Erzengel Michael
Das Gemälde, welches heute im Hauptgebäude des Michaelskloster hängt, ist um 1700 entstanden und zeigt den Namensgeber – Erzengel Michael.

Bei der Betrachtung eines Gemäldes oder einer Plastik, ist für die Deutung des Artefakts bedeutsam, welche Person oder Figur abgebildet wird. Steht man also vor der Frage, um wen es sich handelt, kann die Ikonographie – bzw. die christliche Ikonographie – Verweise und Anhaltspunkte liefern, eine Deutung zu vollziehen. Der Begriff der Ikonographie geht nämlich bereits auf Aristoteles zurück und meint „Bildbeschreibung“[1]. Während der Renaissancezeit entwickelte sich die Ikonographie zur Wissenschaft, mit der die Bestimmung und Erforschung von Bildmotiven ermöglicht wurde. Dabei ist die Ikonographie eine „Beschreibung und Klassifizierung von Bildern“[2], wohingegen die Ikonologie außerdem den symbolischen Wert analysiert.
Mit Hilfe der Arbeiten des Kunsthistorikers Erwin Panofsky generiert sich aus diesen Erkenntnissen eine Methode, bei der eine deskriptiv-analytische Bildbeschreibung mit einer Gesamtinterpretation kulturgeschichtlich-syntetischen Deutung verknüpft wurde. Demnach werden Bilder als „Symptome für den Umgang einer bestimmten Gesellschaft mit „Grundfragen des menschlichen Geistes““[3] verstanden, die „nach der Bedeutung und Funktion bestimmter Bilder in ihrem jeweiligen zeit-, sozial-, religions- und kulturgeschichtlichen Kontext“[4] fragen.
In einem Dreischritt lässt sich die Methode nach Panofsky (1931) engführen, die im Anschluss auf das oben gezeigte Bildnis angewandt wird. [5]
1. vorikonographische Beschreibung (Phänomensinn)
Bei der vorinkonographischen Beschreibung geht es, um das Erkennen des Bildinhalts: was ist zu erkennen, wie viele Personen sind dargestellt und was tuen sie? Welcher Ausdruck ist in ihrem Blick zu erkennen? Wo befinden sie sich etc.?
2. ikonographische Analyse (Bedeutungssinn)
Bei der ikonographischen Analyse benötigen die RezipentInnen Information aus unterschiedlichen Bereiche wie z.B. Theologie, Literatur oder Mythologie, um Symbole und Allegorien erkennen und deuten zu können. Hierbei ist es ratsam, Sekundärliteratur und darunter vor allem Lexika zur Ikonographie, zur Kunsthistorik oder ähnliche Darstellung heranzuziehen, die Aufschluss über den Gegenstand, eine detaillierte Beschreibung und Deutung ermöglichen.
3. Ikonologische Analyse (Dokumentsinn)
Bei dem letzten Schritt der Methode wird die eigentliche Bedeutung des Gegenstand im zeitgeschichtlichen Kontext verortet. Indem nicht nur übliche Quellen anerkannter Literatur, sondern auch nicht-wissenschaftliche Texte und Dokumente, bspw. aus der Astrologie oder des Brauchtums herangezogen werden, können auch „unverständliche Bildprogramme“[6] () analysiert werden, wonach der Gegenstand als Symptom der Zeit, bzw. der Epoche verstanden werden können.[7]
Betrachtet man also – mit Hilfe der Methode nach Panofsky – die oben aufgeführte Fotografie des Gemäldes aus dem St. Michaelsklosters, nimmt man prominent in dem Gemälde zwei Figuren war, die übereinander angeordnet sind: unten ein Drache auf dem ein Engel steht. Der Engel bildet den zentralen Teil des Geschehens, vor allem dadurch, dass seine rechter Flügel bis zum oberen Rand reicht und insgesamt seine Gestalt bis zu dem Füßen rund dreiviertel des Bildes einnimmt. Beginnend bei dem hochgeschwungenen rechten Flügel, an dem oberen linken Rand des Geschehens grenzt ein roter Umhang der durch ein Licht-Schatten-Spiel so inszeniert wurde, dass der Umhang in Bewegung zu sein Scheint und die Wellenform eine Dynamik ausdrückt. Unterstützt wird diese Dynamik durch den erhobenen rechten Arm des Engels, in dessen Hand er ein Schwert erhebt. Direkt unter dem Schwert sehen wir den Kopf des Engels, der mit einer Kopfbedeckung geschmückt ist. Besonders prunkhaft ist damit der vordere Teil mit blauen und weißen Federn verziert. Der Engel selbst blickt den Betrachter / die Betrachterin nicht an, sondern schaut nach unten. Dennoch lässt sich aus dem Gesicht des Engels eine Mimik ablesen, auch wenn diese Mimi kontrovers zu der Gesamtgestalt des Engels wirkt. Das Gesicht ist sehr weich und rundlich dargestellt, es sind keine markanten Gesichtszüge erkennbar, vielmehr erscheint das Gesicht durch die rundliche Nase, die herausgestellten rundlichen Augenlieder und die runden Wangen sanft und ruhig zu sein. Auch durch die Augenbrauen lässt sich keine Anstrengung oder Dynamik ablesen, was im Gegensatz zu dem erhobenen Schwert ein gewissen Kontrast bildet.
Die Körperdynamik spiegelt sich auch in der Darstellung der gesamten Kleidungsstücke wieder. Das ganze Gewand des Engels ist sehr prunkvoll durch Verzierungen in dem Schulterbereich und an der Hüfte, besonders sticht jedoch die Verzierung hervor, die sich im Bereich des Solarplexus befindet und an eine Sonne erinnert. Das Gewand besteht aus einem roten Umhang, einer blauen Oberkleidung, die an den Armen, am Hals und an der Hüfte durch goldene Verzierungen abgeschlossen werden und ab der Hüfte in rosanes Gewand weiterverlaufen. Am dem rechten Arm und unter dem rosanen Gewand kann man ein weißes Untergewand erkennen. Die vielen Stoffschichten sind dabei keinesfalls unbewegt, sondern entwickeln für die BetrachterInnen durch vielzählige Falten und verstärkt, durch Licht und Schattenakzentuierungen eine starke Dynamik. Die Dynamik verdichtet sich außerdem durch die gesamte Körperstellung des Engels, beginnend mit den ausgeweiteten Flügeln, dem erhobenen rechten Arm, der geneigte Kopf, das Einknicken in der Hüfte, und das ausgestellte linke Bein. Trotz der dynamischen Körperstellung steht der Engeln mit einem festen Tritt auf dem unter ihm dargestellten Drachen.
Der Drache wirkt – obwohl er nur ca. ein drittel der Größe des Engels umfasst, durch seine dunkle Färbung in einer grün und blau Tönung und durch seine geschwungenen Arme und Beine, wie auch seinem Schwanz bedrohlich und kräftig. Er scheint den Engel auf seinen Rücken zu tragen, sodass er in der Luft zu schweben scheint. Besonders auffällig ist die Halsbewegung, da er seinen Kopf schwerzverzehrt in den Nacken wirft. Unterstützt wird diese Beobachtung, durch das Maul des Drachens, welches weit aufgerissen ist, die spitzen Zähne erscheinen lässt und aus der Mitte heraus die lange rote Zunge in Richtung des Engels zeigt. Besonders deutlich zeigt sich der Drache auch durch die Konstratierung der Farben, der dunkle Drache hebt sich vor dem rotgefärbten, eher kräftigen Hintergrund gut ab. Insgesamt stehen die beiden Figuren im Vordergrund und vor allem Mittelpunkt, da es im Hintergrund keinerlei anderen Abbildungen aufgeführt sind.
Zuletzt und mit Rückbezug auf das Gebäude in dem da Bild aufgehangen ist, lässt sich auf der linken Hand des Engels eine Nachbildung des Michaelsklosters erkennen. Der Engels trägt das Kloster auf seiner flachausgestreckten Hand und lässt gleichsam unter seiner Hand eine Wage hängen.
Kann man vielleicht schon durch die Namensgebung des Klosters vermuten, dass der dargestellte Engel den Erzengel Michael zeigt, soll im Folgenden jedoch mit Hilfe von Arbeiten aus der christlichen Ikonographie einzelne Verweise erläutert werden, die es uns ermöglichen den Erzengel Michael zu erkennen.
Der Erzengel gilt in der Theologie als Geistwesen, dass in einem hierarchischen Verhältnis über den ‚einfachen‘ Engeln steht. In der Bibel sowie in der Apokryphen werden vier Erzengeln namentlich erwähnt: Gabriel, Michael, Raphael und Uriel, wobei der Erzengel in der Kunst am häufigsten dargestellt wird.[8]
Wie in dem oben gezeigten Bild, wird dabei häufig der Kampf des Erzengels Michael mit dem Drachen gezeigt. Dabei nicht zu verwechseln ist der Erzengel mit dem Hl. Georg, der ebenfalls mit einem Drachen kämpfte, jedoch der Hl. wird im Gegensatz zum Erzengel Michael meistens auf einem Pferd sitzend dargestellt, wobei der Erzengel zu Fuß kämpft. Unverkennbar unterschieden sich die beiden Figuren allerdings immer durch die Engelsflügel.[9]
In dem alten Testament gilt Michael als der Anführer der himmlischen Heerscharen und wird dabei, wie an der Außenfassade mit einem Kreuzstab dargestellt. Bezieht sich die Darstellung jedoch auf dem Kampf mit dem Drachen hat er als Attribut ein flammendes Schwert – wie am oberen Rand zu erkennen ist – in der Hand. Die Waage, die auf dem Bildnis zu sehen ist, ist die apokalyptische Seelenwaage, auf der Verstorbene gewogen werden, um das Gewicht guter und böser Taten zu bestimmen.[10]
Der Drache aus dem Griechischen „drakon“ stammte Begriff, bedeutet „furchtbar Blickender“ und gilt nicht nur in der religiösen, sondern in vielen Kollektiven und Völkern als todbringendes, schuppenbedecktes Reptil.[11]
Mit Rekurs auf die Prinzipien der Barocken Kunst, fällt uns an dem Gemälde direkt auf, dass es keine Naturdarstellung zeigt, wie es für die Renaissance üblich wäre, sondern wir die Darstellungsprinzipien des Barocks – die „Einbindung der natürlichen und übernatürlichen Welt in die Entäußerung von illusionistisch gesteigertem Pathos“ – durch das religiöse Bildnis des Erzengel Michael, mit dem übersinnlichen Drachen kämpfend, das Kloster St. Michael in der Hand tragend beschützt. Der Dichotomie von weltlichen und übernatürlichen findet sich in diesem Bild wider. Vor allem durch die beschriebene Dynamik und die Akzentuierung der Farben – in dem Kontrast der Figuren im Verhältnis zum Hintergrund – lassen das Geschehenis dynamisch und für den Betrachter / die Betrachterin fast dreidimensional erscheinen, vor allem auch dadurch, dass der Drache in der Luft zu schweben scheint und kein Boden oder Untergrund dargestellt wurde.
Dass der Erzengel Michael, eine kleine architektonisches Modell des 1698 fertiggestellten St. Michaels Klosters in seiner Hand hält, lässt sich dem Barocken Prinzip der Apotheose zu ordnen, in dem die Verherrlichung des eigenen Klosters vollzogen wird. In diesem Fall, ist der Erzengel Michael, nicht nur der Beschützer des Vaterlandes sondern einzig der Beschützer des Klosters.
Das der Erzengel im Sinne des Barock nicht nur himmlisch, sondern zu gleich auch weltliche Funktionen innehat und somit Beschützer des Vaterlandes, aber auch der Kirchen ist, entdeckt man in der Innschrift über dem Portal zur Kirche:
„Michael sei Vater des Vaterlandes, Schutzherr der Gläubigen, Bring uns Glück.“
Inwiefern der Erzengel, als Schutzherr den Gläubigen zur Seite stehen musste, kann man unter dem Punkt ‚Kulturgeschichte‘ und der Geschichte des St. Michaelsklosters nachlesen.
Mit einer ersten methodischen Analyse des barocken Bildnis des Erzengel Michaels als Drachentöter, lassen sich leicht in Paderborn ähnliche Darstellungen entdecken. Bei einem Blick in die Engelskapelle des Paderborner Doms, sollte es nun möglich sein, den Erzengel Michael unter den anderen Erzengel zu erkennen.
[1] vgl. Eggler, Keel, Schroer & Uehlinger, 2006, S. 1
[2] Vgl. ebd.
[3] Ebd.
[4] Ebd., S. 2.
[5] Vgl. ebd.
[6] Kopp-Schmidt, 2004, S. 97.
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. Begriff: Erzengel, abgerufen von: http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_2618.html.
[9] Vgl. Begriff: Hl. Georg: abgerufen von: http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_3368.html.
[10] Vgl. Begriff: Erzengel Michael, abgerufen von: http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_5956.html.
[11] Vgl. Begriff: Drache, abgerufen von: http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_2203.html.
Literatur
Eggler, Jürg; Keel, Othmar; Schroer, Silvia & Uehlinger, Christoph (2006): Ikonographie. Abgerufen von: https://www.bibelwissenschaft.de/fileadmin/buh_bibelmodul/media/ wibi/pdf/ Ikonographie__2018-09-20_06_20.pdf.
Hartmann, P. W. (o. A.): Das grosse Kunstlexikon. Abgerufen von: http://www.beyars.com/ kunstlexikon/ lexikon_a_1.html.
Kopp, Schmidt (2004): Ikonographie und Ikonologie: Eine Einführung. Köln: Deubner Verlag für Kunst, Theorie & Praxis.
Stadler, Wolf (Gesamtleitung): Lexikon der Kunst. Malerei. Architektur. Bildhauerkunst. Begriff: Barock. Erlangen: Karl Müller.
