik. Diese wird zusätzlich durch den skizzenhaften Stil, der durch die einzelnen erkennbaren Farbstriche entsteht, die teils deutlich zu erkennen sind und ineinander verlaufen, unterstützt. So sind einzelne Bestandteile des Gemäldes nur schemenhaft angedeutet (z.B. die Gesichter der Frauenfiguren), während andere besonders detailliert ausgearbeitet sind (z.B. die Gesichtszüge von Augustinus). Dies kann von der Zweckgebundenheit des Werkes, einer Vorskizze, abgeleitet werden, könnte allerdings auch auf eine etwaige Priorisierung einzelner Komponenten hinweisen. Die durch die Perspektive und Figurenanordnung erzeugte Bewegung innerhalb des Gemäldes bewirkt eine Hervorhebung der Vermählung von der hl. Katharina mit Jesus im Zentrum des Ganzen.
Hier kniet die hl. Katharina von Siena, bekleidet mit blauem Rock und weißer Bluse vor dem Jesuskind und Maria. Ihr Blick ist dabei vom Betrachter nicht einsehbar, scheint aber auf Jesus gerichtet. Maria, bekleidet mit rot-grünem Gewand sitzt auf einem Hocker, und trägt dabei Jesus im Arm, der als Kleinkind mit Heiligenschein dargestellt ist. Sie reicht Katharina Jesus entgegen, der dieser eine Hand oder einen Finger entgegenstreckt. Dabei ist der Blick der Gottesmutter von den beiden abgewandt und fällt beine ausdruckslos von der Empore herunter oder ist dem Betrachter zugewandt – dies lässt sich aufgrund der skizzenhaften Umsetzung nicht eindeutig erkennen. Die hl. Katharina hingegen nimmt den ausgestreckten Finger bzw. die ausgestreckte Hand des Gottessohns in beide Hände und führt diese an ihr Gesicht. Die Szenerie drückt damit vor allem die demütige und dankbare Haltung Katharinas von Siena gegenüber Jesus sowie dessen Zuwendung und Annahme aus.
Die Bestimmung des Bildes als Altargemälde, auf das die Augen der Gläubigen während der Eucharistie gerichtet sind, unterstreicht dabei die Bedeutung, die dieser Botschaft, also die vollkommene Hinwendung zum Glauben und zum Bekenntnis zur katholischen Kirche, innewohnt.
[1] Siehe für die Informationen zum Werk: Peter Paul Rubens. Die mystische Vermählung der heiligen Katharina (Entwurf für das Hochaltarbild der Augustinerkirche in Antwerpen). In: Digitale Sammlung Städelmuseum. Gesehen am: 11.09.2020 https://sammlung.staedelmuseum.de/de/werk/die-mystische-vermaehlung-der-heiligen-katharina.
[2] Vgl. Unger, Helga: Der Berg der Liebe. Europäische Frauenmystik. Freiburg [u.a]: Herder 1991. S. 219.
[3] Unger: Der Berg der Liebe. S. 220. Hier bereits zitiert nach: Raimund von Capua: Das Leben der heiligen Katharina von Siena (Legenda maior des Raimund von Capua). Hrsg., eingeleitet und übersetzt von Adrian Schenker. Düsseldorf 1965. S. 91 f.
[4] Vgl. Heimbach-Steins, Marianne: Brautsymbolik II. Brautmystik. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Zweiter Band Barclay bis Damodos. 3., völlig neu bearb. Aufl. Hg. v. Walter Kasper [u.a.]. Freiburg [u.a.]: Herder 1994. Sp. 665.
[5] Vgl. Bechmann, Ulrike: Brautsymbolik I. Biblisch. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Zweiter Band Barclay bis Damodos. 3., völlig neu bearb. Aufl. Hg. v. Walter Kasper [u.a.]. Freiburg [u.a.]: Herder 1994. Sp. 665.
[6] Siehe dazu auch: Giorgi, Rosa: Die Heiligen. Geschichte und Legende. Berlin: Parthas 2003 (= Bildlexikon der Kunst, Bd. 2).
Auszug aus Georg Neumarks Liebeslied:
Bei den hier aufgeführten Versen handelt es sich um die letzten drei der insgesamt acht Strophen von Georg Neumarks Gedicht Liebeslied. Georg Neumark (1621-1681) war ein barocker Dichter und am Hof von Sachsen-Weimar angestellt. Heute ist er vor allem durch seine geistlichen Texte sowie die Mitgliedschaft im Pegnesischen Blumenorden bekannt.[1]
Die ersten fünf Strophen thematisieren die Eitelkeit und Selbstbezogenheit der Menschen. Davon möchte sich das lyrische Ich des Textes abgrenzen und im Gegenzug sein Leben vollkommen Jesus widmen. Auch hier wird diese gänzliche Hinwendung zu Jesus über die Metaphorik der Vermählung modelliert: „Dich mein Seelen-Bräutigam“. Damit ist auch dieses Gedicht in den Kontext der Brautmystik einzuordnen. Dies wird abgesehen von dem Begriff des Seelen-Bräutigams über die absolute Konzentration auf das Jesuskind umgesetzt. Die Liebe zu Jesus wird zum Fixpunkt des lyrischen Ichs, von der das gesamte Schicksal und Empfinden abhängig ist; nur gemeinsam mit und durch Jesus kann Freude empfunden werden. Damit wird eine Verbundenheit zum christlichen Glauben eröffnet, die auf das Diesseits gerichtet ist. Der Mensch kann durch die Liebe und den Glauben zu Gott bereits im Leben Freude erfahren und muss nicht auf das Paradies warten. Die Liebe zu Gott wird hier mit Treue, Glauben und Überzeugung gleichgesetzt, wie schon der Titel des Gedichts deutlich macht. Glaube ist damit grundsätzlich positiv konnotiert und hat nichts mit Leiden zu tun, sondern beruht, genau wie in der Hinwendung des Jesuskindes zu Katharina in Rubens’ Gemälde, auf Gegenseitigkeit: „Denn bey reinem Liebes-Schein / Muß ja Gegenliebe seyn.“
[1] Dünnhaupt, Gerhard: Georg Neumark. In: Deutsche Schriftsteller im Porträt. Das Zeitalter des Barock. Hg. v. Martin Bircher. München: C.H. Beck 1979 (= Beck’sche Schwarze Reihe, Bd. 200). S. 125.
Dieser Beitrag wurde von Luisa Bremer verfasst.
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Bildbetrachtung I: Affektstimulation barocker Kunst und Literatur
Die Beweinung Christi von Peter Paul Rubens & ein Auszug aus den Passionsbetrachtungen (1683) der Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694).

„Ach sihe/ welch ein Mensch / mein herz! sihe / wie die dornen sein heiliges haupt zerrissen / daß es voll wunden und blut=bruennlein erscheinet ! Ach! Sihe/ wie seine edle aederlein krachen/ und als zerknirschte kirsche/ den schoensten Rubinen=saft ausspritzen! Sihe! Wie sich die bluts=tropfen und traenen miteinander vermischen/ daß es erz=klaeglich und jaemmerlich ist! Ach! Sihe die/ von den unbarmherzigen schlaegen/ braun und blau aufgeschwollene Backen/ des Helden aller Helden / ja des selbselbsten Gottes! Ach! Sihe / und zerbrich mein herz!“
Greiffenberg, Catharina Regina von: Des Allerheiligst- und Allerheilsamsten Leidens und Sterbens Jesu Christi, Zwölf andächtige Betrachtungen. Betrachtungen 1-8. In: Catharina Regina von Greiffenberg. Sämtliche Werke in zehn Bänden. Hrsg. v. Martine Bircher u. Kemp, Friedhelm. Bd. 9. unveränderter Nachdruck. Millwood/ N.Y.: Kraus Reprint 1983, S. 462.
Betrachtung der Bildelemente:
Wer die Broschüre der Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ des Diözesanmuseums Paderborn in den Händen gehalten hat, wird sich sicherlich an das Bild erinnern: Die Rede ist von der „Beweinung Christi“, welches auf ca. 1612/14 geschätzt wird und mit Ölfarbe auf Leinwand aufgetragen wurde. Mit seinen Maßen von 151 cm Höhe und 204 cm Breite präsentiert sich dieses Werk allein aufgrund seiner Größe bereits eindrucksvoll. Der Titel „Beweinung Christi“ schreibt bereits einen Prozess der Trauer vor und keinen statischen Zustand. Dieser Begriff hat seit dem Spätmittelalter Konjunktur und ist tatsächlich nur indirekt eine aus der Bibel entlehnte Szene. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert hatte bereits Andrea Mantegna den Leib Christi auf einem Marmorstein (später Salbstein) aufgebahrt dargestellt. Aus einer Sichtweise die direkt von dessen Füßen aufwärts blickt und seinen Oberkörper perspektivisch verkürzt wird der leblose Körper inszeniert.[1] Aber auch andere italienische Künstler, die später die Leidens- und Auferstehungsgeschichte eindrucksvoll in Skulpturen oder Gemälden inszenierten, dürften auf seiner Italien-Reise zu Anfang des 17. Jahrhunderts auf Rubens gewirkt haben.[2]
Bei dem betrachteten Gemälde ist die Perspektive ebenfalls von den Füßen aufwärts konzipiert, hier sind jedoch sowohl Körper als auch Bildelemente (wie die Trauernden) anders angeordnet. Der vom Kreuz Abgenommene, erkennbar an den Malen der Kreuznägel an Händen und Füßen, sowie der Seitenwunde, die halb verdeckt ist, liegt mit halb aufgerichteten und gestützten Oberkörper von der oberen linken Ecke der Leinwand in die rechte untere Ecke des Gemäldes reichend auf dem Salbstein. Ein weißes Leichentuch verhüllt seine Leistengegend und ist unter ihm ausgebreitet. Der Rest des Körper ist entblößt und präsentiert sich in einer gelblich-, fahlblauen Färbung, die auf sein kürzliches Sterben hindeutet. Er hängt mit seinem rechten Arm über der Person im linken Bildrand und hat den Mund leicht geöffnet. Der linke Arm hängt schlaff am Oberkörper herunter und die Hand ruht leicht geöffnet auf seinem linken Oberschenkel. Unter diesem linken Bein und Teilen des Leichentuchs ragen (vermutlich) Ähren bzw. Getreidegarben hervor. Hier sieht sich bereits die eucharistische Bedeutung des Todes Christi angedeutet. Das Leichentuch sowie der Körper Jesu bilden sowohl aufgrund der Positionierung im Gemälde selbst als auch in der hellen Farbgebung im Vergleich zur restlichen Farbwahl eindeutig den Mittelpunkt des Geschehens. Die linke Fußsohle ragt aufgrund der malerischen Ausgestaltung von Schattierungen und Positionierung dem Betrachter direkt entgegen, sofern er sich mittig vor dem Gemälde platziert. Die Wundlöcher der Kreuzigung sind nur leicht mit helleren und dunkleren Rottönungen in den Wundstellen versehen, es zeigt sich somit kein frei laufendes, gerinnendes Blut, sondern lediglich Blutflecken. Der inhaltliche Fokus liegt also nicht auf der Betrachtungen der Wunden, sondern eher auf der Wirkung von Körper/ Erlöser auf die Trauernden, die Christus direkt umgeben. Links steht, mit dem Leichentuch auf der Schulter und über dem Arm, Joseph von Arimathäa, der um Christi Körper bat. Er ist in ein dunkles und reich verziertes Gewand gehüllt und hält den oberen Teil des leblosen Körpers halb aufrecht, ohne ihn direkt zu berühren. Ein Mann höheren Alters, zu erkennen am gräulichen Bart und vermutlich als Nikodemus zu identifizieren, steht unmittelbar links hinter dem zuvor Genannten. Christus direkt berührend und seiner bläulich-hellgelben Gesichtsfarbe ähnelnd steht die Gottesmutter Maria in ein blauschwarzes Gewand gehüllt, welches ihr Haupthaar bedeckt. Sie ist halb über ihn gebeugt und schließt mit der linken Hand das linke Auge Jesu, die rechte Hand ruht an seiner Stirn und entfernt ihm einen Dorn aus dieser. Direkt hinter ihr und in ein auffallend karminrotes Gewand gehüllt präsentiert sich der heilige Johannes, auf dessen linker Wange eine Träne zu erkennen ist die, aufgrund der plastisch wirkenden Malerei, glänzend feucht auf das Auge des Betrachters wirkt.
Alle Blicke sind entweder auf Christus oder im Falle der älteren Marienfrau sowie der jüngeren im rechten Bildrand in Trauer zu Boden oder gen Himmel gerichtet. Der Hintergrund ist in dunklen Grautönen gehalten und unmittelbar hinter dem leblosen Körper tiefschwarz. Die dargestellten Personen sind entweder tief oder leicht gebeugt präsentiert, als würde die Trauer schwer auf ihnen lasten. Die ältere „Version“ der trauernden Marien ist so tief gebeugt, dass nur die gefalteten Hände und das von grauem Haar eingerahmte Gesicht zu erkennen sind. Eine jüngere Frau, ebenfalls in ein gräulich-blaues Gewand gekleidet, welches auch ihr Haar bedeckt, hält sich ein helles Tuch an das Gesicht und scheint ihre Tränen zu trocknen. Während die jünger wirkende Frau hinter ihr, die den Blick gen Himmel neigt, den Mund und die Augen in einem quälenden Gesichtsausdruck geöffnet hat und ihr bräunliches Haar offen trägt. Auch auf ihrer, zum Betrachter gewandten Gesichtsseite, lassen sich Tränen erkennen. Alle Gesichter sind sichtbar erhellt, bis auf das der im Hintergrund stehenden Gestalt, die sich im Schatten der Gottesmutter abzeichnet. Das Gesicht der Maria zeigt keine verzerrte-, sondern in stiller Demut ruhende Trauer und ist jung gestaltet. Sie zeigt nicht wie die gebeugte betende Gestalt Anzeichen höheren Alters. Die Stimmung der auf Leinwand präsentierten Personen lädt auf eine vergleichbare Gemütsebene ein und fügt sich so passend in den Titel Die Beweinung. Durch Farbgebung, plastisch wirkende Gesichter und Gewänder, erhält das Gemälde eine Dynamik, die sich im, im doppelten Sinne herausragenden, Jesus sammelt. Der leblos hängende, aber immer noch schöne Körper des Erlösers wird gehalten und durch das Sinnbild der Ähren durch seine eucharistische Funktion aufgewertet. Das größte Opfer, welches die Sünden tilgt, erfährt hier durch die aktiv vollzogene und anhaltende Trauer Wertschätzung und setzt sich in der Rezeption beziehungsweise der Trauer des Betrachters fort.
Ein Online-Beitrag der Neuen Westfälischen Zeitung beschreibt bereits die Programmatik des Gemäldes: „Rubens – das ist Pathos, das sind große Gesten und Emotionen, das sind ungewöhnliche Perspektiven, den Betrachter überwältigende, ihn hineinsaugende Bilder. So wie das um 1612 entstandene Werk ‚Beweinung Christi‘, in dem der tote Jesus auf einem Salbstein leicht diagonal zum Betrachter liegt und Maria mit der Hand sanft das linke Auge ihres Sohnes schließt.“[3] Nils Büttner ist in seinem Werk zu Leben und Kunst Rubens gleicher Meinung, wenn er schreibt: „Die ästhetischen Kriterien zur Beurteilung seiner Werke haben sich seither grundlegend gewandelt, doch blieb es bis auf den heutigen Tag vor allem die Affekte erregende Wirkung seiner Bilder, die ihre Anziehungskraft vor allem anderen ausmachte. Rubens‘ Aufstieg als Maler war nicht zuletzt dieser Bildwirkung geschuldet und dem sich in ihr bekundenden malerischen Geschick. Nichts haben schon die Zeitgenossen an seiner Kunst so eindringlich registriert wie deren Wirkung auf die Gefühle der Betrachter.“[4]
[1] Vgl. Die Kunst der italienischen Renaissance – Architektur, Skulptur, Malerei, Zeichnung. Sonderausgabe. Hrsg. v. Rolf Toman. Köln: Ullmann & Könemann 2007, S. 370f. [2] Vgl. Büttner, Nils: Rubens. München: C.H. Beck Verlag 2007, S. 62ff. [3] Artikel Westfälische Nachrichten. 23.07.2020, 17:48 von Dietmar Kemper. https://www.wn.de/Muenster/Kultur/4240046-Dioezesanmuseum-Paderborn-zeigt-die-Schau-Peter-Paul-Rubens-und-der-Barock-im-Norden-Tiefe-Emotionen-und-grosses-Pathos. Letzter Zugriff: 17.08.20. [4] Büttner, Nils: Rubens. München: Verlag C.H. Beck 2007, S. 64. Bildnachweis: LIECHTENSTEIN, The Princely Collections, Vaduz-Vienna. Website: http://www.liechtensteincollections.at/de/pages/artbase_main.asp?module=browse&action=m_work&lang=de&sid=87564&oid=W-1472004121953420220.
Auszug aus den Passionsbetrachtungen von Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694)
Was zunächst auffällt, ist der sechsmal wiederholte Imperativ „sihe“, welcher literarisch ein immer wiederkehrendes Schauen impliziert und ein Appell an die Imaginationskraft des Rezipienten ist, der sich nun die allseits bekannte Szene des leidenden und erniedrigten Jesus Christus vor Augen ruft, um die es bei diesem Ausschnitt der Passionsbetrachtungen von Catharina Regina von Greiffenberg geht. Das Werk wurde zunächst 1672 erstveröffentlicht und ist im Jahre 1682 ein zweites Mal in leicht korrigierter Fassung erschienen. Hier wird auf Textebene durch bildliche Sprache Emotion hervorgerufen und eine situative Stimmung evoziert, die den Rezipienten in der privaten Andacht unterstützt und im Rahmen protestantischer Frömmigkeitspraxis steht, die in der frühen Neuzeit stark verbreitet war. Interessant sind hier die verschiedenen Komposita von Substantiven wie „blut=bruennlein“ und „Rubinen=saft“, die einerseits die Wunden ästhetisch aufzuwerten scheinen, als auch für eine wiederholt bildhafte Komponente der Betrachtung sorgen. Wenn sich Blut und Tränen vermischen, bleibt nur noch explizit darüber zu klagen. Die Erwähnung des braun und blau geschlagenen Gesichts des Erlösers steht im Kontrast zu seiner Position als Held aller Helden und präsentiert sich als herzzerbrechendes Leid, das die Textinstanz mit dem Ausruf zu verlauten gibt: „Sihe / und zerbrich mein herz!“ Kunstgeleitetes- und poetisches Schauen entfalten hier auf jeweils charakteristische Weise ihre Wirkung und übertragen die Trauer auf den Rezipienten: „Sakrale Werke sollten nämlich einerseits durch die sachlich korrekte Argumentation die Gebildeten ansprechen und durch ihre Gestaltung des Kunstliebhabern genügen, andererseits aber auch durch eine emotional bewegende Darstellung die breite Masse erreichen, die dadurch zu Frömmigkeit und religiöser Erbauung bewegt werden sollte.“[1] Hier dürfte schlussendlich im Wesentlichen die Verbindung von Prosa und Kunst offenbar werden und das Potenzial interdisziplinärer Forschung hervortreten.
[1] Büttner, Nils: Rubens. München: C.H. Beck Verlag 2007, S. 64.
Dieser Beitrag wurde von Giulia Bahlow verfasst.
Peter Paul Rubens – Künstler, Diplomat, Mann von Welt
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Intermedialer Gebrauch von Kunst und Literatur im Barock
Dieser Blog ist ein Beitrag eines digitalen Projekts, das an die aktuelle Ausstellung des Diözesanmuseums Paderborn Rubens und der Barock im Norden angelehnt ist. Die Autorinnen des Blogs sind: Giulia Bahlow, Luisa Bremer und Agnese Mottola und studieren derzeit im Master Germanistische Literaturwissenschaften an der Universität Paderborn.
Innerhalb der nächsten sechs Wochen werden wöchentlich multimediale Beiträge auf dieser Plattform für Interessierte bereitgestellt. Alle Beiträge werfen eine studentisch- und literaturwissenschaftlich fundierte Perspektive auf die Ausstellung, die Person Peter Paul Rubens, dessen Werk und die Epoche des Barocks allgemein. Dieser Blog erhebt dabei keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit, sondern möchte einen zwar subjektiven, aber informierenden Input liefern. Uns interessiert hier vor allem das Zusammenspiel der Medien Kunst und Literatur, die sich vor allem bei Peter Paul Rubens und dem (künstlerischen) Umgang mit beliebten Themen des Barockzeitalters für uns zeigt.