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Auslese zum Anfang

Das Seminar ,,Vom Archiv zur Edition“, geleitet von Dr. Tilman Moritz, bereicherte im Aufbau der Sitzungen die Arbeit mit den Quellen, wie wir sie aus anderen Geschichtsseminaren kannten. Zu Beginn des Semesters wurde uns die theoretische Basis gegeben für unseren Umgang mit verschiedenen Quellensorten.
Die historischen Materialien aufzuschließen, sie im Beschreiben und Lesen in den Griff zu bekommen, war zunächst sehr anspruchsvoll, wurde jedoch durch praktische Hilfestellungen zusehends erleichtert. Nach Übungsstunden in der EAB und der Erarbeitung der eigenen Projekte sind wir nun in der Lage, Quellen nicht nur zu lesen und zu transkribieren, sondern die Ergebnisse auch editorisch aufzubereiten. Wir hoffen, dass wir Kommiliton:innen mit unserer Dokumentation Lust machen, ihre Kompetenzen ebenfalls entsprechend zu erweitern. Für uns hat es sich auf jeden Fall gelohnt!

Im Folgenden präsentieren wir unsere Auslese – auch um sie für uns und andere als Spur zu sichern. Nichts davon ist vollendet, alles mehr ein Anfang. Wie wir selbst überwiegend noch am Beginn des Geschichtsstudiums stehen, ist auch unsere hier gesammelte Arbeit ein erster Schritt und nicht das Ende der Reise. Jedes Ergebnis steht unter dem Vorbehalt, dass daran weitergearbeitet werden kann und muss.

Wir wünschen viel Spaß beim Spurenlesen!

Aus: Bernhard von Breidenbach: Peregrinatio in terram sanctam. Mainz 1486. EAB Paderborn, I 71. Foto: T. Moritz/G. Lenzen.

Gebildete Hausgeschichten

von Fabian Deppe

Die vorliegende Quellentranskription umfasst die erste Textseite einer, so wörtlich, „Stadt- und Kollegsgeschichte“, angelegt in Paderborn durch den Jesuiten Johannes Sander in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Quelle ist auf Latein verfasst worden. Dahingehend lag auch die größte Schwierigkeit der Quellentranskription für mich, obwohl sich der lateinische Wortschatz bis heute eigentlich nicht verändert hat (man kennt den Spruch „Latein als tote Sprache“), musste im Nachhinein zum Verständnis eine Übersetzung angefertigt werden. Dabei differenzierte sich aber die wörtliche Übersetzung und der jeweils eigentliche übersetzte Wortlaut doch etwas, also konnte ich die Syntax der Quelle in der wörtlichen Übersetzung nicht ganz einhalten. Hier ist die große Gefahr, dass die eigene Interpretation den eigentlichen, vom Autor gemeinten Inhalt verfälscht bzw. verfehlt.

Die Quelle habe ich ausgewählt, da die Jesuiten in Paderborn einen erheblichen Einfluss in der Bildung und eben auch, wie in der Quelle beschrieben, in der (konfessions-)politischen „Gegenreformation“ und schließlich bis zum Verbot des Jesuitenordens durch Papst Clemens XIV. im Jahr 1773 hatten. Heute zeugt noch vor allem der vergleichsweise helle Gebäudekomplex am Kamp samt der Marktkirche von den Jesuiten in Paderborn. Davor steht ebenfalls eine Plastik, die Friedrich Spee darstellt, einen Jesuiten, der durch Kritik an den Hexenprozessem bekannt geworden ist. Die Jesuiten haben die religiöse Landschaft in und um Paderborn also erheblich geprägt.

Von der „hilligen Moder Maria“

von Nele Siegmund (und in Vertretung von Emma Stock)

Dieses Seminar hat mir Einblicke gegeben, welche ich sonst nie bekommen hätte, und man sammelt sehr wertvolle Erfahrungen bezüglich der Archivarbeit. Bereits bei der Suche nach einem Medium kann man schon ganz schön viele Probleme haben. Für uns war es wichtig, dass wir auf die Handschrift blicken und sofort etwas entziffern konnten. Gar nicht mal so einfach, und auch wenn die Suche erfolgreich war, schmerzten die Augen nach einiger Zeit beim Lesen ganz schön und alles sah irgendwie gleich aus. – Spätestens dann empfehle ich wirklich eine Pause!

Der Arbeitsprozess begann bei uns damit, dass wir die Transkription direkt auf dem Foto der Quelle eintrugen, bevor wir das ganze eintippten. Somit hatte man eine gute Rohfassung, die man am Ende ‚perfektionieren‘ konnte. Ein zweites Paar Augen ist auch sehr hilfreich, denn manche Wörter können unterschiedlich wahrgenommen werden, und somit entsteht ein komplett neuer Sinn. Mein wichtigster Tipp ist aber auch, dass man nicht vor der Quelle zurückschrecken sollte, weil der Text auf den ersten Blick so unleserlich aussieht. Nach einiger Zeit kann man sich gut einlesen, und der Prozess verläuft flüssig.

Selbst wenn man alle Wörter entziffert hat, sollte man am Ende noch einmal den ganzen Text durchlesen. Hier findet man immer noch ein paar Korrekturen oder Wörter, welche doch anders geschrieben werden, als man denkt – man schaut noch einmal auf den Text mit einem anderen Blick. Letztendlich kann ein Satz den Prozess gut zusammenfassen, welcher gefallen ist: „Irgendwie möchte ich nicht aufhören, weil das voll Spaß macht!“

Festhalten, was bewegt – ein Tagebuch aus dem Dreißigjährigen Krieg

von Julien-Miguel Flören und Jan David Grote

Bei der praktischen Auseinandersetzung mit dem Tagebuch des ehemaligen Paderborner Kanzlers Konrad Wippermann konnten wir sehr eindrucksvolle und lehrreiche Erfahrungen machen. Natürlich wirkt das Schriftbild und die Aufgabe, einen handschriftlichen Text zu transkribieren zunächst sehr anspruchsvoll, bietet hingegen aber eine spannende Herausforderung, aktiv Anteil in der Erschließung von Quellen zu nehmen. Bei der Erschließung des Tagebuchs verwendeten wir sowohl paläographische Hilfsmittel als auch KI-Tools wie Transkribus, die in vielen Situationen den Arbeitsprozess erleichtern konnten. Somit ist es uns gelungen, eine Nähe zur Quelle aufzubauen, die uns während des Arbeitsprozesses auch die Scheu genommen hat, Quellen dieser Art zu betrachten und zu bearbeiten. Natürlich ist eine perfekte Transkription der Quelle innerhalb des Umfangs des Seminars nicht möglich gewesen, weshalb der Fokus des Kurses auf die Erschließung des Quelleninhalts zentriert wurde.

Zusammenfassend hat das Seminar also einen spannenden Einblick in handschriftliche Quellen der Frühen Neuzeit ermöglicht, der uns nicht nur als Studentinnen und Studenten, sondern auch als Historiker den Arbeitsprozess mit Quellen nahe gebracht und vereinfacht hat.

Frömmigkeit im Taschenformat

von Laura Gerhardt und Marie Laukötter

Ziel der Gruppenarbeit war die Erschließung einer handschriftlichen Quelle aus der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek Paderborn. Die Vorgehensweise soll an dieser Stelle kurz skizziert werden. Als Cod 48 verzeichnet, begegneten wir einer titellosen Quelle von 1514, bei der es sich um ein Gebetbuch des Terziarinnenkonvents Marienborns/Lütgendortmund handelt. Das auf den ersten Blick klein erscheinende Buch enthält eine Vielzahl von Schriften und Paratexten. Damit wird es zu einer Sammelschrift, von der die ersten beiden Seiten erschlossen wurden. Wider der Erwartung handelt es sich jedoch nicht um die erste Seite, sondern um die zweite und dritte. Präsentiert wird uns hier ein persönliches Gebet in niederdeutscher Sprache, das von der Anbetung Jesu zeugt. Trotz der Vielfältigkeit der Quelle wurde diese nur wenig von der Forschung ins Auge gefasst, was ihre Kontextualisierung und Transkription erschwert.
 

Ausblick
 
Der Umgang der Quelle wird durch das spätmittelalterliche, teils frühneuzeitliche Niederdeutsch erschwert. Dennoch darf ihr Quellenwert als hoch eingestuft werden. An sie können Fragen zu mittelalterlichen/frühneuzeitlichen Verzeichnungs- und Archivierungspraktiken sowie zur Frömmigkeits- und Gedenkkultur gestellt werden. Ihre fragmentarische Materialität muss als Chance und nicht als Einschränkung verstanden werden, um dem Defizit der Erschließung handschriftlicher Quellen auf lokaler Ebene entgegenzuwirken.

Schulterblick

Zu den Quellen der Veranstaltung

von Dr. Tilman Moritz

Am Anfang ist das Problem. Und das Problem steckt in der Quelle. Wie man es dort herauspräpariert, wird in jeder geschichtswissenschaftlichen Einführung, jedem Proseminar intensiv geübt. Der Weg ad fontes reicht allerdings oft nur bis zu Übersetzungen, Editionen und, schon im Ausnahmefall, zu online einsehbaren Druckwerken. Dass immer mehr Quellenbestände in digitalem, stets verfeinertem Format zugänglich gemacht werden; dass der Forscherblick sich weg von den ‚reinen Inhalten‘ hin zu den Materialitäten, Räumen und „Affordanzen“ verschieben soll; dass aber zugleich quellenkritische Kenntnisse und Fähigkeiten unter Studierenden, auch denen, die wissenschaftlich weitermachen wollen, beständig  abnehmen – das ist selbst schon ein altes Lamento. Überraschend ist die Entwicklung angesichts verschobener Kapazitäten eigentlich nicht. Wo sind Zeit (und Geld), das aufzuholen, es zu lernen und zu lehren?

Insofern habe ich mit der Übung „Vom Archiv zur Edition“ ein doppeltes Privileg genutzt: meine wirkliche Freiheit der Lehre am Historischen Institut einerseits, die Nähe und Offenheit der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek (EAB) andererseits. Beide Orte verbinde ich durch meine Forschungen – zum Machen und Schreiben von Geschichte im fürstbischöflichen Paderborn –, und deshalb lag es nahe, sie auch in der Lehre zusammenzurücken.

Praxisbezogen soll die Lehre sein. Also habe ich das Seminar an meinen eigenen Forschungsinteressen und -problemen entwickelt: an Fragen der Herstellung und Beschaffung, der Kosten und Mühen des Materials, des Schreibens, des Aufbewahrens in der Vormoderne, heute auch des Freilegens, des Lesbar- und Zugänglichmachens. Im Fokus stand dabei die Empirie. Das heißt zum einen die praktische Übung an historischen Schriften und Beschreibstoffen sowie im Umgang mit Originalen. Zum anderen die Anschauung – einschließlich Anfassen! – von Quellenbeständen vor Ort, in der EAB. Letzteres mündete schließlich in die eigenständige Auswahl und Auswertung von Beispielen, deren Resultate hier vorgestellt werde.

Im Sinne des „forschenden Lernens“ war mir besonders wichtig, die Arbeit nicht bloß über Aufträge zu organisieren, sondern Autonomie zu ermöglichen und dabei auch ‚Fehler‘ zuzulassen. Von rein formalen Korrekturen abgesehen, sind die Ergebnisse deshalb keiner abschließenden ‚Qualitätskontrolle‘ unterworfen worden. Damit soll dreierlei betont sein: erstens die Selbständigkeit der erarbeiteten Lösungen; zweitens, dass die zugrundeliegenden Kompetenzen durch das Seminar angeregt, aber keineswegs ausgereizt werden sollten; drittens schließlich die prinzipielle Unabgeschlossenheit geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisprozesse, die ein Mit- und Weitermachen angehender Historiker:innen überhaupt erst möglich, ja notwendig macht.

Die Gemeinschaftsleistung wirkt also in beide Richtungen. Den Studierenden hat sie, wie hier zu sehen, die Augen geöffnet für die Herausforderungen und Chancen beim Aufspüren und Aufschließen des ‚rohen‘ Quellenmaterials. Dass sie das nicht als bloße Zumutung empfunden, vielmehr detektivischen Spaß an der harten Quellenarbeit entwickelt haben, war eine höchst lohnende Erfahrung, als Forscher wie als Dozent. Sie ist mir Antrieb, das Format auf jeden Fall fortzusetzen und weiterzudenken. Beide Perspektiven verbindet schließlich der Standort Paderborn, mit seiner Geschichte und den Orten, sie zu heben – gleichsam direkt vor unserer Haustür.