a) Lest den Bericht von Frau Lingen. Welche Wahrnehmungsfehler könnten in der Schilderung auftreten?
Frau Lingen sucht in dem Verhalten ihres Schülers Klaus nach einer Struktur, die ihr helfen könnte, die Problematik, die sich in der Arbeit mit ihm ergibt, zu lösen. Das ist nicht allein ihre individuelle Einstellung (obwohl sie gerade bei Lehrer vermutlich recht häufig auftritt), sondern ganz generell der menschliche Hang zur Suche nach sinnvollen Zusammenhängen, die an sich möglichst widerspruchsfrei sind.
Um solche eventuellen Zusammenhänge zu erschließen, hat Frau Lingen nun die Möglichkeit auf vier unterschiedliche Ebenen der Attribution zurückzugreifen: Zunächst wäre es möglich, internal-stabil zu argumentieren, das heißt, Klaus‘ Verhalten dahingehend zu deuten, dass ihm weder das Thema liegt, noch eine signifikante Möglichkeit der Leistungssteigerung besteht, das der Schüler an sich einfach „schlecht“ ist. Wäre die Ursache allerdings internal -variabel, so wäre Klaus nicht hinreichend vorbereitet gewesen.
Frau Lingen könnte aber durchaus auch darauf ausgerichtet attribuieren, dass in Klaus‘ Angelegenheit eine external-stabile Ursache vorliegt, das bedeutete eine schlechte/strenge Lehrerin, oder aber eine external-variable, was dann auf schlichtes Pech zurückzuführen wäre, da Klaus selbst den Unterrichtsstoff eigentlich beherrschte. (Dieses Modell kann natürlich ebenso gut auf den positiven Fall angewandt werden.)
Wie sich bereits vermuten lässt, neigt der Mensch dazu, immer geeigent zu attribuieren, wobei besonders bei der externalen Argumentationslinie das Selbstkonzept (also die individuelle Auffassung des eigenen Seins/ der eigenen Selbstvorstellung) weniger geschädigt wird, als dies bei einer internalen der Fall wäre. Deshalb sind sowohl Wahrnehmungs-, als auch Attributionfehler nicht unwahrscheinlich. Insbesondere der „fundamental Attributionsfehler“ muss bei einem solchen Beispiel bedacht werden. Dieser charakterisiert sich dadurch, dass man viel eher geneigt ist, bei anderen stabil und internal zu attribuieren (eine Person die einmal unpünktlich ist, muss es also grundsätzlich unpünktlich sein), bei uns selbst aber external und variabel (stets mit der Einschränkung „…nur, weil…“).
Mit diesem Wissen als Grundlage stellt sich nun also die Frage, ob die Lehrerin nicht zum Schutze des eigenen Selbstkonzeptes, die Gründe für sein Verhalten bei ihrem Schüler sucht und nicht Klaus selbst, sondern eventuell der Unterricht, oder die Lehrart und –weise Frau Lingens nicht Ursache für seine Fehlleistungen sein könnte.
Eine andere Möglichkeit der fehlerhaften Wahrnehmung, einer unbewussten Beeinflussung ihres Urteils, könnte aber auch in Form des Halo-Effekts gegeben sein. In diesem Fall würde eine an Klaus wahrgenommene Eigenschaft sein übriges Verhalten derart überstrahlen, dass dies ausreichte, Frau Lingens Urteils über Klaus‘ übrige Eigenschaften zu färben. Verhält sich ihr Schüler also in einem Aspekt negativ, auf welchen seine Lehrkraft besonders reagiert, so negiert dies automatisch, wenn auch nicht logisch, ihre Auffassung seines ganzen (!) Betragens.
b) Analysiert die Probleme, die bei Klaus auftreten. Erklärt diese aufgrund von Motivationstheorien
Besonders im persönlichen Gespräch mit seiner Lehrerin, eröffnen sich die Probleme, die Klaus belasten. Dabei fällt vor allem der Aspekt ins Auge, dass Klaus aussagt, er sei lediglich seinen Eltern zuliebe auf ein Gymnasium gegangen, beurteile sich selbst jedoch nicht als zureichend talentiert. Direkt damit zusammenzuhängen scheinen ebenso seine Versagensangst, die Belastung, die Misserfolge bei ihm auslösen und die Tatsache, dass er mit seinem Berufswunsch (Informatiker) bereits abgeschlossen hat.
Begründen lässt sich all das recht wahrscheinlich damit, dass Klaus jegliche intrinsische Motivation fehlt. Er ist rein extrinsisch motiviert, sieht in seiner Lernhandlung lediglich das Herbeiführen oder die Vermeidung negativer, oder positiver Konsequenzen – Das Lernen, die Stärke und Dauer der Arbeit aber, die er investiert, ist allein von externaler Regulation abhängig: Er tut es, weil es von ihm erwartet wird.
Auch seine dysfunktionale Arbeitsweise (das kurze Interesse an leichten, kombiniert mit langem Aufhalten an schweren Aufgaben) wird schlussendlich darauf zurückgeführt werden können, dass Klaus selbst keine persönliche Relevanz in dem, was er tut erkennen kann, und stattdessen, introjiziert reguliert, lernt, um sich nicht schlecht zu fühlen und die Meinung, die sowohl Lehrer, als auch Schüler von ihm haben könnten, zu beeinflussen.
c) Gebt stichpunktartig an, welche Handlungsmöglichkeiten sich aufgrund der Theorie für Frau Lingen ergeben
Steigerung des Selbstwertgefühl ihres Schüler durch …
– Habituelle Motivation: Wiederholung einer gewohnheitsmäßig auftretendes Motivation durch z.B. Lob.
– Zielsetzung einer identifizierten Regulation: Somit würden dann ursprünglich externale Handlungsziele von Klaus als eigene akzeptiert.
Wenn Klaus erkennt, dass er nicht für dritte, sondern für sich allein arbeitet und das Erreichen seines Berufswunsches nur von ihm abhängig ist, so würde dies vielleicht positiven Einfluss auf sein Selbstbewusstsein und somit auch auf seiner Arbeitshaltung haben.
Damit verbunden ließe sich sein Problem eventuell auch damit lösen, dass man den „Big fish in a little pond“-Effekt dahingehend aufhebt, indem Klaus in eine andere Klasse – oder tatsächlich auf eine ihm angemessener erscheinende Schulform versetzt. Ein leistungsstarker Schüler in einer Klasse mit durchschnittlich weniger Leistungsstarken hebt sich deutlich heraus. In einer vorwiegend leistungsstarken Klasse ist dieser jedoch weniger signifikant, fühlt sich also, bei gleichbleibendem Niveau, schlechter als die übrigen.
– Konzentration auf external-variable Selbstreflexion